Was sagt die Evolutionsbiologie darüber aus, wie wir Sympathie und
Empathie verteilen, wann wir ein schlechtes Gewissen, Scham, Schuld oder
Dankbarkeit empfinden, weshalb wir überhaupt moralische Urteile fällen,
weshalb wir so sehr nach Anerkennung und Konformität streben und soviel
Zeit mit dem Tratschen über andere verbringen? Welche solcher
moralischen Emotionen lassen sich zumindest in Ansätzen bei unseren
tierlichen Verwandten wiederfinden?
Ziel der
Vorlesungsreihe „Evolution von Moral“ ist es, unseren Blick für den
Eigennutz in unseren moralischen Handlungen zu schärfen, und so einige
geläufige Ansichten über die Natur des Menschen zu hinterfragen. Eine
solche Form der Selbstkritik ist weit entfernt von einem
„naturalistischen Fehlschluss“. Anstatt den status quo als „natürlich“
zu rechfertigen, entlarvt der evolutionär geschärfte Blick so manche
unreflektierte Einstellung und moralische Überheblichkeit als
fragwürdig.
Im zweiten Teil der Akademievorlesungsreihe
"Evolution von Moral", die von der Jungen Akademie im Rahmen des
Jahresthemas 2009|2010 "Evolution in Natur, Technik und Kultur"
veranstaltet wird, stellen Monika Keller und Jörg Wettlaufer
Überlegungen zur Entwicklung moralischer Vorstellungen und Gefühle an.
EVOLUTION UND ENTWICKLUNG MORALISCHER GEFÜHLE
Jörg Wettlaufer
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Das
Schamgefühl ist ein klassisches moralisches oder auch selbstreflexives
Gefühl, dessen Untersuchung sowohl unter evolutionären als auch
ontogenetischen Gesichtspunkten in den vergangenen Jahren stärker ins
Zentrum wissenschaftlicher Forschung gerückt ist. Aus
evolutionär-anthropologischer sowie historischer Perspektive sollen in
diesem Beitrag Fragen zur Funktion des Schamgefühls und seines sozialen
Gebrauchs am Beispiel der historischen Pädagogik sowie des Strafrechts
diskutiert werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das doppelte
Gesicht der Scham als einerseits universelle Anpassung, die zur
Grundausstattung jedes Menschen gehört und andererseits als
kulturell-plastisches Gefühl, das im Laufe der Kulturgeschichte nicht
nur Westeuropas in vielfältiger Weise Normen und Grenzen des
menschlichen Verhaltens bestimmt und gesetzt hat und dies auch weiterhin
tut. Gerade aus dem Kulturvergleich ergeben sich interessante
Ansatzpunkte dem Wesen dieser Emotion, ihrer biologischen und
moralischen Dimension sowie ihrer Verschränkung mit der Kulturgeschichte
näher zu kommen.
Monika Keller
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Die Frage,
ob es eine basale „moralische Kompetenz“ gibt, die der Gattung Mensch
zueigen ist und ob diese Kompetenz auf Kognition oder Gefühl beruht,
wurde und wird gerade wieder in verschiedenen Disziplinen heftig
diskutiert. Ich werde dieser Frage unter ontogenetischer Perspektive
nachgehen. Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass Moral auf der
Bindung an Normen der Reziprozität beruht. Dies beinhaltet sowohl
kognitive Prozesse der Koordination von wechselseitigen Erwartungen
(Verschränkung von Perspektiven), wie auch motivationale Dispositionen
und ein Repertoire von Gefühlen, die mit der Verletzung von Reziprozität
einhergehen (z.B. die korrespondierende Struktur von Schuldgefühlen im
Selbst und Empörung im Anderen). Ich werde anhand von zentralen
Beispielen aufzeigen, wie sich die individuelle Entwicklung von
moralischen Vorstellungen und moralischen Gefühlen vollzieht. Diese
Beispiele können im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung von
Kognition und Emotion diskutiert werden.
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Die nächste Akademievorlesung der Reihe "Evolution von Moral":
- Donnerstag, 13.01.2011: "Naturalistische Ethik ohne naturalistischen Fehlschluss?" mit Eckart Voland und Gerhard Ernst