Sprache und Geschlecht
Was | |
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Wann |
24.01.2008 17:20
bis 27.04.2008 17:20 |
Wo | Artneuland e.V., Schumannstr. 18, 10117 Berlin |
Name | Katja Schulze |
Contact Email | berlinoffice@artneuland.com |
Kontakttelefon | +49 30 2804 7013 |
Teilnehmer | - Anisa Ashkar - Bernhard Garbert - Hannan Abu-Hussein - Dotan & Perry -, - Nurit Yarden - Stephan Weitzel - Ursula Neugebauer - Timm Ulrichs - |
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"Eine Zunge für sich allein. Sprache und Geschlecht " Projekt mit KünsterInnen und Intellektuellen als Trialog. Symposium und Ausstellung mit Video, Installation, Photographie und Performance
Die Geschlechter reden mit einander. Dennoch haben sie eine je eigene Sprache und Form der Kommunikation. Mehr noch: Die Sprache selbst gestaltet die Geschlechterrollen. Das gilt für alle Kulturen, in besonders hohem Maße jedoch für die drei Religionen des Buches – Judentum, Christentum und Islam. Deren Heilige Schriften beruhen auf alphabetischen Schriftsystemen oder haben diese hervorgebracht. Das semitische Schriftsystem war um ca. 1000 v. Chr. voll entwickelt und begleitete das Aufkommen der ersten monotheistischen Religionen. Das griechische Alphabet entstand nur zweihundert Jahre später und bildete später, zusammen mit der lateinischen Sprache, das wichtigste Vehikel der christlichen Mission. Beim Islam ging die Entststehung der Religion der Entwicklung des Schriftsystems voraus. Das arabische Alphabet war erst etwa zweihundert Jahre nach Mohammed voll entwickelt.
Allgemein implizieren phonetische Schriftsysteme eine Trennung zwischen Körper und Wort. Doch der Effekt war bei den drei Alphabeten nicht derselbe. Denn in einer Hinsicht unterscheiden sie sich: Zwei von ihnen, das semitische und das arabische Schriftsystem, schrieben ursprünglich nur die Konsonanten, während das griechische Alphabet auch die Vokale umfasste. Konsonantenalphabete haben zur Folge, dass Texte, die mit diesem Schriftsystem geschrieben sind, nur von denen gelesen werden können, die auch die Sprache sprechen, also wissen, welche Vokale eingesetzt werden müssen. Diese Notwendigkeit führte zu einer Bewahrung oraler Kultur sowohl in der jüdischen als auch in der islamischen Tradition. In beiden Fällen bildeten Text und gesprochene Sprache getrennte und dennoch komplementäre Formen der Kommunikation.
Was haben die Unterschiede der Alphabete mit der Geschlechterordnung zu tun? In allen drei Religionen wurde das geschriebene Wort mit Männlichkeit und Oralität mit Weiblickeit gleichgesetzt. Die Gelehrten des Mittelalters nannten die gesprochene Sprache ‘Muttersprache’, während sie den Text und die Lateinische Sprache als ‘Vatersprache’ bezeichneten. Da es aber Unterschiede im Verhältnis von Oralität und Schriftlichkeit gab, schlugen sich diese auch in der symbolischen Geschlechterordnung nieder. Während Weiblichkeit als ‘Inkarnation’ des gesprochenen Wortes in den griechischen und christlichen Traditionen eine Abwertung erfuhr, die der Abwertung des gesprochenen Wortes entsprach – das gesprochene Wort wurde mit Flüchtigkeit und Leichtgläubigkeit gleichgsetzt – erfuhr da Weibliche in den Kulturen der Konsonantenalphabete eine andere Bedeutung: Der weibliche Körper, der für die Vokale, die nichtgeschriebenen Zeichen, steht, verweist auf die ‚Leerstellen‘ des Alphabets, auf die ‚aufgeschobene physis‘, den ‚klingenden Körper‘, ohne den die Zeichen nicht zur Welt kommen können. Der weibliche Körper ist nicht Symbolträger der Offenbarung – die ist den Zeichen der Schrift und diese sind über die Beschneidung wiederum dem männlichen Körper eingeschrieben – aber er ist Symbolträger für das ‚Lautwerden‘ der Offenbarung, für die ‚sprechende‘, ‚mündliche Thora‘. Das bedeutet, dass die beiden symbolischen Funktionen – der männliche Körper als Symbolträger der Zeichen und der weibliche Körper als ein ‚Lautwerden‘ der Zeichen – aufeinander angewiesen sind. Die Laute ohne die Zeichen sind insignifikant, und andersherum können die Zeichen auch nur über die Laute ‚Bedeutung‘ erlangen. Dem Nebeneinander von Schriftlichkeit und Mündlichkeit entspricht deshalb eine symbolische Geschlechterordnung, der einerseits der Gedanke der Segregation, andererseits aber auch die Idee der Komplementarität eignet.
In dem Symposium soll auf der einen Seite das Verhältnis von Sprache und Schrift, in den drei Religionen des Buches und andererseits dessen Auswirkungen auf die symbolische Geschlechterordnung behandelt werden. Geschlechterrrollen können auf religiösen Vorgaben beruhen, aber sie üben auch Einfluss auf die säkulare Kultur aus.
Artneuland versteht sich als Ort für einen Trialog zwischen Kulturen, Medien und unterschiedlichen Ausdruckswelten. Artneuland versteht sich dabei als Brückenfunktion in Form eines künstlerisch-interdisziplinären Trialogs insbesonder zwischen den drei Eingott-Kulturen / Religionen. Artneuland versucht im Rahmen von Konferenzen, Podiumsgesprächen und Ausstellungen mit Fachleuten aus den Bereichen Philosophie, Sozialforschung, Bildende Kunst, Literatur und Musik, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und deren Ursache im Verhältnis von Ideen, Ideologien und Wirklichkeiten der drei Kulturen, zu durchleuchten. Artneuland ist eine Plattform für Kooperationen. Im Mittelpunkt stehen dabei thematisch festgelegte Projekte, die für die drei Kulturen gleichermaßen relevant sind und jeweils aus deren Sicht durch künstlerische und wissenschaftliche Beiträge gemeinsam reflektiert werden. Die Projekte bestehen in der Regel aus originären Ausstellungsbeiträgen in Photographie und Video, die aus der Reflektion zum jeweiligen Thema entstehen sowie einer angegliederten Konferenz mit Experten und Künstlern der drei Kulturen.