Vorlesung von Prof. Dr. Dr. h.c. Berthold Hölldobler, Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, School of Life Sciences, Center for Social Dynamics and Complexity, Arizona State University, Tempe (USA)
Moderation: Prof. Dr. Peter Weingart
Der Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky hat es 1973 treffend ausgedrückt: „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer im Licht der Evolution.“ Heute wissen wir, dass Evolution keine Theorie, sondern Tatsache ist. Über die Mechanismen des Evolutionsprozesses gibt es einige Theorien. Die am besten belegte davon ist Darwins Selektionstheorie. Aus deren Sicht schien es allerdings paradox, dass es im Tierreich Individuen gibt, die durch ihr Verhalten den eigenen Fortpflanzungserfolg senken, den Fortpflanzungserfolg der Nutznießer dieses Verhaltens aber erhöhen. Das ist die soziobiologische Definition des „Bioaltruismus“, ein auf genetischen Programmen beruhendes, dem Artgenossen dienendes, anscheinend nicht eigennütziges Verhalten.
Nirgendwo sonst ist der Bioaltruismus so hoch entwickelt wie bei sozialen Insekten. Hierzu gehören alle Ameisenarten, die sozialen Bienen und sozialen Wespen und alle Termitenarten. Deren extremer Bioaltruismus stellte für Darwin eine große Hürde dar, denn er stellte sich die Frage, wie solche Verhaltensweisen der scheinbar absoluten Selbstlosigkeit evolvieren können, wenn jene Individuen, die dieses Verhalten zeigen, keine Nachkommen haben und deshalb diese Eigenschaften nicht vererben. Darwin wusste, dass er dieses Problem lösen musste, wenn seine Theorie der Evolution durch natürliche Selektion bestehen sollte.
Schließlich fand er mit genialer Intuition die Lösung des Problems. Es dauerte jedoch über hundert Jahre, bis man die populationsgenetischen Grundlagen der Evolution des sozialen Verhaltens und des Altruismus weitgehend verstanden hat. Und doch debattieren Evolutionsbiologen weiterhin über die Selektionsmechanismen, die der Evolution von Tiersozietäten zugrunde liegen: Wo greift die Selektion an? Genügt das extrem reduktionistische Modell der „Gen-Selektion“ (selfish gene theory), oder müssen wir postulieren, dass die Selektion an mehreren phänotypischen Ebenen wirkt (multi-level selection)? Eine Antwort auf diese Fragen ist wichtig, wenn wir uns weiter mit der Evolution von Gruppenkonkurrenz und der Ablehnung von Gruppenfremden beschäftigen wollen.
In der Tat, wo immer in der Natur wir kooperative Gruppen finden, gibt es auch das Diskriminieren und Ausgrenzen von Gruppenfremden. Empirische Daten und theoretische Modelle legen den Schluss nahe, dass Konkurrenz zwischen Gruppen die Evolution von Kooperation und Altruismus innerhalb der Gruppe fördert. Je stärker die Zwischengruppenkonkurrenz desto fester sind Kooperation und Altruismus innerhalb der Gruppe ausgeprägt. Schließlich wollen wir die Frage stellen, inwieweit wir aus diesen biologischen Erkenntnissen Schlussfolgerungen zur Evolution von Kooperation und Gruppen-Aggression beim Menschen ziehen können. Wenn wir die evolutionsbiologischen Wurzeln des menschlichen Verhaltens erörtern, sollten wir uns jedoch immer über eines im Klaren sein: Das >Ist< bestimmt nicht notwendigerweise das >Soll<.
Die Akademievorlesung „Koevolution von
Technik, Wirtschaft und Gesellschaft“ findet im Rahmen des Jahresthemas
2009|2010 „Evolution in Natur, Technik und Kultur“ statt.
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.