Berlin, den 9. Dezember 1885
Euer Kaiserliche und Königliche Majestät haben seiner Zeit Kenntnis davon zu
nehmen geruht, dass durch das im Mai d. J. erfolgte Ableben des Kanzlers und
Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. von Goßler in Königsberg
und des Oberburggrafen Grafen von
Keyserlingk auf Rautenburg von den vier großen Hofämtern im Königreich Preußen zwei zur Erledigung
gekommen sind. Bei der Frage der anderweiten Verleihung derselben dürfte
zunächst in Betreff der Kanzlerwürde das in dem Marginalie: Königliche Haus-Sachen IV
8.
[Schließen]Bericht meines Amtsvorgängers vom 31. August 1869 erwähnte Herkommen in Betracht zu ziehen sein, wonach mit
Rücksicht auf die früher mit derselben verbunden gewesenen juristischen Funktion
die Würde entweder einem der Präsidenten der in der Provinz vorhandenen
Landesjustizkollegien verliehen oder bei dem Mangel einer geeigneten
Persönlichkeit gänzlich ruhen geblieben ist. Wird an diesem Herkommen, von
welchem übrigens in früherer Zeit mehrfach Abweichungen vorgekommen sind,
festgehalten, so würde für die Kanzlerwürde nach augenblicklicher Lage der
Verhältnisse wohl nur der Oberlandesgerichtspräsident von Holleben in Königsberg, welcher dieses Staatsamt seit dem 1. Oktober d. J.
bekleidet, in Frage kommen können. Da derselbe indes durch seine Ernennung zum
Oberlandesgerichtspräsidenten erst vor ganz kurzer Zeit eine Allerhöchste
Auszeichnung erfahren, so möchte Ew. Majestät ich alleruntertänigst anheim
zugeben gestatten, von anderweiter Verleihung der erledigten Kanzlerwürde zur
Zeit noch abzusehen und diese Frage einer späteren Erwägung vorzubehalten.
Was sodann die Würde des Oberburggrafen betrifft, so ist bei ihr wie bei den beiden anderen großen Hofämtern die herkömmlichste Voraussetzung, dass der mit ihr zu Begnadigende einer alten grundbesitzenden und angesehenen Familie der Provinz Preußen angehört. Um aus dem Kreis der für die Würde geeigneten Personen, bei welchen die Voraussetzung zutrifft, in seiner engeren Begrenzung kennenzulernen und für die Ew. Majestät ehrfurchtsvollst zu unterbreitenden Vorschläge eine Unterlage zu gewinnen, hatte ich den Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen v. Schlieckmann ersucht, nach seiner näheren Kenntnis der Verhältnisse und unter Darlegung derselben mir mitzuteilen, welche Personen nach seinem Dafürhalten bei Wiederbesetzung der Oberburggrafenwürde wohl ins Auge zu fassen sein möchten.
Unter Hervorhebung des Umstandes, dass die großen Hofämter im Königreich Preußen in dem engsten Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung der Provinz stehen, und deshalb in der Berufung eines Eingesessenen der Provinz zu einem solchen Hofamte von jeher nicht nur der Begnadigte selbst, sondern gewissermaßen die ganze Provinz eine hohe Ehre erblickt habe, sowie mit Erwähnung der in maßgebenden Kreisen der Provinz bestehenden Auffassung, wonach ein besonderes Gewicht darauf gelegt werde, dass die betreffenden Würdenträger in der Provinz Preußen ihren ständigen Wohnsitz haben und in hervorragender Weise an der Förderung der Angelegenheiten und an Wahrung der eigensten Interessen der Provinz teilnehmen, hat der Oberpräsident als solche Personen, bei denen diese Voraussetzungen zutreffen, genannt:
- 1. den Grafen zu Eulenburg-Prassen,
- 2. den Grafen von Dönhoff-Friedrichstein,
- 3. den Grafen von Kanitz-Podangen, und aus nichtgräflichen Familien
- 4. den Freiherrn Mirbach-Sorquitten und
- 5. den Freiherrn von Tettau-Tolks.
In Betreff der zu 1 bis 4 genannten Personen enthält sich aber der Oberpräsident eines bestimmten
Vorschlags, weil er dieselben für die Verleihung eines großen Hofamtes noch für
zu jung erachtet. Dagegen steht der Einwand der Jugend nicht mehr dem Freiherrn
von Tettau-Tolks entgegen, welcher im Jahr 1810 geboren, 1834 die seit
Jahrhunderten im Besitz seiner Familie befindlichen Tolksschen Lehngüter übernommen hat und aus
denselben eine jährliche Einnahme von mehr als 30.000 M bezieht. Zu dessen
Amtszeit und Wirken: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv
Lehndorff-Steinort, Nr. 852. Hier fälschlich Carl Friedrich Ludwig von
Lehndorff zugeschrieben.
[Schließen]Von 1836 bis jetzt ist er Mitglied des Kreistages und
Kreisdeputierter gewesen, hat in den Jahren 1855 bis 1861
dem Landtage angehört, VGStA PK, XX. HA, Rep. 54
Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 889 und 943. In dieser Funktion
erstattete er den Bericht der Eisenbahnkommission über den Gesetzentwurf
betr. die Aufnahme einer Anleihe in Höhe von 40 Millionen Talern, 1868.
[Schließen]1866 ist er in das Herrenhaus
berufen, und wie in den Jahren 1876 bis 1881 ist er auch jetzt wieder
Mitglied des Deutschen Reichstages.
Dem auf den Freiherrn von Tettau-Tolks gerichteten Vorschlage des Oberpräsidenten glaube ich meinerseits nicht beitreten zu können, da ich bei aller Anerkennung des untadeligen Charakters und der Würdigkeit des Vorgeschlagenen diesen doch als die für ein großes Hofamt geeignete Persönlichkeit nicht erachten kann.
Wenn aber abgesehen von dem Freiherrn von Tettau auch nach der Ansicht des Oberpräsidenten unter denjenigen hervorragenden Persönlichkeiten, welche ihren ständigen Wohnsitz in der Provinz haben, zur Zeit keine für die Würde des Oberburggrafen zu nennen ist, so gestatte ich mir Ew. Majestät Allergnädigster Erwägung ehrfurchtsvoll anheimzustellen, ob Allerhöchstdieselben etwas die Gelegenheit benutzen wollen, dem gleichfalls der Provinz Preußen durch Familie, Geburt und eigenen Grundbesitz angehörigen Generaladjutanten Grafen von Lehndorff durch Verleihung der gedachten Würde eine besondere Auszeichnung zuteil werden zu lassen.
Das von dem Oberpräsidenten aufgestellte Erfordernis eines ständigen Wohnsitzes in der Provinz
möchte ich nicht als unerlässlich anerkennen und darf mich zur Begründung der
entgegengesetzten Auffassung darauf berufen, dass gerade die Würde eines
Oberburggrafen auch schon an Personen verliehen worden ist, welche ihren
persönlichen ständigen Wohnsitz nicht in der Provinz Preußen gehabt haben, Vgl. in der Akte, Bl. 7-8, 9-10 und 14-15, wegen
Neubesetzung der Stelle nach dem Tode v. d. Groebens den Immediatbericht
von Brenn vom14. Mai 1833 sowie Berichte Schöns vom 30. März 1833 und
20. Dezember 1833. Schöns Vorschlagsliste für die Würde des
Oberburggrafen nannte neben Graf Dohna-Wundlacken und Graf Fink von
Finkenstein auf Jäschkendorf an 3. Stelle den ihm vom Obermarschall Graf
Dönhoff benannten „Kammerherrn Grafen von Lehndorff auf Warglitten. Er war früher
Legations-Rat, bei den Gesandtschaften an verschiedenen Höfen, nahm
seinen Abschied und lebt seit mehreren Jahren in der höchsten
Zurückgezogenheit auf seinem Landgut. Seine Vermögenslage ist gut,
welches er besonders dadurch bewirkt hat, dass er seit mehreren
Jahren sich von aller Gesellschaft und allen Verbindung zurückzog
und in der größten Einsamkeit lebte. Sein Ruf ist gut und wenn er in
die Welt tritt, erscheint er wie ein anständiger Mann.“ Nach
Brenns Dafürhalten war jedoch „keiner von diesen Vorgeschlagenen
so ausgezeichnet, dass es erforderlich
scheinen möge, ihn durch die Verleihung einer solchen Würde zu
begnadigen. Auch dürfte dieselbe vielleicht dem Grafen von
Finkenstein und dem Grafen von Lehndorff, da beide sich auf ihre
Güter zurückgezogen haben und sich als Grafen bereits auf einem
ehrenvollen Standpunkte befinden, nicht einmal wünschenswert
erscheinen; für den Oberpräsidenten von Schön selbst aber, da dieser
bereits Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz ist,
nicht als eine Beförderung zu betrachten sein.“ Der König
verlieh am 3. Juni 1833 die Oberburggrafenwürde dem Wirklichen Geheimen
Rat Graf zu Dohna auf
Schlobitten (Bl. 11). In seinen Bericht vom 20. Dezember
1833 wegen Besetzung der Landhofmeisterstelle und Nachrücken der anderen
Stellen nannte Schön für die Oberburggrafenwürde „jetzt nur noch
den General-Lieutenant außer Diensten Grafen Lehndorff auf
Steinort
“.
[Schließen]so namentlich im Jahr 1823 an den Hofmarschall Seiner
Königlichen Hoheit des hochseligen Prinzen Wilhelm von Preußen, Grafen von der
Groeben.
Indem ich alleruntertänigst bemerke, dass der Minister des Innern, dem ich mit Rücksicht darauf, dass die Inhaber der großen Hofämter im Königreich Preußen auch Mitglieder des Herrenhauses sind, meine Absicht Ew. Majestät in dem vorgetragenen Sinne zu berichten, mitgeteilt habe, mir sein und des Staatsministeriums Einverständnis damit erklärt hat, stelle Euer Kaiserlichen und Königlichen Majestät ich die Allerhöchste Entschließung und eventuell den Befehl wegen Vorlage der erforderlichen Entwürfe ehrfurchtsvoll anheim.
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