Arrendsee, 14/6.83
Meine Anna, geliebte!Sie bittet Anna, künftig schwarze Tinte auf weißem Papier zu verwenden, da sie blaue Tinte nicht mehr selbst lesen könne und Vorlesen sie um den Genuss des eigenen Lesens bringe.
Siehe die Anmerkungen zum Dokument vom 1. Januar 1870 sowie die
Dokumente vom 4. September
1875 und 5. November
1887.
[Schließen]Dass die medizinischen Versuche an Onkel
Albert, Ina und
Elise fruchtlos geblieben sind,
habe ich Dir schon mitgeteilt, gebe aber gern zu, dass ihre Nutzlosigkeit auch
auf die kurze Dauer derselben zurückzuführen sein kann. Onkel Albert und Ina
wollen wir auch einfach darin aufgeben, denn beide würden doch nicht zu
regelmäßigem Gebrauch zu bringen sein. Elise dagegen würde es, wenn Du nur nicht
immer gleich ein Schock Mittel anraten wolltest! Ich glaube auch in Wahrheit,
Geliebte, dass das mehr eine Rechthaberei von Dir und keineswegs eine
Notwendigkeit ist. Ja denke einmal, was Du Elise alles verordnetest: den ganzen
Tag alle viertel Stunden abwechselnd eine verschiedene Arznei; bei jeder
Mahlzeit, davon im Lauf des Tages doch vier bis fünfe vorkommen, eine Zahl
Streukügelchen, eine Einreibung in der Herzgrube, eine dito in der Magengrube,
eine im Genick. Tägliche Gurgelungen. --- Ja Du denkst: viel hilft viel. Und hat
man sich nun an diese Unsumme von Verordnungen, sie befolgend, gewöhnt, so fängt
nach einer Woche eine neue Serie an. Ja siehst Du, daran muss es ja leider
scheitern, denn wer hat dazu Zeit und Gedanken, es sei denn, dass er bereits
fast auf dem Krankenbette läge und den ganzen Tag nichts zu tun hätte, als alle
diese Verordnungen, wie so eine Art Patiencespiel auszuführen. Weil mir aber
nun, ernstlich gesprochen, die Sache sehr wichtig und Elisens Hals mir sehr am
Herzen liegt, so möchte ich Dich wirklich fragen, ob sich die Behandlung nicht
auf weniger unklare Normen zurückführen ließe? Das Leiden ist eine nun schon
lange dauernde, nicht gerade heftige Entzündung im Kehlkopf, der Hals ist
inwendig etwas gerötet, der Arzt meint, die Stimmbänder hätten sich etwas
gelockert. Darauf lässt auch die veränderte Stimme schließen, die besonders des
Morgens nicht bloß nüchtern, sondern ebenso auch nach dem Genuss des Frühstücks
noch belegt ist, als wenn viel Schleim im Halse wäre, der übrigens nicht da ist.
Wenigstens wirft sie nie aus und hat auch keinen eigentlichen Reiz zum Husten,
sondern nur manchmal ein Kitzeln im Halse. Ich bin nun wirklich ganz
entschlossen, und sie nimmt es dankbar an, sich die Kur von Matthei brauen zu
lassen, und ich bitte Dich, da Du ja doch immer die ganze Apotheke mit Dir
führst, mir die nötigen Mittel gegen pünktliche Barbezahlung zuzuschicken. Aber
nicht wahr, Du bis so liebevoll, mir nicht wieder auf eigene Bestellung nach
Regensburg anzuweisen, denn da
werden die Kosten gleich immer so groß, dass ich mich da hinein nicht versteigen
will. Du dagegen, Geliebte, sollst auch nicht einen Groschen Unkosten davon
haben. Die große Streukugel-Konsumtion erfordert natürlich eine größere Zahl
Fläschchen, was ich freundlich bei der Sendung zu berücksichtigen bitte.
Von meinem geliebten Heinrich hatte ich heute einen Brief, der mich doch recht deprimiert, wie sehr er sich auf diesen Aufenthalt in Lausanne gefreut hätte, und wie es nun so triste und einsam für ihn verlaufe. Denn während seine Kameraden das schöne Wetter zu Ausflügen in die herrliche Gegend fleißig benutzen, daure seine Einkerkerung noch immer fort. Der Fuß bessere sich zwar, werde aber doch wohl noch 14 Tage bis drei Wochen zu seiner völligen Herstellung brauchen. So aber hieß es schon vor 14 Tagen und nun wieder ebenso! Das belastet natürlich mein Herz mit der bangenden Sorge, dass die ganze Sache sich noch recht sehr viel weiter hinziehen wird. Tröstlich aber ist es mir jedenfalls, dass er sich das Leiden nicht durch tollkühne Vermessenheit mutwillig herbeigezogen hat, wie ich dies zuerst verstanden zu haben glaubte, als ich dachte, er hätte zum Spaß den schrecklichen Sprung gewagt, denn dass er bei einbrechender Dunkelheit den Strand entlang lief, setze ich natürlich nicht in diese Kategorie, namentlich für einen jungen Menschen von 18 Jahren nicht. Gott wolle es alles gnädig leiten, und meine bange Sorge schließlich in fröhlichen Lobpreis verwandeln.
Schreibe Du mir nun aber bitte auch außer medizinaler Besprechung noch etwas ausführlich über Dich selbst, deinen Aufenthalt in Kuchelmiß und deine Umgebungen dort, und wie Agnes sich dort gefällt. Änny und Carl, schreibt mir Magdalena, sollen ja schon seit dem 13. in Steinort sein. Ist das Datum von Friedrich Franz seiner Hochzeit schon bestimmt und dito das Eurer Abreise nach Gastein? Ina schwelgt förmlich in dem ihr so zusagenden Aufenthalt in Franzensbad, und ist sehr entzückt von mehreren liebenswürdigen weiblichen Bekanntschaften, die sie dort gemacht. Onkel Albert grüßt herzlichst.
Leb wohl mein liebes Herz. Deine T. R.Wie geht es Carls Stimme?
Zitierhinweis