Steinort, den 1. Juli 1811

  Editorische Auslassung [...]

ich war gerade auf der Brandstätte des in Flammen stehenden Dorfes Labab, welches leider fast ganz ein Raub des verheerenden Blitzes geworden, und suchte durch Trost und Versprechung die Tränen der Verunglückten zu stillen   Editorische Auslassung [...] .

Die dürren und zusammengedrängten hölzernen Häuser entzündeten sich so rasch, dass es den erschrockenen Einwohnern gänzlich unmöglich ward, auch nur das Allergeringste von ihrer Habe zu retten, und 10 Familien mit einer großen Menge Kinder haben nichts erhalten als das, was sie gerade auf dem Leib hatten. Auch einiges Vieh und mehrere Pferde, welche gerade zu Hause waren, sind verbrannt. Doch ist der größte Teil desselben gerettet, da es auf der Weide war. Manche Zufälle, an denen es bei einer solchen unglücklichen Gelegenheit nie fehlt, konkurrieren noch, um den Schaden zu vergrößern. Die mehrsten Wirte waren der Heuernte wegen noch im Felde nebst ihren Knechten und Weibern. Was nicht zur Arbeit taugte, eben daher aber auch gar keines Entschlusses oder Hilfe fähig war, hütete zu Hause die Kinder. Die bevorstehende schlechte Ernte hatte die Leute bewogen, so viel Getreide zu ersparen und (nächst dem Argument der schlechten Preise) so viel als möglich zu künftigem Jahre zu verwahren, so dass über 300 Scheffel Getreide mit verbrannten. Die durch die Dürre schlecht gewordene Weide hatte die Leute bewogen, ihr Jungvieh im Stall zu füttern, da sie vom vorigen herrlichen Jahre noch Futter übrig hatten, und so ist manches umgekommen, was vielleicht unter anderen Umständen hätte gerettet werden können.   Editorische Auslassung [...] Es sind zusammen 16 Gebäude aller Art vernichtet, und es gereicht mir zum Troste, ohne Egoismus mir selbst sagen zu können, dass ich und Berent die übrigen und das Vorwerk gerettet haben. Denn denke Dir, dass, als wir kaum 15 Minuten nach ausgebrochenem Brande hingeeilt kamen, alles dem Brande zusah, der im Begriff war, auch die vor dem Winde gelegenen Häuser anzugreifen, ohne retten zu wollen, weil sie behaupteten, dass Feuer, von Gott gesandt, niemand retten dürfe!

Ich weiß nicht, ob ich nicht lieber das sehr baufällige und jetzt leere Vorwerk verloren hätte, welches doch in wenigen Jahren ausgebaut werden muss und höchsten aus 5-6 Gebäuden besteht, als diese Bauern-Etablissements. Es hätte die Wirtschaft, welche hier so sehr auf Bauerndienste berechnet ist, weniger derangiert.   Editorische Auslassung [...] Es hört sich so leicht an, wenn man sagt: „Es ist ein Bauerndorf abgebrannt!‟ Alle Fatalitäten und Umstände, welche ein solcher Unfall mit sich bringt, fühlt eben nur der, welchem es geschieht. Noch habe ich keinen rechten Beschluss gefasst, wo ich die Menge Menschen mit allen Kindern und Dienstleuten, jetzt ohne Brot und Bekleidung, unterbringe. Ich werde mein Ross besteigen und Anstalten treffen.

Deine Berliner Nachrichten, meine Pauline, sind sehr wichtig und interessant. Ich hoffe, dass die Märker mehr Blut in den Adern haben werden, als die Preußen. Künftig mehr darüber.   Editorische Auslassung [...]

Dein treuer Bruder Carl

Zitierhinweis

Carl Friedrich Ludwig Graf von Lehndorff an Pauline Gräfin von Dönhoff. Steinort, 1. Juli 1811. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_kp3_r4c_wcb