Berlin, den 18. März 1840

Mein Hochgeehrter Graf,

Ihren gestern empfangenen Brief beehre ich mich möglichst schnell zu beantworten und Ihnen bestens für denselben zu danken. In der Tat habe ich Ihr früher an mich gerichtetes Schreiben leider nicht empfangen, und ich würde des unverzeihlichsten Leichtsinns, dasselbe nicht sofort zu beantworten, gewiss mich nicht schuldig gemacht haben. Seit Sie mit Pauline Berlin verließen, sind allerdings, nebst den immer wiederholt von dem von Ihnen und uns gleich hoch verehrten Landstallmeister von Burgsdorff und anderen ausgesprochene Versicherungen von Paulines gänzlicher Wiederherstellung, die traurigsten Nachrichten uns zugegangen über Ihr gegenseitiges eheliches Verhältnis. Indes entsprechend meiner Ihnen bekannten Ansicht, dass keinem, und sei er der nächste, das entfernteste Recht zustehe, in das Heiligtum der Ehe des anderen sich zu mischen, habe ich mir niemals ein anderes Wort erlauben zu dürfen mich berechtigt gehalten, als die einfache Beantwortung der Briefe meiner Schwester und der darin berührten Fragen. Auch in diesem Augenblick und nach Empfang des von Ihnen vermuteten Schreibens Ihrer Frau an mich steht meine Ansicht ganz ebenso fest, wie ich früher mich beehrt habe, dieselbe Ihnen, mein Hochgeehrtester Graf, auszusprechen, und welche ich in Beziehung auf die jetzt eingetretenen Verhältnisse detaillierter zu wiederholen mir erlaube, nachdem ich erwähnt, dass ich, Ihrem Wunsche gemäß die  im Sinne von Zugehfrau?
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  Unleserliche Stelle [...] Frau
Walter augenblicklich aufgesucht, in deren Wohnung aber erfahren habe, dass sie eine Kranke nach Breslau begleitet und von dort in vier Wochen zurückkehrt.

Ich halte jede Scheidung an und für sich für das Unglücklichste, was einer Frau begegnen kann, den Wunsch danach, wenn nicht gerade Leben und Gesundheit, wie dies in der  Adelheid Constanze Gräfin von Schlippenbach war seit 1824 mit Heinrich Gustav Gottlob von Reichenbach-Goschütz verheiratet. 1832 war die Ehe geschieden worden. Mit ihr hielt Pauline Lehndorff sich 1839/40, möglicherweise auch noch später in Dresden auf, vgl. GStA PK, XX. HA, Rep. 54, Nr. 353 und 444 und den am 16. Juli 1843 ausgestellten Reisepass für ihren Sohn Carl Meinhard, der in Begleitung des Bruders Heinrich „in Familienangelegenheiten“ nach Dresden reiste, ebd. in Nr. 555.
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Ehe meiner Schwester Reichenbach
der Fall war, gänzlich auf dem Spiel stehen, für etwas Unnatürliches und Unverantwortliches von seiten der Frau, und vielfach mehr in einer mit Kindern gesegneten Ehe. Deshalb auch werde ich für meine Person niemals meiner Schwester zu solch einem Schritte die Hand bieten. Ist Pauline, wie ich mit Gewissheit annehmen muss, gänzlich hergestellt, so ist es Gottes Ordnung, dass sie in Liebe, Sanftmut und Betrieblichkeit dem Willen des Mannes sich füge und dadurch das Einzige sich bewahre, was eine verständige Frau über alles hoch halten soll: das ruhige stille Leben für Gatten und Kinder. Und da sie ja doch fünfzehn Jahre lang Ihnen eine liebende, zärtliche, treue Frau gewesen, und ihren Kindern eine ähnliche Mutter, so ist es gewiss auch unerlässlich, wenn gleich keine leichte Pflicht, den etwa in Folge der Krankheit noch zurückgebliebenen Zustand von Aufregung mit Nachsicht und Duldung zu tragen. Denn man gelobt ja doch in der Ehe sich nicht nur Beistand und Schutz in glücklichen Tagen, sondern auch Beistand in Not und Tod. Träte der traurige Fall nun ein, dass Ihre Frau jenes ihr höchste Gut nicht als solches erkannte, so sagt mir, verzeihen Sie, mein Hochgeehrter Graf, mein eigenes Gewissen als Ehemann, das überhaupt über Pflichten der Art in jedem Manne laut und bestimmt spricht, dass es des Mannes Sache ist, auf jedem ihm angemessen scheinenden Wege die Frau dahin zurückzuführen. Sollte sie, in falscher und verkehrter Ansicht, gebannt von ihren Kindern, glücklicher sich fühlen zu können wähnen, so wäre das eine Meinung, die von meinem Verstande wie von meinem Herzen gleich eisig abgleiten würde. Wenn Sie, mein geehrter Graf, in Ihrem Schreiben sagen, Pauline habe Ihnen geäußert, sie habe mich oder meinen Bruder Albert „zu Ihrer Hilfe‟ herbeigerufen, so kann von meiner Seite solche Hilfe nur bestehen in der flehentlichen Bitte, jede Scheidung ihrerseits bestimmt zu verweigern, auf alle Weise unter der Bedingung des Zusammenlebens mit den Kindern Ihrem, des Ehemanns Willen, in jeder Hinsicht mit Sanftmut sich zu fügen, und jeden Augenblick in wahrer Demut Gott anzuflehen um Beistand zur Erfüllung ihrer Pflichten. Behilflich sein zu Feststellung einer Scheidung, die das Heiligste, Mann und Kinder, als Nebensache behandelt, kann keinem Ehemann zugemutet werden, und meine Hände werden nimmer in solches Werk sich mischen.

Käme es, ganz gegen meine allerentschiedenste Ansicht, dennoch zu einer Scheidung zwischen Ihnen und Pauline, so ist das zarteste Verhältnis gänzlich entheiligt, dasselbe meiner Meinung nach dann am geeignetsten den königlichen Gerichtsbehörden überwiesen, und in diesem traurigst denkbaren Falle  Vgl. GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 655: Korrespondenz des Grafen Lehndorff wegen Geisteskrankheit seiner Frau Pauline, 1838, Nr. 919: Notizen des Grafen zu Geschichte und Verlauf, medizinisches Gutachten, ca. 1838.
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müsste ich meine Schwester selbst für wahnsinnig halten,
wenn sie, mehr als auf irgend andere Dinge, nicht fest und unumstößlich darauf bestände, beide Töchter, wie das Gesetz für gleichschuldige Teile es vorschreibt, sich zugesprochen zu sehen für immer.

Ich habe meinen  Schlippenbach war seit 1838 mit Emma von Scheel-Plessen verheiratet.
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Bruder Albert dringend gebeten, von Sierhagen in Holstein, wo er gegenwärtig bei seinem Schwiegervater, Graf Plessen, sich aufhält,
nach Königsberg sofort zu gehen, und wenn er es verweigern sollte erklärt, dass ich selbst trotz vieler mich behindernder Verhältnisse bereit sei, Paulines Wunsch in dieser Hinsicht zu willfahren. Zu welchem Nutzen aber, bei meinen über den Punkt der Scheidung feststehenden Ansichten, vermag ich nicht wohl einzusehen.  Vgl. APO, Bestand 382 FA Lehndorff, Nr. 374, Schlippenbachsche Briefe, u. a. von Wilhelm Graf von Schlippenbach, an Pauline (1828-1841).
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Dieselben in diesen Zeilen dargetanen Ansichten spreche ich heute in meinem Schreiben an Pauline aus.
Sie dauern mich beide so unaussprechlich in dem so unglücklich gestalteten ehelichen Verhältnis, während ich in meiner eigenen Ehe unbedingt das einzige wahre Glück des Lebens erkenne, dass ich keine Worte habe für den Ausdruck meines Mitgefühls. Möge der Himmel noch Ihren gegenseitigen Sinn leiten zu einer freundlichen Vereinigung, das ist mein heißester und dringendster Wunsch, in dem ich heute Ihrem ferneren verwandtschaftlichen Wohlwollen mich empfehle, mein hochgeehrtester Graf, als

Ihr ergebener Freund und Schwager Wilhelm Gr. Schlippenbach

Zitierhinweis

Wilhelm Graf von Schlippenbach an Carl Friedrich Ludwig Graf von Lehndorff. Berlin, 18. März 1840. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_m42_zs3_wz