Gastein, 1. August 1885
Mein verehrter und lieber Herr Hofprediger.Die Situation ist sehr ernst, ernster als ich befürchtet. Seine Majestät hat seit den 12 Tagen, die er hier, Kögel noch nicht einmal rufen lassen, was noch nicht vorgekommen. Er ist ihm, als er zu Mittag geladen war, aus dem Wege gegangen, er wendet sich ab und bricht ab, wenn man Ihren Namen nennt, er hat von hier aus Ihnen den Wink geben lassen, ohne es mit Kögel vorher zu besprechen. Es ist auch nicht Wilmowskys sondern ein Versprechen der Kaiserin erbeten und, wie ich höre, gegeben, als Ihnen dieser Antrag gestellt wurde, um einen gnädigen Abschied zu bewilligen, anderenfalls, wie wir alle fürchten, selbst dieser nicht zu erlangen sein dürfte. Was nun zu tun, einmal in Erwägung zu ziehen, ob Sie den Juden den Gefallen tun und die Hofpredigerstelle in den Wind schlagen, denn dahin geht ihr Geschrei – oder es würde nur die Möglichkeit bleiben, dass Sie wie Ritter George, eine Zeitlang dem politischen Treiben entrückt, sich stählten zu künftiger Arbeit, oder aber Sie fühlen, dass es Gottes Wille auch jetzt als Missionar der Gott entfremdeten Massen zu wirken, wozu Sie entschieden Beruf und Begabung von Gott empfangen haben. Dann müssten Sie selbst um Ihren Abschied einkommen. Da würde ein gnädiger Abschied wohl zu verlangen sein. Der geliebte Kaiser ist nun einmal kein Kind dieser, sondern der alten Zeit, alles was außergewöhnliche Bahnen wandelt, zumal, wenn es mit ihm im Zusammenhang steht, verletzt seine sensitive Natur, wenn es so in den öffentlichen Schmutz gezogen wird, wie der niederträchtige Judengenosse es jetzt mit Ihnen tut.
Dass die christlich-konservative Partei so weit positiv
zu Ihnen steht wie ein Mann, dass versteht sich von selbst, aber wenn Sie
losgelöst vom Schirm des Kaisers weiter arbeiten, gehört Selbständigkeit des
Urteils und des Charakters dazu, um dann zu Ihnen zu stehen, und Sie wissen
selbst, wie viel davon bei den Massen zu finden sein
wird. Es wird also auch da ein Riss entstehen, und ob das Werk schon so weit
gestärkt ist, um das Prestige, welches mit dem Namen des Kaisers verbunden ist,
zu entbehren, dass muss die Zeit lehren. Wie sehr ich es hoffe und wünsche, dass
die selbständige christlich-konservative Gesinnung wachse quand même, das
brauche ich Ihnen, mein teurer Hofprediger, wohl nicht erst zu sagen. Gott gebe
dem Frühling ferneres Gedeihen, selbst wenn ein Reif auf die jungen Blüten fällt
- aber Gefahr ist immer dabei, auch wenn man Kirchen nicht für seinen Arm hält.
Denn Ihnen liegt ja an der Sache, nicht an der Person,
das weiß ich. Der gute Kögel schläft schon seit 14 Tagen nicht aus Sorge für
diese Sache, und wie tief es ins Herz treffen wird, wenn der geliebte Herr
diesen falschen Schritt tut, den ich für die christlich-konservative Sache im
tiefsten Herzen beklagen müsste. Denn des Kaisers Name und Person bedeutet dem
Volke noch Gott sei dank christlich-konservative Gesinnung, und Jubel aller
schlechten Elemente im Staat würde den Schmerzensschrei der loyalen Herzen
übertönen. Sie könnten das kaum tiefer empfinden wie ich - aber in der
berechtigten Sorge, die Sachlage zu verschlimmern, ist es eine schwere Frage was
tun. Ich habe mir heute Wilmowskys Besuch erbeten. Morgen, meint Kögel, werde
die Sache wieder zum Vortrag kommen. Ich will ihm die Gefahren zeigen, die aus
diesem Schritt erwachsen, damit er sie beim Kaiser anzeige. Mein Schwager hat an Bismarck geschrieben, dass dieser wenn möglich sein Veto
einlege. Albedyll hat Wilmowsky auch
gewarnt, dass wir tun, was nach Kenntnis der Sachlage allein zu tun möglich,
nicht wahr, mein teurer Herr Hofprediger, das glauben Sie ohne Worte. Den Rat,
den ich Ihnen, durch entremise der Frau von Hengstenberg, auf Kögels Meinung gestützt, geben ließ, konnte
ich nicht direkt geben, weil solches alles hier zu Ohren kommt und schaden kann,
und ich bitte Gott heiß und innig wirkliche Hilfe bringen zu können, aber nicht
zu schaden durch einen falschen Schritt. Dass es mir nicht darauf ankommt, meine Stellung bei dem geliebten Kaiser zu
verschlechtern, dazu kennen Sie mich hoffentlich zu gut. Ich liebe ihn viel zu
aufrichtig und bin so durchdrungen von dem einen, worin unser Heil und das
seinige besteht, dass es mir, wenn ich mit Erfolg warnen kann, nicht darauf
ankäme, wenn er mir zurate, aber auch hier ist die Person nichts, die Sache
alles und es kann durch unzeitiges Einmischen viel verdorben werden, da dann
sein Oppositionsgeist wachgerufen wird und ein Widerspruch von ihm, in dem
schnellen Entschluss des Unmuts getan, viel verderben kann, was vielleicht noch
zu erreichen wäre. Hinziehen wie Sie und wir mit Ihnen es wünschen, ist bei dem
pünktlichen Sinn des Kaisers nicht zu erreichen. Wenn Sie ihm durch Willmowsky
schreiben, in kindlichem Sinne an sein landesväterliches Herz appellieren, ihm
vorhalten, dass sein Wort: Die Religion soll dem Volke erhalten bleiben,
erinnert, was bei der Kirchenlosigkeit Berlins und der Volksmassen heute nicht
mehr durch sonntägliche Predigten, sondern durch Predigten gleich den Aposteln
innerhalb des neu geborenen und durch die Aufhebung des Taufzwanges
sanktionierten Heidentums geschehen könne, dass Gottes Segen sich in dem großen
Erfolge deutlich ausspräche, und dass die Feindschaft aller unchristlichen
Mächte im Staat dagegen, die Zustimmung aller christlich-konservativen Elemente
ein deutlicher Beweis dafür, dass Ihr Wirken dem bösen Feinde, der das Volk
zerstöre, Abbruch tue und der Wunsch des Kaisers sich mehr und mehr erfülle,
dass neue ernste Zeiten auch neuen Bahnen weisen, die beschritten werden müssen,
nach dem Wort des Apostels zu predigen zur Zeit und zur Vorzeit, und dass das
Wort gleich zu Luthers Zeiten gegen den sich auch alles hergebrachte Der
weitere Text läuft am Rand der Blätter weiter und ist nicht zu
entziffern.
[Schließen]aufgelehnt
Unleserliche Stelle [...]
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