Leibniz-Objekt des Monats

April 2016: Leibniz und die "Termini Technici" der "teutschen Sprache"

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„Die Terminos technicos zu erhalten, womit die teutsche Sprache recht zu faßen“

Wenige Wochen nach dem 11. Juli 1700, an dem mit dem „Stifftungs-Brieff“ die Gründung der Berliner Sozietät der Wissenschaften erklärt worden war, notierte Leibniz einige Gedanken über die zukünftigen Aufgabenfelder der Sozietät. Unter Punkt 11, der mit den in der Überschrift zitierten Worten beginnt, formuliert er seine Vorstellung von der lexikographischen Arbeit, die die Sozietät zu erledigen haben werde.

 

 image00003.jpgimage00004.jpgAbbildungen: Archiv der BBAW Bestand PAW (1700–1811) I–I–2 Bl. Bl. 11 recto und verso.

 

Der Gedanke, der Sozietät auch die Pflege der deutschen Sprache anzuvertrauen, stammt nicht aus dem Kreis von Personen, die die Gründung der Sozietät vorangetrieben hatten und zu ihren führenden Mitgliedern werden sollten. Weder in den Schriften, die Daniel Ernst Jablonski (Hofprediger und ab 1733 Präsident der Sozietät) und Johann J. J. Chuno (Geheimer Kabinettsarchivar und später Direktor der mathematischen Klasse) gemeinsam verfasst hatten und auf deren Grundlage Friedrich III. seine Entscheidung für die Gründung gefällt hatte, noch in Leibniz' erster Denkschrift ist davon die Rede. Es war der Kurfürst selbst, der kurz nach seiner Entscheidung für die Gründung im März 1700 den Wunsch geäußert hatte, „daß man auch auf die Cultur der Teutschen Sprache … gedencken möchte“ (G. W. Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe, I,18 S. 471, Z. 13 f.).

 

In dieser Neigung des Kurfürsten zur deutschen Sprache dürfte der Grund dafür zu suchen sein, dass Leibniz alle zur Eingabe beim Hof gedachten Schriftstücke für die Sozietät nicht auf Französisch, sondern auf Deutsch verfasste. Zudem könnte die vermutliche Abneigung des Fürsten gegen Fremdwörter Leibniz veranlasst haben, solche, wenn sie ihm bei der Arbeit an den Texten unterliefen, regelmäßig durch deutsche Wörter zu ersetzen. In dem hier präsentierten Text etwa strich er „facilitirung“ und schrieb statt dessen „erleichterung“.

 

 ausschnitt_fremdwoerter.jpgAbbildung: Ausschnitt aus I–I–2 Bl. Bl. 11 verso.

 

Der Wunsch des Kurfürsten, die Sozietät möge sich auch der deutschen Sprache annehmen, hatte Leibniz nicht unvorbereitet getroffen. Er hatte (unter anderem) schon einige Jahre vorher in seinen „Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache“ die Einrichtung einer Sprachgesellschaft, eines, wie er sagte, „Teutschgesinneten Ordens“, in Wolfenbüttel vorgeschlagen. Sie sollte unter anderem drei Arten von deutschen Wörterbüchern erarbeiten: ein Lexikon der allgemein gebräuchlichen Wörter, ein sprachhistorisches Lexikon (§ 33) und ein Wörterbuch für Fachbegriffe. Auf letzteres legte Leibniz besonderen Wert, weil das Fachvokabular bisher in zu wenigen Wörterbüchern berücksichtigt worden sei.

 

Französische Vorbilder

In dem hier präsentierten Stück schreibt Leibniz: „Zu erleichterung“ der lexikographischen Sammlung könnten „bereits vorhandene Lexica und Nomenclaturen, sonderlich aber die französischen dictionaria Technica des Furetiere und Corneille, auch was leztens von Architectur, Artillerie, und dergleichen in Franckreich mit großen kosten herausgegeben worden“, benutzt werden. Das Werk über die Artillerie, das Leibniz der Sozietät so als Hilfsmittel – und auch als Vorbild – hinstellt, sind Pierre Surirey de Saint-Rémys Mémoires d’artillerie von 1697; ein Werk, in dem das Fachvokabular des Artilleriewesens erläutert und mit Hilfe zahlreicher Abbildungen anschaulich gemacht wird.

 

Abbildung: P. Surirey de Saint-Rémy, Mémoires d’artillerie, Paris 1697, S. 115, GWLB.

 

Bei den beiden "dictionaria Technica", die Leibniz zuerst nennt, handelt es sich um Antoine Furetières' Dictionnaire universel von 1685 und das von Thomas Corneille verfasste (und als Band 3 und 4 des Dictionnaire de l’Académie Francoise erschienene) Dictionnaire des Arts et des Sciences von 1694.

 

Abbildung: Furetière, Antoine: Essais d'un dictionnaire universel : contenant ... tous les mots français, Bayerische Staatsbibliothek München, L.lat.f. 108, Bl. 1r, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10587122-4.

 

Furetières Dictionnaire enthält, laut Titelblatt, „alle französischen Wörter“, nämlich nicht nur den Wortschatz des alten und neuen Französisch, sondern auch die Fachwörter „aller Wissenschaften und Künste“, also zum Beispiel das Vokabular von Philosophie, Logik, Physik, Medizin, Chemie, Botanik, Mineralogie, Metallurgie, Recht, Mathematik, Astronomie, Astrologie, Geographie, Musik, Optik, Architektur und Pyrotechnik. Ebenfalls finden sich die Fachbegriffe aus Rhetorik, Poesie, Grammatik, Malerei, Bildhauerei, Marine, Reiterei, Waffenherstellung, Heraldik, Jagd, Falknerei, Fischfang, Ackerbau und den mechanischen Künsten. Furetière hat keineswegs nur wissenschaftliche Fachbegriffe gesammelt.

 

Dass dies genau der Richtung von Leibnizʼ Interesse entsprach, zeigt eine Bemerkung, die er in seinem Exemplar von John Harrisʼ Lexicon Technicum: Or, An Universal English Dictionary of Arts and Sciences von 1704 notierte: „In hoc opere desunt Termini artium Mechanicarum, aliorumque vitae generum, quae minus ab eruditis frequentantur.“ Oder auf Deutsch: „In diesem Werk fehlen die Fachausdrücke aus den mechanischen Künsten und anderen Lebensbereichen, die den Gelehrten weniger geläufig sind.“

 

Eine deutsche Enzyklopädie

Hinter Leibnizʼ Ausführungen in dem hier präsentierten Text steht der Wunsch, die Berliner Sozietät möge den genannten französischen Wörterbüchern ein deutsches zur Seite stellen. Ein Abschnitt darin betrifft die Fachwörter aus dem Bereich der Manufakturen. Er lautet:

 

ausschnitt_manufakturen_neu.jpgAbbildung: Ausschnitt aus I–I–2 Bl. Bl. 11 verso.

 

„Bey Manufacturen die wort und nahmen gehorig zu bereitung des Leders, der tücher, zeüge, seiden[,] wollen[,] linnen, baum wollen[,] hahr und gemischeten stoffen; zu Spinnereyen, Seiden radereyen, weberey, porten würckerey, und den dazu erforderten sonderbaren Instrumenta[,] stühle, band und strümpf muhlen und dergleichen[.] Endtlich allerhand sorten von kramern[,] materialisten[,] kaufleuten vorgenommen, und die benennung der dinge aus ihren handelsbüchern gezogen werden[.]“

 

Entsprechende Abschnitte gibt es über Kanzlei- und Archivwesen, Kriegskunst und die schönen Künste. Das Wörterbuch der Sozietät sollte offenbar alle erdenklichen Bereiche von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft abdecken; und ihre Lexikographen sollten nicht nur die vorhandene Literatur auswerten, sondern die Fachleute bei ihrer Arbeit aufsuchen, und die Fachwörter dort einsammeln, wo sie anfielen.

 

Verwirklicht wurde dieser Vorschlag, wie viele andere, nicht. Nach Leibnizʼ Vorstellungen hätte die Sozietät bei ihrer lexikographischen Arbeit und auch bei zahlreichen anderen Vorhaben mit der kurfürstlichen Verwaltung sowie den Gelehrten und Handwerkern Brandenburg-Preußens eng zusammenarbeiten sollen. Sie hätte geradezu das Recht erhalten sollen, sich der jeweiligen Fachkompetenzen und Ressourcen zu bedienen. Tatsächlich aber war die Sozietät in den ersten Jahren gezwungen, sich auf die Herstellung und den Verlag von Kalendern zu konzentrieren. Für die Umsetzung wissenschaftlicher Vorhaben fehlte es an Personal und an finanziellen Mitteln. Die meisten von Leibniz' Vorschlägen konnten deshalb nicht realisiert werden. Und auch die Verwirklichung seines Wunsches, die Sozietät möge all die Fachwörter, die die über das Land verstreuten Spezialisten aller Professionen in Brandenburg-Preußen verwendeten, zu Information und Gebrauch der Allgemeinheit erfassen und herausgeben, blieb einem späteren Jahrhundert vorbehalten.

 

Autor: Stefan Luckscheiter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Leibniz-Editionsstelle Potsdam, BBAW.

 

 

Online-Projekt „Leibniz-Objekt des Monats“:

Das Projekt „Leibniz-Objekt des Monats“ stellt mit Expertenbeiträgen über das Leibniz-Jahr 2016 hinweg jeden Monat ein Archivale oder eine Handschrift vor. Ziel ist es, einerseits die grundlegende Bedeutung von Leibniz für die Akademiegeschichte herauszustellen und andererseits die Arbeit „an Leibniz“ sichtbar zu machen, die tagtäglich an der Akademie stattfindet. Die gezeigten „Objekte“ zeichnen in ihrer Gesamtheit ein ganz eigenes Bild vom Leben und Wirken des großen Visionärs.
 

 

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