Rominten, 7. Oktober 1893

Lieber Freund,

  Editorische Auslassung [...]

Se. Majestät ist mehr und mehr empört über Familie Bismarck und spricht mir ganz im Vertrauen von einem großen einstmaligen Strafgericht (auch über Bill). Gegen Schweninger sollen auch Maßregeln wegen Nichtachtung kaiserlicher Befehle vorgenommen werden.

Die peinlichste und schwierigste Frage, über die wir noch mündlich beraten müssen, ist der mögliche - vielleicht wahrscheinliche Missbrauch von kaiserlichen Korrespondenzen durch die Familie Bismarck. Ich sprach gestern Sr. Majestät davon und bat ihn, mir absolut genau zu sagen, was etwa in Händen der Familie zurückgeblieben sein könnte. Der Kaiser überlegte mit mir zusammen lange alle Phasen des Verkehrs mit dem Fürsten. Die Zeit Kaiser Friedrichs (mir am verdächtigsten!) soll nichts enthalten, wie Se. Majestät mit Bestimmtheit behauptet. Jedoch fanden sich dunkle Punkte bezüglich von Privatbriefen des Prinzen Wilhelm aus Petersburg. Die Mitteilungen sind sehr intimer Natur - u. a. wird das Thema behandelt, dass der Prinz den Russen Konstantinopel anbot.  Im Bismarck-Archiv in Friedrichsruh befinden sich elf Briefe des Prinzen Wilhelm aus der Zeit 1884-88, darunter eine Aufzeichnung über ein Gespräch mit dem Zaren in Brest-Litowsk am 11. November 1886. Einige sind in Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen‟ veröffentlicht
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Dass der Fürst diese Korrespondenzen den Akten des Amtes einverleibte, bezweifle ich.
Aber ich bezweifle nicht, dass der bekannte Kraftton kaiserlichen Stiles ein ganz außerordentliches Aufsehen in der Welt machen und Österreich, welches jetzt bessere Beziehungen zu Russland hat als wir, aus nachträglichem Schrecken noch mehr Russland in die Arme treiben wird. Ich lasse auch dahingestellt, was Se. Majestät trotz unseres aufmerksamen Nachdenkens etwa noch vergessen hat. Wir erinnern uns auch nicht aller unserer alten Briefe.

Wenn ich die rachsüchtige Fürstin Bismarck wäre, über deren haltlose Familienpolitik das Verhängnis nach dem Tode der einzig berechtigten Figur hereinbricht, so würde ich, als Erbin des Mannes, die Briefe finden lassen und zur Durchsicht einem Freund geben, welcher indiskret ist. Was soll man einer Frau tun?

Bei einer solchen Möglichkeit muss man aber wohl Gegenmittel gebrauchen. Entweder extrahiert Heinrich Lehndorff alle Briefe (auf Ehrenwort) mit dem Hinweis, dass freiwillige Abgabe der Briefe von wesentlichem Einfluss auf die Zukunft der Söhne sein würde, oder man schickt Bissing mit einem Revolver, welcher mit seinem Haupt für die Beschaffung der Briefe haftet. ( Vgl. Bd. 1, Nr. 390.
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Mit letzterem habe ich diese Möglichkeit schon 1890 erwogen
) und er wollte sich verpflichten, jedes Schriftstück zu schaffen, das Se. Majestät kompromittieren könnte.

Beide Wege sind wenn erfolglos (auch wenn erfolgreich!) in der Hand der Presse ein Skandal, „Gewaltsache‟ etc. Was würde besser zu vermeiden sein? Ein solcher Skandal im Lande? oder die äußeren Schwierigkeiten nebst möglicher Bloßstellung des Kaisers?

Das ist ernster Erwägung wert.

Halten Sie es für gut, dem Reichskanzler sub sigillo meine Mitteilung abzuschreiben, so ist mir das recht. Auf alle Fälle bitte ich um sofortige Vernichtung meines Briefes.

  Editorische Auslassung [...]

Philipp Eulenburg

Zitierhinweis

Philipp Fürst zu Eulenburg an Friedrich August von Holstein. Rominten, 7. Oktober 1893. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_igp_qkj_z1b