Bonn-Bad Godesberg, 15.12.76
Lieber Lothar!Editorische Auslassung [...] Inzwischen waren wir in Ostpreußen, alle vier, und diese Reise war ein denkwürdiger Abschnitt in unserem Leben. Darüber ein paar Worte:
Die Reise wurde gemeinsam mit einer Dönhoff-Nichte am 8. August mit der Überfahrt von Travemünde nach Danzig angetreten. Dort nahm man Quartier bei einem polnischen Professor, den Lehndorff kennengelernt hatte, als dieser in der Grabkapelle in Steinort ein Bild der Familie gefunden hatte, das sich nun in seiner Wohnung befand. Das Bild hing bei ihm an der Wand, es besteht aus zwei Brettern, links der Cruzifixus, rechts der Auferstandene. Unter dem Kreuz knien zwei weiß gekleidete Kinder mit dem Blick auf den Auferstehenden, Ende des XVI. Jahrhunderts gemalt, wahrscheinlich nach dem Tode von Zwillingen in der Familie. Es war, als er es fand, fast nichts mehr darauf zu sehen, jetzt aber gut restauriert und sehr deutlich, auch in den Farben! Man kann es nicht mitnehmen, da Polen nach fast totaler Ausräuberung natürlich alles, was mit Kunst zu tun hat, zurückhält. Es hat aber dort einen sehr guten Platz. Auch ist es ein Grund mehr, Danzig wieder zu besuchen.
Es folgt die Beschreibung der Fahrt durch das Land, die Weichsel wurde bei Dirschau überquert, so wie früher, wenn man von Berlin nach Ostpreußen fuhr. Die nächsten Stationen waren Marienburg, Elbing, Mohrungen, das Oberland, Allenstein.
Um Januschau richtig zu erfassen,
ließen wir den Wagen lange vorher stehen, gingen viele Kilometer durch den in
den 30 Jahren sehr veränderten, aber nicht weniger schönen Wald, in dem man sich
fast nur noch durch die darin vorhandenen Seen zurechtfindet, um dann auf einmal
ins Freie zu gelangen und ein weites, leicht gewelltes Land vor sich zu haben,
das zu drei Vierteln von Wald umgeben ist und in dem zwei herrliche Alleen zu
dem auf einer kleinen Anhöhe liegenden Gutshaus führen. Editorische Auslassung [...]
Das Gutshaus ist noch da, aber verwahrlost. Einige
Menschen leben noch darin. Aber in den Bodenfenstern sind schon lange kein
Scheiben mehr und das Dach fängt an, schadhaft zu werden. Ich wollte erst gar
nicht hingehen, aber die Carl (1954-1996) und Hans von Lehndorff (geb.
1955)
[Schließen]Söhne bestanden darauf, alles zu sehen. Und es war gut
so.
Ähnlich ging es meiner
Margarete Gräfin
Finck von Finckenstein
[Schließen]Frau in ihrem Heimatort.
Sie wollte erst gar nicht mitkommen nach Ostpreußen, weil sie wusste, wie jammervoll es bei ihr zuhause
aussieht. Aber als wir dort waren, entstand durch die Menschen, denen wir
begegneten, sofort eine so starke Brücke, dass die neue Wirklichkeit glatt
hingenommen wurde. Die ursprünglichen Bewohner haben damals alle fliehen können,
und die wenigen jetzt noch dort lebenden Deutschen, aus der Nachbarschaft
hingezogen, sind z. T. mit Polen verheiratet. Aber man fühlt sich mit ihnen
allen so verbunden, einfach weil sie dort sind. Man müsste nur sehr viel mehr
Zeit für sie und ihre vielfältigen Nöte haben. Ihr Leben ist ein Kapitel für
sich, das sich um die primitivsten Dinge des Daseins dreht und sie allmählich
resignieren lässt. Die Landschaft ist ein viel zu großes Festkleid, das man
nicht tragen kann. Das gilt für die Polen ebenso wie für die Deutschen, die noch
dort sind - mit wenigen Ausnahmen. Die meisten Deutschen hält dort kaum mehr
etwas. Und auch unter den Polen ist eine große Zahl, die sich als Vertriebene
fühlen, weil sie aus den östlichen Gebieten stammen. Eine der wenigen Ausnahmen
ist z. B. Frau Preuß, die immer noch
auf ihrer Insel im Geserichsee wohnt und viel Besuch bekommt, auch aus dem
Westen.
Steinort war mit seinen Eichen und dem Mauersee (mit einigen westdeutschen Seglern) überwältigend schön. Über dem Park kreiste ein Steinadler in großer Höhe. Wir haben viele schöne Dias gemacht, die ich schon sehr oft zeigen und dazu sprechen musste. Editorische Auslassung [...]
Wir denken an euch mit vielen guten Wünschen HansZitierhinweis