Königsberg, den 1. April 1873

Gnädigste Frau Gräfin!

Ew. Hochgeboren große Güte wird mich gewiss längst entschuldigt haben wegen der scheinbaren Verzögerung meiner Beantwortung Ihres ebenso wichtigen, als liebenswürdigen Briefes. Hätte ich nur meinen Empfindungen Ausdruck geben und insbesondere meinen Dank für das wohlwollende Gedächtnis, mit welchem Sie, gnädigste Frau Gräfin, einige für mich sehr glückliche Tage beehren, aussprechen wollen, dann wäre keine Zögerung eingetreten. Aber ich hatte den Wunsch und die Pflicht, zugleich einige Worte über die Angerburger Sache beizufügen und diese letztere lag noch vollständig im Dunkeln, weil zwar ein Gerücht über die Absicht Paulinis hie und da vernommen ward, von seiner Seite jedoch noch nicht die geringste Andeutung mir oder dem Konsistorium kundgegeben war. Gestern endlich ist sein förmlicher Antrag auf Emeritierung im Oktober d. J. hier eingegangen. Nach einigen unerlässlichen Zwischenverhandlungen wird derselbe genehmigt werden und dann die Frage nach der Wiederbesetzung der gut dotierten und einflussreichen Stelle in den Vordergrund treten. Es bedarf wohl keiner ausdrücklichen Versicherung, dass ich alles aufbieten werde, um für die dortigen zum Teil schwierigen Verhältnisse den möglichst geeigneten Mann zu finden und zu gewinnen, muss mir jedoch die Bemerkung erlauben, dass die Auswahl dadurch etwas beschränkt wird, dass teils die Fertigkeit im Polnischen, und zwar im masurischen Dialekt, teils nicht bloß die Befähigung, sondern auch die in der gegenwärtigen Spannung und Krisis der kirchlichen Verhältnisse nicht immer vorhandene Geneigtheit zur Übernahme der Superintendantur keinem Zweifel unterliegen darf.  Paulini blieb noch bis 1874 im Amt. Sein Nachfolger wurde Carl Eduard Cludius, http://angerburg.net/pfarrer.htm
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Ich werde indes nichts unterlassen, was zum Ziele führen kann, und würde sehr glücklich sein, wenn der Erfolg den Wünschen Ew. Hochgeboren entspräche.
Vielleicht ist es mir vergönnt, noch in diesem Sommer persönlich einige Mitteilungen zu machen und der Hochachtung mündlichen Ausdruck zu geben, in welcher ich die Ehre habe zu zeichnen

Ew. Hochgeboren ganz ergebenster D. Moll
Generalsuperintendent

Zitierhinweis

Karl Bernhard Moll an Anna Gräfin von Lehndorff. Königsberg, 1. April 1873. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_urs_fq4_jdb