Königsberg, den 2. Februar 1820

An des Königs Majestät!

Euer Königliche Majestät dürfen wir nicht verfehlen, in tiefster Untertänigkeit und mit herzlicher Offenherzigkeit und Treue kürzlich anzuzeigen, welche Eindrücke in den großen Provinzen Ostpreußens und Litauens, mithin in wesentlichen Teilen des Königreichs, von welchem die Gesamtheit des Staats den Namen führt, diejenigen Ereignisse hervorgebracht haben, durch welche die zunächst vergangenen 4 Monate seit unserer letzten Sitzung denkwürdig geworden sind.

In einem im Monat November praet. zur allgemeinen Kunde gekommenen amtlichen Aufsatze eines hohen Staatsbeamten behauptet derselbe die Existenz einer revolutionären Partei, „welche ein erkünsteltes Missvergnügen zu unterhalten bemüht sei, die ihren Ursprung in Wahlverwandtschaften von Meinungen und Gesinnungen habe, die durch die förmlichen Gesellschaften verstärkt würden, welche den Umsturz von Deutschland zur Absicht hätten, und an die Stelle seines jetzigen Zustandes eine einzige unteilbare Republik oder eine solche andere Chimäre einzuführen, die durch gewaltsame Revolutionen selbst nur versucht werden könnte, und deren Anfang der Umsturz aller regierenden Dynastien gewesen wäre usw.‟; ferner heißt es:

„Man sieht, dass nicht von einer Verschwörung die Rede war, sondern von der Vorbereitung einer Revolution nicht bloß von Preußen allein oder hauptsächlich, sondern von ganz Deutschland nicht im jetzigen Augenblick, sondern in der Zukunft.‟

Gleichzeitig auf dieses Land ausgedehnte höchst außerordentliche Maßregeln setzen es außer Zweifel, dass man die alleruntertänigst vorstehend erwähnten Behauptungen auch in Beziehung auf diese Provinz als richtig annehme.

Die Eingesessenen dieses Landes, welche die Möglichkeit des wirklichen Bestehens einer solchen Partei, die der vorstehend angeführten ebenso im höchsten Grade verruchten, als törichten Pläne fähig wäre, nicht ahnten, sind durch jene Behauptungen und die darauf gefolgten Maßnehmungen in die höchste Bestürzung und Bekümmernis versetzt worden.

Anschuldigungen von solcher Art und darauf gegründete hemmende und mehrer bisher vorhandene ehrwürdige und segensreiche rechtliche Verhältnisse auflösende Anordnungen setzen voraus, dass man sich im vollständigem Besitz zureichender Beweismittel gegen die Verbrecher befindet. Mit der gespanntesten und gerechtesten Erwartung harren daher die Einwohner dieses Landes darauf, die Verbrecher vor ihren natürlichen zuständigen Richter gestellt, dass vor demselben mit vollkommener Unabhängigkeit die Untersuchung geführt und das Urteil gefällt werde. Nur allein durch die ungehemmte reine und vollständige Anwendung der Gerechtigkeitspflege in ihren heiligen Formen kann die heilige Sache des angestammten Monarchen und die davon so ganz unzertrennliche seiner getreuen Untertanen würdig und mit segensreichem Erfolg verteidigt werden.

„Einem jeden das Seine‟

ist der große Wahlspruch unseres Allerhöchsten Herrscherhauses, mithin gerechte Strafe und volle Schärfe des Gesetzes den Verbrechern oder den Falschklägern und Lösung des Bannes von dem Volke, welches so oft auf die erhabenste Weise seine Treue bewährt hat.

Denn als ein schwerer Bann lasten auf der Gesamtheit dergleichen Anschuldigungen, so lange sie bloß allgemein aufgestellt sind, und ein dumpfes Gefühl verbreitet sich immer weiter, wenn in einer so über jeden Augenblick ernsten Sache gesäumt wird, der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen, oder wenn statt des ungebeugten und unverkürzten Waltens der Gerechtigkeitspflege Maßregeln eintreten, welche im allgemeinen von Misstrauen zeugen und die geistigen Entwicklungen und Mitteilungen hemmen. Allerdings findet über den Gang und die Leitung der öffentlichen Verwaltung durch die obersten Behörden ein sehr tief gefühltes und sehr allgemein verbreitetes Missvergnügen statt, und oft haben wir seit mehreren Jahren E. K. M. dieserhalb ehrfurchtsvoll Anzeige gemacht, aber nie hat dieses Missvergnügen auch in seiner fortschreitenden immer höheren Steigerung irgend eine Ähnlichkeit mit der behaupteten Existenz jener Partei gehabt, vielmehr gerade im vollkommensten und schärfsten Gegensatz mit den behaupteten Plänen einer solchen Partei setzen unsere Landsleute nur allein ihre Hoffnung darauf, wie wir solches gleichfalls oft alleruntertänigst treu der Wahrheit auszusprechen Veranlassung gehabt, dass E. K. M. nach vielseitigster und offenkundigster Beratung durch die unabhängigsten, erprüftesten und sachverständigsten Landeingesessenen im Wege rechtlicher und den wahren Bedürfnissen des Landes entsprechenden Reformen huldreichst geruhen werden, in echt vaterländischem, großartigem, vertrauensvollem Geist diejenigen Grundsätze aufrecht halten und diejenigen Zusicherungen in Erfüllung bringen zu lassen, deren Ankündigung die glorreichen Augenblicke Allerhöchst Dero Regierung bezeichnete.

Ganz allgemein herrscht auch in diesem Lande die heißeste Sehnsucht nach einer gemäßigten bedingten Regierungsform, die der christliche, der angestammte und edle Monarch selbst zu lieben und zu fördern Ursache hat.

Allen vorstehend alleruntertänigst im Namen unserer Landsleute vorgetragenen Gesinnungen und Wünschen liegt durchaus kein unreiner Einfluss irgend einer viel bewegten Zeit zum Grunde, es sind vielmehr die Grundtöne, welche ewig in den Gemütern aller guten und treuen Menschen wiederhallen.

Die angedeuteten allgemeinen Grundsätze, welche Vorstehendem zum Grunde liegen, haben auch im Wesentlichen auf Veranlassung einer in der Preußischen Regierungsgeschichte denkwürdigen Begebenheit zwei der tugendhaftesten und weisesten Deutschen, Justus Möser und Friedrich Heinrich Jacobi, in Druckschriften bereits vor 38 Jahren mit großer Wahrheit, Klarheit und Würde ausgesprochen.

Der neue   Dohm, Christian Wilhelm von, Denkwürdigkeiten meiner Zeit oder Beiträge zur Geschichte vom lezten Viertel des achtzehnten und vom Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, 1778 bis 1806
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Lobredner Friedrich des Großen (Dohm in seinen Denkwürdigkeiten Band 4
pag. 370) macht wiederholt darauf aufmerksam:

„wie unter einem Regenten, der mit so großer Einsicht, so edlem Willen, so unglaublicher Tätigkeit wie Friedrich 40 Jahre selbst regiert hat, doch so viel Gutes nicht geschehen ist und so viel Schlechtes dem Regenten unbemerkt hat einwurzeln können.‟

Pag. 393, 395 verstärkt der Verfasser noch jene Bemerkung.

Und wie höchst außerordentlich haben sich nicht durch die größten geschichtlichen Entwicklungen in den seit den verlaufenen 34 Jahren die Gründe für eine verfassungsmäßige Regierung verstärkt.

In der tiefen Bekümmernis, in welche E.K.M. getreue Untertanen dieses Land durch die in den letzten 4 Monaten erschienenen Gesetze versetzt worden sind, tritt aber noch die ängstliche Besorgnis hinzu, wenn unter solchen Auspizien von der bevorstehenden Erscheinung noch mehrerer wichtiger Gesetze, insbesondere auch von der Kommunal-Ordnung die Rede ist, welche in die innersten und wichtigsten Verhältnisse eindringend und dieselben auflösend sein dürfte.

Wir sind daher verpflichtet, aufs alleruntertänigste und dringendste dahin im allgemeinen anzutragen, dass E.K.M. Huldreichst geruhen mögen, vor allen Dingen:

die großmütig zugesicherten Maßregeln ergreifen zu lassen, vermöge welcher nur auf dem Wege wahrhaft rechtlicher, heilsamer Reformen, die alles, was geschichtlich, edel und tief im Leben des Volkes besteht, schonend behandeln, bei der Gesetzgebung verfahren werde.

Ein solches Verfahren wird aber nur dadurch möglich werden, wenn die öffentliche Stimme verfassungsmäßig bei der Gesetzgebung gehört wird, und wenn bei den Beratungen über die Gesetzgebungsgegenstände die vielseitigste und offenkundigste Beleuchtung durch die unabhängigsten, fachkundigsten und erprüftesten Landeseingesessenen stattfindet. Ganz im besonderen müssen wir aber noch auf das alleruntertänigste und dringendste mit ehrfurchtsvoller Bezugnahme auf die Vorstellung hiesiger Landesdeputierter vom 24. Septembr. v. J. darauf antragen, dass bei der Bearbeitung der Entwürfe zur Provinzialständischen Verfassung und zu der demnächst aus der festesten, den innersten Verhältnissen des Landes vollkommen angemessenen Gründung derselben zu entwickelnden Reichsständischen Verfassung die weise Bestimmung des § 5 des Gesetzes vom 22. Mai 1815 im weitesten Umfange zur Ausführung gebracht werde.

In der Regierungs-Geschichte E.K.M. wird noch für die späteste Nachwelt jener höchst eigentümliche Moment stets erhebend sein, in welchem, als Bedrängnisse aller Art sich häuften, durch Gottes Barmherzigkeit und durch ein großes Zusammentreffen des edlen, großmütig vertrauenden Willens E. K. M. mit den treuen und guten Gesinnungen Allerhöchst Dero Volkes alles plötzlich eine rettende Entwicklung gewann, in solchen Zeichen soll stets die gute Sache siegen.

Die Wiederkehr solcher göttlichen Gnade erflehen wir mit frommem und treuen Sinne.

Wir ersterben E. K. M. Das Comité der Ostpreußischen, Litauischen Stände
gez. Dohna A. Gr. v. Dönhoff Farenheid
von Oldenburg (Reinschrift Gervais) v. Knobloch
Jachmann Mahraun Lilienthal

Zitierhinweis

Comité der Ostpreußischen und Litauischen Stände an Friedrich Wilhelm III. König von Preußen. Königsberg, 22. Februar 1820. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_vnq_ptg_5gb