Schlodien, 6. April 1874

Gnädigste Gräfin!

Das hochgeneigte Schreiben vom 2. d. Mts. nebst beiliegendem Entwurf zu einem adligen Fräuleinstift habe ich mit gehorsamstem Dank empfangen, mit hohem Interesse gelesen und ermangle nicht, gnädigster Gräfin befehlsgemäß nunmehr meine Ansicht darüber mit gebührender Ehrerbietung und Aufrichtigkeit nachfolgend auszusprechen.

Die praktischen und materiellen Bedenken, welche sich in dem so sorgfältig ausgearbeiteten Entwurf mir entgegenstellen, übergehe ich in der gewiss richtigen Annahme, dass gnädigster Gräfin darüber sicher viel eingehendere Erwägungen und ein viel begründeteres Urteil zur Seite stehen, als dies der Fall bei mir sein kann.

Dagegen kann ich über diejenigen Bedenken nicht fortkommen, welche sich gegenüber unserer „modernen‟ Gesetzgebung in mir erheben. Eine Gesetzgebung, welche getragen von einer alles nivellierenden Zeitströmung auf kirchlichem, staatlichem und so vielem Gebiet unzweifelhaft und bewusst Tendenzen verfolgt, welche alle Basen der stabilen Elemente auflösen und in dem Fluss der Zeitströmung fortreißen müssen. Zunächst hat unser Oberhaus als Träger des konservativen und aristokratischen Prinzips moralisch errichtet werden müssen, um den modernen Prinzipien eine freie Bahn zu öffnen -  Zu den Diskussionen um eine neue Fideikommissgesetzgebung: GStA PK, XX. HA, Rep. 2 II, Nr. 1928/1 .
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der Sturm gegen Fideikommisse und Majorate wird nicht auf sich warten lassen und die Regierung wird demselben mit Rücksicht auf „nationale und reale Politik‟ auf die Dauer einen wirklichen Widerstand nicht entgegensetzen können.
Weitere Schläge gegen die noch übrig bleibenden konservativen Institutionen werden folgen, wo dieselben den breiten Strom des Fortschritts, der seinen Lauf nach einem allgemeinen Meer des Sozialismus und Kommunismus zu nehmen sucht, wenn nicht aufhalten, so doch langsamer fließen lassen. In dieser Erwägung scheint es mir daher sehr bedenklich, in gegenwärtiger Zeit eine Institution ins Leben zu rufen, die für die Zukunft bestimmt, zugleich von der Zukunft bedroht erscheint.

Es ist möglich, dass ich zu schwarz sehe und der Allmächtige kann ja den durch finstere Wolken ringsum erfüllten Horizont wieder klären und aufheitern, aber es ist schwer(?), sich dem Eindruck der Gegenwart zu entziehen.

Endlich muss ich nun noch auf meine persönliche materielle Stellung zur Sache kommen. Als Fideikommissbesitzer habe ich - meiner Meinung nach - die sehr nahe liegende und   Unleserliche Stelle [...] Pflicht, für meine Allodialerben zu sorgen, soviel ich es irgend im Stande bin, und ich kann es daher nicht über mich nehmen, dem an sich so schönen und edlen Zweck wie demselben auch nur einigermaßen entsprechende Geldsummen zuzuwenden.

Gnädigste Gräfin wollen es nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich meine Ansichten unumwunden und aufrichtig ausgesprochen habe, und wollen überzeugt sein, dass ich mit der aufrichtigsten Verehrung verharre als

Gnädigster Gräfin ganz gehorsamster Diener Dohna-Schlodien

Zitierhinweis

Carl Burggraf und Graf zu Dohna an Anna Gräfin von Lehndorff. Schlodien, 6. April 1874. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_zdv_d3l_ycb