Ich bin in großer Unruhe. In einigen Tagen reise ich nach Schlesien, um die Gräfin von Schmettau kennenzulernen, die ich heiraten soll. Wolle Gott, dass sie zu meinem Glück beiträgt. Man hört nur Gutes von ihr.

  Editorische Auslassung [...]

7. April. Ich reise nachmittags ab und komme am 8. um 5 Uhr morgens nach Frankfurt a. O. Hier wechsele ich nur die Pferde und fahre gleich wieder weiter über Ziebingen. In Crossen speise ich zu Mittag, immer voller Unruhe über das Los, das mich erwartet. Da ich die ganze Nacht reisen will, so fahre ich weiter. In dem Wald vor Naumburg werde ich erbärmlich umgeworfen. Alle Fenster meines Wagens zerspringen und es ist ein wahres Wunder, dass ich mit heiler Haut davonkomme. In Naumburg verbringe ich eine sehr unangenehme Nacht. Am 9. fahre ich von dort weiter und komme durch Sagan, das dem Fürsten von Lobkowitz gehört, dem wunderlichsten aller Sterblichen, der nur nachts ausgeht und in kurzem eine Prinzessin von Carignan heiraten wird. Zu Mittag bin ich in Sprottau und übernachte in Bunzlau. Am 10. fahre ich nach Plagwitz zu einem Baron Hohberg, Kammerherr am sächsischen Hofe, wo ich eine Aufnahme finde, wie man sie besser nirgends finden kann. Er ist ein sehr reicher Mann, der ein ausgezeichnetes Haus und eine gute Tafel hält. Er hat viel gesehen und war schon mehrmals in England. Seine Frau, eine geborene Ziegler, ist eine liebenswürdige Dame; sie hat ihren Bruder und ihre Schwester, eine Stiftsdame, bei sich. Kurz, es gefällt mir hier sehr gut. Der Baron besitzt eine schöne Kupferstichsammlung und prächtige Pferde. Nachdem ich am 11. noch bei ihm auf dem prächtigsten Tafelgeschirr diniert habe, reise ich nachmittags auf einem schrecklichen Wege durch beinahe unzugängliche Berge nach Hirschberg weiter, wo ich um 11 Uhr ankomme. Am 12. schicke ich einen Extraboten nach Stonsdorf, um mich anzumelden, worauf der Graf die Liebenswürdigkeit hat, mir sofort seine Pferde zu schicken und mich durch einen Herrn v. Veichel begrüßen zu lassen.

Mittags 12 Uhr treffe ich in Stonsdorf ein und sehe beklommenen Herzens dem Schicksal entgegen, das mich erwartet. Die Gräfin-Mutter kommt mir entgegen und empfängt mich sehr freundlich. Sie führt mich in ihr Zimmer und stellt mir ihre beiden Töchter vor, wobei sie mir den Namen der älteren nennt, die ich anmutig und sehr liebenswürdig finde. Gleich darauf frage ich nach dem Herrn Grafen, der an Gicht leidet. Ich begebe mich in sein Zimmer, und er empfängt mich sehr höflich. Dann gehen wir zu Tisch, wobei indes die Unterhaltung, wie es ja bei solchen erstmaligen Begegnungen zu geschehen pflegt, nicht recht in Fluss kommen will, obwohl ich bestrebt bin, mich möglichst ungezwungen zu geben. Ich verbringe den ganzen Nachmittag beim Grafen, und nach dem Abendessen ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück.

13. April. Es ist eine schöne Gepflogenheit dieses Hauses, dass morgens jeder auf seinem Zimmer bleibt. Man bringt das Frühstück herein und lässt einen dann in Ruhe.

Ich suche einen älteren Herrn v. Logau auf, der mit dem Grafen Schmettau und mehreren anderen jungen Herren Reisen gemacht hat. Er ist 76 Jahre alt und besitzt reiche Kenntnisse; er ist ein zweiter alter Pöllnitz,

Nachdem ich nach Tisch Gottes Beistand erflehe, begebe ich mich mit der Gräfin in ihr Zimmer und erkläre ihr, falls ich den Beifall ihrer Tochter gefunden hätte, würde ich mich glücklich schätzen, ihr Gatte zu werden. Wie sprechen dann mit dem Vater darüber, und die Sache wird in aller Freundlichkeit ins Reine gebracht. Je mehr ich die junge Gräfin kennen lerne, desto besser gefällt sie mir. Sie scheint ein gutes Herz zu haben, und das ist bei einem so ernsten Bunde die Hauptsache. Sie hat eine schön klingende Stimme, besitzt Geist, und ich hoffe, mit ihr glücklich zu werden.

Wenige Tage später findet die Verlobung statt.   Bernhard Friedrich Wilhelm Graf von Schmettau (1724-1802) hatte am 26. August 1748 in Den Haag die russische Gräfin Natalia Amalie Helene Golovkina geheiratet.
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Graf Schmettau, ein Bruder meines zukünftigen Schwiegervaters, wohnt der Feier bei. Er ist auch ein sehr würdiger Mann, obgleich er kein guter Ehegatte gewesen sein muss, da er von seiner Frau, einer Gräfin Golowkin, geschieden wurde.

Nachdem ich meinen Geist wieder in etwas ruhigere Bahnen gelenkt, beginne ich diese schlesischen Landschaften etwas zu durchstreifen, die einen eigenen Reiz haben, obwohl sie einem anfangs schrecklich vorkommen. Man sieht nur Felsen und Berge, wenn man sie sich aber näher ansieht, findet man reizende Partien. Diese Felsen wechseln mit grünen Flächen ab, und die Täler haben einen prächtigen Boden und wundervolle Wiesen. Das Land ist stark bevölkert mit Arbeitern aller erdenklichen Zweige der Industrie. Läge der Handel nicht so darnieder, wie es gegenwärtig der Fall ist, so wäre das ein ungemein reiches Land. Ich besuche Warmbrunn, Arnsdorf und eine Gräfin Lodron, drei Sehenswürdigkeiten der hiesigen Gegend.

30. April. Nachdem ich mich über drei Wochen in Stonsdorf aufgehalten, reise ich wieder ab voll Bedauern, mein liebe Amalie zurücklassen zu müssen. Graf Schmettau begleitet mich bis Hirschberg, wo der Postmeister mir mit einem sehr hübschen Imbiss aufwartet. Dann fahre ich im Wagen des Grafen noch bis Hohlstein zum Grafen Roedern, der eine Schwester meines Schwiegervaters zur Frau hat. Ich werde da sehr freundlich aufgenommen und lerne noch eine zweite Schwester kennen, die unverheiratet ist und die Gräfin von Siebeneichen genannt wird. Alle behandeln mich mit größter Zuvorkommenheit. Nachdem ich einen Spaziergang in dem prächtigen Garten des Grafen gemacht habe, bekomme ich beim Abendessen heftige Kopfschmerzen, und auch am folgenden Tag habe ich dermaßen das Schnupfenfieber, dass ich den ganzen Tag im Bett bleiben muss. Man ist außerordentlich besorgt um mich.

Mai. Am anderen Tag befinde ich mich etwas besser, so dass ich hinuntergehen und in Gesellschaft bleiben kann. Um 9 Uhr ziehe ich mich zum Schlafen zurück und reise am 2. um 1 Uhr morgens nach Waldau in Sachsen ab. Mittags komme ich nach Görlitz. Die Gegenden sind durchweg sehr schön. Nachdem ich Hochkirch und mehrere andere durch den Krieg berühmt gewordene Orte gesehen, lange ich in Bautzen an, wo ich übernachte. Bei abscheulichem Wetter fahre ich am 3. weiter und treffe um 5 Uhr nachmittags in Dresden ein. Diese Gegend ist prächtig; das Land hat sich seit dem Krieg wieder sehr gut erholt.

Ich nehme im Hotel de Pologne Wohnung, wo es mir sehr gut gefällt. Dann mache ich gleich einen Spaziergang durch die Stadt und bemerke noch viele durch den Krieg zerstörte Häuser. Der Hof ist tags zuvor von Leipzig zurückgekehrt. Den ganzen folgenden Tag sehe ich mir Dresden an, den Zwinger und vor allem die Gemäldegalerie, die meine Aufmerksamkeit ganz besonders fesselt. Abends besuche ich das Theater, das ziemlich schlecht ist; jedoch sehe ich bei dieser Gelegenheit das ganze kurfürstliche Haus. Bei meiner Rückkunft finden ich den preußischen Gesandten in meinem Gasthaus vor. Er bleibt lange mit mir zusammen und macht mir im Laufe des Gesprächs den Vorschlag, mich am folgenden Tage am Hofe vorzustellen.

Der Kurfürst ist ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Herr, die Kurfürstin ungemein groß, außerordentlich lebhaft, keineswegs hübsch, hat dabei aber doch etwas gefälliges in ihrem Wesen. Der Hof macht einen guten Eindruck. Die Mutter des Kurfürsten besitzt viel Geist und hat eine reizende Unterhaltungsgabe. Ich werde den drei Brüdern des Kurfürsten vorgestellt. Der zweite ist ebenso kontrakt wie sein verstorbener Vater es war, die beiden jüngeren dagegen sind prächtig gebaut. Die beiden Prinzessinnen-Schwestern des Kurfürsten sind außerordentlich liebenswürdig und vollkommen gut erzogen. Nachher besuche ich den Prinzen Karl, den man in Dresden Herzog von Kurland nennt. Er ist ein sehr schöner Mann, gibt sich aber wie ein Theaterprinz. Seine beiden Schwestern, die Tanten des Kurfürsten, die Prinzessinnen Elisabeth und Kunigunde, sind schrecklich hässlich. Erstere hat eine ziemlich offene Liebschaft mit dem russischen Gesandten, dem Fürsten Bjeloschinski, und es ist wirklich zum Lachen, wenn man im Theater diese hässliche Prinzessin nach ihrem dicken Russen schielen und ihm schmachtende Blicke zuwerfen sieht, die den mutigsten Liebhaber in die Flucht schlagen könnten.

Lehndorff macht zahlreiche Besuche beim sächsischen Adel, besucht auch den Fürsten Lubomirski und wird zu den Feierlichkeiten des Hofes eingeladen. Die am kurfürstlichen Hof eingeführte Uniform für Damen und Herren, um die Kleiderausgaben zu reduzieren, erstaunt ihn. Er besucht den „Prinzen Chevalier von Sachsen“ und wohnt vom Hof entfernt in einem Garten. Hier begegnet er einem alten Bekannten, dem Engländer Mackenzie, der Gräfin Moszinska und dem Engländer von Sidow, einst „großer Günstling des Königs, meines Herrn“. Am 11. Mai wohnt Lehndorff der Huldigung des Kurfürsten in Freiburg und den anschließenden Feierlichkeiten bei. Nach der Rückkehr nach Dresden lernt er weitere sächsische und polnische Adlige kennen. Am 15. Mai kommt er wieder in Berlin an. Wenige Tage später beginnen die Revuen.

Zitierhinweis

Tagebucheinträge von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 7. April bis 15. Mai 1769. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_drj_jxd_sdb