Editorische Auslassung [...] Etwas Außergewöhnliches waren die jährlichen Entenjagden in Steinort, dem Stammsitz der Lehndorff in Masuren. Steinort lag auf einer Art Landzunge inmitten des Mauersees, des zweitgrößten der masurischen Seen. Die Ufer, zum großen Teil mit Schilf bewachsen, waren ein Eldorado für Wasservögel. Die Entenjagd wurde im Juli veranstaltet, und zwar immer über ein Wochenende. Am Sonnabend und Montag wurde gejagt, während man den ganzen Sonntag über „jeute‟, das heißt Skat spielte, denn der Hausherr, Carol Lehndorff, war ein leidenschaftlicher Skatspieler.
Bereits zum Frühstück vor der Jagd füllte der Hausherr, ehe man sichs versah, mit der kurzen Bemerkung „Du erlaubst wohl‟ die nur halbvolle Kaffeetasse bis an den Rand mit Schnaps. Das setze sich bei allen Mahlzeiten bis zum Abend fort. Nach dem Frühstück fuhr die Jagdgesellschaft mit einem Dampfer hinaus auf den Mauersee. In Abständen stiegen die Schützen dann in kleine Kähne und wurden von den Treibern in die Schneisen gerudert, die man in das Schilf geschlagen hatte. Während sich die Damen noch bei ihrer Dampferfahrt vergnügten, erscholl über das Wasser weithin hörbar das Jagdsignal. Entlang der Ufer erhob sich das laute Rufen der Treiber, die nun systematisch durch das Schilf wateten, manchmal bis zur Brust im Wasser, um die Enten aufzuscheuchen. Sobald die Enten die Schneisen überflogen, begann ein wildes Schießen. Da die Tiere oft sehr niedrig flogen, musste man sich mitunter flach ins Boot legen, um nicht von dem Schrot der anderen Flinten getroffen zu werden. Auf diese Weise wurden täglich bis zu hundert Enten erlegt.
Das Schloss, Ende des 17. Jahrhundert im schlichten Stil des frühen Barock
erbaut, war im 19. Jahrhundert durch einige neugotische Anbauten und sonstige
Zutaten verunstaltet worden. Vgl. die Erinnerungen von
Hans
Graf von Lehndorff
.
[Schließen]Da Carol Lehndorff
unverheiratet geblieben war und es keine Hausfrau gab, befand sich alles
in einem ungewöhnlich desolaten Zustand. Der
Junggeselle legte wenig Wert auf Ordnung und Sauberkeit und hatte fast alles so
belassen, wie es ihm von seinen Eltern vermacht worden war. Wurde ausnahmsweise
einmal ein Schrank verschoben, nahm man sich nicht einmal die Mühe, zuvor die
Bilder umzuhängen, so dass hinter manchem Schrank ein Stück Bilderrahmen
sichtbar war. Defekte Möbel stapelte man in einem Raum, ohne sie zu reparieren.
Ich erinnere mich an Porträts, deren Leinwand am oberen Rand so brüchig geworden
war, dass sie aus dem Rahmen hing und die Ahnen sich gewissermaßen vor einem
verbeugten. Die Landwirtschaft befand sich in ähnlich miserabler Verfassung.
Carol Lehndorff war ein wenig schrullig, aber höchst amüsant und mir wohlgesinnt, vielleicht, weil ich mich für seine riesige brandenburg-preußische Münzsammlung interessierte, die in Münzschränken an den Wänden seines Schlafzimmers aufbewahrt wurde. Andererseits konnte ich seine Gunst nie ganz erlangen, da ich weder Skat spielte noch die vielen scharfen Getränke recht zu würdigen verstand. Eines Tages wurde ich nicht mehr zur Jagd in Steinort eingeladen: Der Jagdherr verübelte mir als verheiratetem Mann eine harmlose Liebelei mit einem hübschen Mädchen, dass ebenfalls zur Jagdgesellschaft gehörte. Als Junggeselle urteilte er in diesen Dingen vielleicht besonders streng.
Nach dem Tod von Carol 1936 erbte sein Neffe Heinrich Lehndorff den großen Besitz. Angeblich ließ er aus dem verwahrlosten Schloss sechs vierspännige Wagen Unrat abtransportieren. Dieser außerordentlich tüchtige Mann brachte nicht nur die Land- und Forstwirtschaft wieder auf die Höhe, sondern setzte auch das Schloss mit seinem schönen, größtenteils barocken Inventar in einen hervorragenden Zustand. Da ich Heini Lehndorff jedoch nur flüchtig kannte - er wurde nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet-, habe ich das renovierte Steinort nicht mehr gesehen. Editorische Auslassung [...]
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