Tagebucheinträge von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin,
Januar bis Mai 1778
Die Karnevalszeit verbringt Lehndorff in Berlin. - Der Tod des Kurfürsten
von Bayern
bringt das halbe Deutschland in Bewegung und lässt die
Kriegsgefahr
in den kommenden Monaten steigen. - Graf Schwerin aus Wolfshagen kehrt mit seiner Familie
nach dreijährigem Aufenthalt in unserem Hause auf seine Güter
zurück; Lehndorff lässt dessen Tochter von einem gewissen Schmidt, einem Pastellmaler aus
Dresden
malen.
Schmidt gehört zur Malerkolonie in Berlin: Graff aus
Leipzig, Tischbein aus Kassel, Campili aus Florenz,
die alle hier Beschäftigung finden. - Die Probleme des Neffen Schlieben, der so hässliche Schulden
gemacht hat, sind noch immer nicht aus der Welt. Lehndorffs Nichte
soll dafür in die Hausvogtei gebracht werden, wenn sie nicht fluchtartig
Berlin verlässt; er schickt sie
nach Wolfshagen zum Onkel seiner
Frau, Graf Schwerin. Der Neffe wird auf die Festung Magdeburg gebracht. - Am 4. März muss
Lehndorff bei der Kapitelsitzung des Johanniter-Ordens General Buddenbrock, den Kommandeur von Werben,
vertreten, der am Schlaganfall verstorben ist. - An den Dienstagabenden findet
bei Prinz Heinrich eine
Dienstagsgesellschaft statt. - Am 10. April rücken alle
Regimenter aus der Berliner Garnison aus; zahlreiche alte
Generale sind nicht mehr dienstfähig, weshalb ein großes
Avancement in der Armee vor sich gehen wird. Lehndorff befürchtet
einen Kanonenkrieg und kann nicht begreifen, wie die
Mächte nicht eifriger sich bemühen, den Frieden zu erhalten, zumal
sich ganz Europa in einer kritischen Lage befindet: England ist gegen
Frankreich gereizt, die Türkei gegen Russland und wir gegen
Österreich. - Im Mai trifft der Herzog von Weimar inkognito in Berlin ein. Lehndorff begegnet dem Geheimen
Rat Goethe, den er als sehr
lakonisch und hochmütig empfindet: Er dünkt
sich augenscheinlich zu sehr als Grandseigneur, um noch als Dichter zu
gelten. - Ende Mai beginnt er seine endgültige Rückkehr nach
Preußen vorzubereiten, die im
August erfolgen soll;
die Übersiedlung soll zu
Schiff übers Meer erfolgen.