Leibniz-Objekt des Monats
März 2016: Leibniz und das Kalender-Edikt von 1700
Das Kalender-Edikt
Am 10. Mai 1700 erließ der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. (ab 1701 als Friedrich I. König in Preußen) das Kalender-Edikt. Das Edikt wurde in gedruckter Form an alle Orte, die im Besitz des Kurfürsten waren, mit der Auflage verschickt, es dort von den Kanzeln der Kirchen zu verlesen und es auch an geeigneter Stelle anzuschlagen. Obwohl diese gedruckten Exemplare daher in großer Zahl verteilt wurden, haben sich nur sehr wenige der Drucke (im Format von ca. 40 x 32 cm) bis heute erhalten.
In seinem Edikt verkündet der Kurfürst die Gründung einer Sternwarte in Berlin und die Absicht, dort eine Akademie der Wissenschaften einzurichten: "Daß Wir dahero veranlasset, und bewogen worden, in Unsern hiesigen Residentzien ein Observatorium des Himmels, und Societatem Scientiarum in Physicis, Astronomicis,
auch sonsten in Mathematicis, Mechanicis und andern dergleichen nützlichen Wissenschafften und Künsten anzurichten." Formal ins Leben gerufen wurde die Akademie erst zwei Monate später, mit dem Stiftungsbrief des Kurfürsten vom 11. Juli 1700.
Zur Finanzierung der Akademie, der Sternwarte und ihrer Astronomen verleiht das Edikt vom 10. Mai 1700 der Akademie ein Privileg auf die Herausgabe und Kontrolle von Kalendern in allen Landen des brandenburgischen Kurfürsten. Das Kalender-Edikt wird daher auch als "Kalender-Patent" bezeichnet, wobei hier Patent im Sinne einer Urkunde über ein erteiltes Privileg zu verstehen ist.
Abbildung: Kalender-Edikt des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. vom 10. Mai 1700.
© Original-Druck im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Auszug aus dem Edikt:
Alldieweilen Wir nun denen bey diesem Unserm Observatorio und Societät
bestellten, in der Stern-Rechnung so wohl, als Observationibus geübten Astronomis
zu Verhütung aller Unordnung, die Ausrechnung und Verfertigung, der
gantzen Societät aber, den Verlag derer verbesserten oder sonst üblichen Calender,
in allen Unsern Chur- und übrigen Landen aus eigener hohen Bewegniß,
um so viel mehr in Gnaden auffgetragen, und sie damit alleinig und privativè
privilegiret haben, damit die bißhero so häuffig im Schwange gewesene, theils
unrichtige, theils ärgerliche und mit ungeziemenden Lügen-Historien, nichtigen
Weissagungen, auch schandbahren Gesprächen mehrentheils angefüllete, sonsten
aber von einigen der schweren und mühsamen Stern-Rechnung zumahlen
unerfahrnen Leuten nur ausgeschriebene Calender, von nun an und allezeit aus
Unsern Landen gehalten, hingegen aber an deren statt der Societät richtige,
mit nützlichen Astronomischen und andern Materien versehene Calender,
welche Unsere Societät mit einem gewissen Kupffer oder Zeichen zu bemercken
hat, eingeführt, dabeneben auch das für jene ausgegangene Geld künfftig im
Lande behalten werden möge; So haben Wir nöthig erachtet, solche Unsere
gnädigste Willens-Meynung, und wie Wir es deßhalb weiter gehalten wissen
wollen, durch dieses Unser wohlbedachtes Edict jedermänniglich bekand zu
machen.
Abbildung: Letzte Seite der handschriftlichen Ausfertigung des Kalender-Edikts vom 10. Mai 1700 mit der eigenhändigen Unterschrift des Kurfürsten und mit seinem Papiersiegel.
© GStA PK, I. HA Geheimer Rat, Rep. 9 Allgemeine Verwaltung, K Lit. M III, Fasz. 1, Bl. 51 v.
Das Kalender-Privileg der Akademie
Der Akademie wurde mit dem Privileg das alleinige Recht zur Herausgabe und dem Vertrieb von Kalendern in allen Landen des brandenburgischen Kurfürsten erteilt. Die Einnahmen aus diesem Kalender-Geschäft waren lange Zeit die einzige Finanzierungsquelle der Akademie. Da der Kalender damals nach der Bibel das am weitesten verbreitete Druckerzeugnis war, genügte ein relativ kleiner Aufschlag, um die notwendigen Finanzmittel für die Akademie zu erhalten. Um die Verbreitung illegaler Kalender zu verhindern, enthält das Kalender-Edikt entsprechende Strafandrohungen für Übeltäter, wobei aber deutlich zwischen Kleinverbrauchern und "Dealern" unterschieden wird. Für unser heutiges Rechtsempfinden klingt es allerdings bedenklich, dass der verurteilende Richter selbst ein Fünftel der Strafsumme erhält.
Die Idee zur Finanzierung der Akademie durch das Kalender-Privileg stammte von Leibniz. Erst dadurch wurde die Gründung der Akademie und der Sternwarte möglich, die sonst aus Geldmangel nicht gewährleistet war. Allerdings hat Leibniz die grundsätzliche Idee von Erhard Weigel (1625-1699) übernommen, der Professor der Mathematik an der Universität Jena war und der ein ähnliches Kalender-Privileg für eine deutschlandweite Akademie vorgeschlagen hatte.
Das Kalender-Privileg der Akademie erlosch 1811 im Zuge der Humboldtschen Reformen. Die Akademie wurde jetzt direkt vom Preußischen Staat finanziert.
Hintergrund: Die evangelische Kalender-Reform von 1700
Seit Julius Caesar beruhte der Kalender in Europa auf dem Sonnenjahr mit einem Schalttag alle vier Jahre (zusätzlicher 29. Februar). Da dieses julianische Kalenderjahr mit 365,25 Tagen um mehr als 11 Minuten länger als das tatsächliche ("tropische") Sonnen-Jahr ist, ergab sich im Laufe vieler Jahrhunderte eine merkliche Abweichung zwischen dem Kalender und dem wirklichen Sonnenlauf. Deshalb reformierte Papst Gregor XIII. (1502-1585) im Jahr 1582 den Kalender durch das Überspringen von 10 Tagen, durch eine neue Schaltregel (Schalttag nicht in den Jahren 1700, 1800, 1900 und 2100, 2200, 2300 usw., aber doch 2000, 2400 usw.) und durch eine Verbesserung der alten formalen Regel zur Bestimmung des Osterdatums. Diesen "Gregorianischen Kalender" benutzen wir noch heute.
Die Protestanten billigten aber dem Papst kein Recht für eine Kalender-Reform zu und behielten zunächst den "Julianischen Kalender" bei. Erst am 23. September 1699 (julianisch, 3. Oktober gregorianisch) beschlossen die Evangelischen Reichsstände auf dem immerwährenden Reichstag zu Regensburg, für sich ab dem Jahr 1700 einen "Verbesserten Kalender" einzuführen. Für die Zählung der Tage übernahmen sie de facto den Gregorianischen Kalender und ließen bei sich daher 11 Tage ausfallen (den 19. bis 29. Februar 1700). Allerdings sollte das Osterfest (am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang) auf astronomisch korrekte Weise (und nicht näherungsweise nach dem Oster-Algorithmus) bestimmt werden. Diese Bezugnahme auf die Astronomie war der wesentliche Grund, warum man 1700 in Berlin Astronomen einstellte und eine Sternwarte errichtete. Das Kalender-Edikt spricht diesen Aspekt ausdrücklich an.
Der Gregorianische und der Verbesserte Kalender unterschieden sich immer noch in bestimmten Jahren (1724, 1744) im Osterdatum und damit in einem großen Teil des Kirchenkalenders (z.B. auch im Datum des Rosenmontags, denn dieser liegt immer 7 Wochen vor dem Ostermontag). Erst Friedrich dem Großen gelang es, 1775/76 die volle Annahme des Gregorianischen Kalenders als "Allgemeiner Reichskalender" ab 1777 zu erreichen (kurz bevor es 1778 wieder zu unterschiedlichen Osterterminen gekommen wäre).
Seit langer Zeit werden die "Astronomischen Grundlagen für den Kalender" in Deutschland vom Astronomischen Rechen-Institut berechnet und als Hilfsmittel für die Kalender-Hersteller jährlich herausgegeben, leider ohne ein einträgliches Privileg. Das Astronomische Rechen-Institut ist 1874 aus der Berliner Sternwarte hervorgegangen und sieht in dem Kalender-Edikt von 1700 auch seine Gründungsurkunde. Das Institut befand sich lange Zeit in Berlin, zunächst in Kreuzberg, ab 1912 in Dahlem. 1945 wurde es auf Weisung der amerikanischen Militärverwaltung nach Heidelberg verlagert.
Der Verbesserte Kalender für das Jahr 1701
Der Kalender für 1701 ist der erste Kalender, der unter der Aufsicht der brandenburgisch-preußischen Akademie der Wissenschaften erschienen ist. Es gab verschiedene Ausgaben des Kalenders. Wir zeigen hier einen Auszug aus einem Kalender im Kleinformat (ca. 8 x 10 cm).
Abbildung: Deckblatt und Vorbericht aus dem Chur-Brandenburgischen Kalender für 1701.
© Kopie im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Der Autor des Kalenders ist der Astronom und Kalendermacher Gottfried Kirch (1639-1710). Er war am 18. Mai 1700 zum ersten "astronomo ordinario" in Berlin ernannt worden.
Der Kalender enthält zunächst die Abfolge der Tage (das sogenannte Kalendarium) mit den zugehörigen Namenstagen. Die dritte Spalte zeigt, in welchem Sternbild des Tierkreises sich der Mond an diesem Tag befunden hat. Die vierte Spalte enthält einerseits astronomische Daten: z.B. letztes Viertel des Mondes (Halbmond, abnehmend) am 1. Januar, eine Konjunktion (nahe scheinbare Begegnung) von Saturn und Mars am 8. Januar, oder Neumond am 29. November. Andererseits sind dort auch Wetterprognosen gegeben (z.B. für die Tage vom 16. bis 19. November: Feiner Sonnenschein. Ein kleines Nachsömmerchen).
Abbildung: Kalenderblatt aus dem Chur-Brandenburgischen Kalender für 1701.
© Kopie im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Die Tageslänge und die Auf- und Untergangs-Zeiten der Sonne sind am Fuß der Kalenderseiten für jeden fünften Tag vermerkt. Im Nachwort wird auch eine partielle Mondfinsternis am 22./23. Februar näher beschrieben.
Abbildung: Nachwort aus dem Chur-Brandenburgischen Kalender für 1701.
© Kopie im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Hinsichtlich der detaillierten Wetterprognosen und der in einem zweiten Nachwort aufgeführten Tage, die für Säen und Pflanzen gut geeignet seien, befand sich die Akademie in einem Zwiespalt: Einerseits war klar, dass diese Angaben unwissenschaftlich waren. Andererseits erwarteten die meisten Käufer, unter denen sich sehr viele Landwirte befanden, solche Informationen. Die Akademie gab hier offensichtlich ihrem wirtschaftlichen Interesse an einem hohen Absatz ihrer Kalender den Vorrang.
Abbildung: Nachwort aus dem Chur-Brandenburgischen Kalender für 1701.
© Kopie im Archiv des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Autor: Roland Wielen, Professor (em.) für Theoretische Astronomie der Universität Heidelberg, Direktor a.D. des Astronomischen Rechen-Instituts Heidelberg.
Online-Projekt „Leibniz-Objekt des Monats“:
Das Projekt „Leibniz-Objekt des Monats“ stellt mit Expertenbeiträgen über das Leibniz-Jahr 2016 hinweg jeden Monat ein Archivale oder eine Handschrift vor. Ziel ist es, einerseits die grundlegende Bedeutung von Leibniz für die Akademiegeschichte herauszustellen und andererseits die Arbeit „an Leibniz“ sichtbar zu machen, die tagtäglich an der Akademie stattfindet. Die gezeigten „Objekte“ zeichnen in ihrer Gesamtheit ein ganz eigenes Bild vom Leben und Wirken des großen Visionärs.