Elektronische Fassung der Erstauflage, eingerichtet von Werner Stark, Februar 2006 / 28.03.2007 | ![]() |
|B_Racen_(1775)_ |P_01
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|P_02
|L01 /≥ 1. Von der Verschiedenheit der Racen überhaupt. ≤
|L02 Die Vorlesung, welche ich ankündige, wird mehr eine nützliche
Unterhaltung,
|L03 als eine mühsame Beschäftigung seyn; daher die
Untersuchung,
|L04 womit ich diese Ankündigung begleite, zwar etwas vor
|L05
den Verstand, aber mehr wie ein Spiel desselben, als eine tiefe Nachforschung
|L06 enthalten wird.
|L07 /Im Thierreiche gründet sich die Natureintheilung in Gattungen und
|L08 Arten auf das gemeinschaftliche Gesetz der Fortpflanzung, und die Einheit
|L09 der Gattung ist nichts anderes, als die Einheit der zeugenden Kraft, welche
|L10 vor eine gewisse Mannigfaltigkeit von Thieren durchgängig geltend ist. Daher
|L11 die Büffonsche Regel: daß Thiere, die mit einander fruchtbare Junge
|L12 erzeugen, (von welcher Verschiedenheit der Gestalt sie auch seyn mögen)
|L13 doch zu einer und derselben physischen Gattung gehören, eigentlich nur als
|L14 die Definition einer Naturgattung der Thiere überhaupt, zum Unterschiede
|L15 von allen Schulgattungen derselben, angesehen werden muß. Die Schuleintheilung
|L16 gehet auf Classen, welche nach Aehnlichkeiten, die Natureintheilung
|L17 aber auf Stämme, welche die Thiere nach Verwandtschaften in Ansehung
|L18 der Erzeugung eintheilt. Jene verschaft ein Schulsystem vor das Gedächtnis,
|L19 diese ein Natursystem vor den Verstand;
die erstere hat nur zur
|L20 Absicht, die Geschöpfe unter Titel, die zweyte, sie unter Gesetze zu
|L21 bringen.
|P_03
|L01 /Nach diesem Begriffe gehören alle Menschen auf der weiten Erde zu
|L02 einer und derselben Naturgattung, weil sie durchgängig mit einander fruchtbare
|L03 Kinder zeugen, so grosse Verschiedenheiten auch sonst in ihrer Gestalt
|L04 mögen angetroffen werden. Von dieser Einheit der Naturgattung, welche
|L05 eben so viel ist, als die Einheit der vor sie gemeinschaftlich gültigen Zeugungskraft,
|L06 kan man nur eine einzige natürliche Ursache anführen: nemlich
|L07 daß sie alle zu einem einzigen Stamme gehören, woraus sie, unerachtet
|L08 ihrer Verschiedenheiten, entsprungen sind, oder doch wenigstens haben entspringen
|L09 können. Im ersteren Falle gehören die Menschen nicht bloß zu einer
|L10 und derselben Gattung, sondern auch zu einer Familie; im zweyten
|L11 sind sie einander ähnlich, aber nicht verwandt, und es müßten viel Localschöpfungen
|L12 angenommen werden; eine Meynung, welche die Zahl der Ursachen
|L13 ohne Noth vervielfältiget. Eine Thiergattung, die zugleich einen
|L14 gemeinschaftlichen Stamm hat, enthält unter sich nicht verschiedene Arten
|L15 (denn diese bedeuten eben die Verschiedenheiten der Abstammung) sondern ihre
|L16 Abweichungen von einander heissen Abartungen, wenn sie erblich seyn.
|L17 Die erbliche
Merkmale der Abstammung, wenn sie mit ihrer Abkunft einstimmig
|L18 seyn, sind
Nachartungen; könte aber die Abartung nicht mehr
|L19 die ursprüngliche Stammbildung
herstellen, so würde sie Ausartung
|L20 heissen.
|L21 /Unter den Abartungen, d. i. den
erblichen Verschiedenheiten der Thiere,
|L22 die zu einem einzigen Stamme gehören, heissen
diejenige, welche sich sowohl
|L23 bey allen Verpflanzungen (Versetzungen in andere
Landstriche) in langen
|L24 Zeugungen unter sich beständig erhalten, als auch in der
Vermischung mit
|L25 andern Abartungen desselbigen Stammes, jederzeit halbschlächtige
Junge erzeugen,
|L26 Racen. Die, so bei allen Verpflanzungen das Unterscheidende
|L27 ihrer
Abartung zwar beständig erhalten, aber in der Vermischung mit andern
|L28 nicht nothwendig
halbschlächtig zeugen, heissen Spielarten; die aber, so
|L29 zwar oft, aber nicht beständig
nacharten, Varietäten. Umgekehrt heißt die
|L30 Abartung, welche mit andern zwar
halbschlächtig erzeugt, aber durch die
|L31 Verpflanzung nach und nach erlischt, ein
besonderer Schlag.
|L32 /Auf diese Weise sind Neger und Weisse zwar nicht verschiedene
Arten
|L33 von Menschen, (denn sie gehören zu einem Stamme), aber doch zwey verschiedene
|L34 Racen; weil jede derselben sich in allen Landstrichen perpetuirt und
|L35 beyde mit
einander nothwendig halbschlächtige Kinder, oder Blendlinge
|L36 (Mulatten) erzeugen.
Dagegen sind blonde und brunette nicht verschiedene
|L37 Racen; weil ein blonder Mann von
einer brunetten Frau auch lauter
|L38 blonde Kinder haben kan, obgleich jede dieser
Abartungen sich bey allen
|P_04
|L01 Verpflanzungen lange Zeugungen hindurch erhält. Daher
sind sie bisweilen
|L02 Spielarten der Weissen. Endlich bringt die Beschaffenheit des Bodens
(Feuchtigkeit
|L03 oder Trockenheit) imgleichen der Nahrung nach und nach einen erblichen
|L04 Unterscheid, oder Schlag, unter Thiere eben desselben Stammes und
|L05 Race,
vornemlich in Ansehung der Größe, der Proportion der Gliedmaßen
|L06 (plump oder
geschlank), imgleichen des Naturels, der zwar in der Vermischung
|L07 mit fremden
halbschlächtig anartet, aber, auf einem andern Boden
|L08 und bey anderer Nahrung, (selbst
ohne Veränderung des Climats) in wenig
|L09 Zeugungen verschwindet. Es ist angenehm, den
verschiedenen Schlag der
|L10 Menschen nach Verschiedenheit dieser Ursachen zu bemerken,
wo er in eben
|L11 demselben Lande bloß nach den Provinzen kenntlich ist, (wie sich die
Böotier,
|L12 die einen feuchten, von den Atheniensern unterschieden, die einen trockenen
|L13 Boden bewohnten), welche Verschiedenheit oft freylich nur einem aufmerksamen
|L14
Auge kenntlich ist, von andern aber belacht wird. Was bloß zu den
|L15 Varietäten gehöret und
also an sich selbst (ob zwar eben nicht beständig)
|L16 erblich ist, kan doch durch Ehen, die
immer in denselben Familien verbleiben,
|L17 dasjenige mit der Zeit hervorbringen, was ich den
Familienschlag
|L18 nenne, wo sich etwas Characteristisches endlich so tief in die
Zeugungskraft
|L19 einwurzelt, daß es einer Spielart nahe kommt und sich wie diese perpetuirt.
|L20 Man will dieses an dem alten Adel von Venedig, vornemlich der Damen
|L21 derselben
bemerkt haben. Zum wenigsten sind in der neu entdeckten Insel
|L22 Otaheite die adliche
Frauen insgesammt größeres Wuchses, als die Gemeinen.
|L23 Auf der Möglichkeit, durch
sorgfältige Aussonderung der ausartenden
|L24 Geburten von den einschlagenden, endlich
einen dauerhaften Familienschlag
|L25 zu errichten, beruhete die Meynung des Herrn
v. Maupertuis:
|L26 einen von Natur edlen Schlag Menschen in irgend einer Provinz zu ziehen,
|L27 worin Verstand, Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit erblich wären.
|L28 / ≥ 2. Eintheilung
der Menschengattung in ihre
|L29 verschiedene Racen. ≤
|L30 /Ich glaube, mit vier Racen
derselben auszulangen, um alle erbliche
|L31 und sich perpetuirende Unterschiede derselben
davon ableiten zu können. Sie
|L32 sind 1. die Race der Weissen, 2. die Negerrace, 3. die
Hunnische
|L33 (Mungalische oder Kalmukische) Race, 4. die Hinduische oder Hindistanische
|L34 Race. Zu der erstern, die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat,
|L35 rechne ich noch die
Mohren (Mauren von Afrika) die Araber (nach dem
|L36 Niebuhr), den türkisch-tatarischen
Völkerstamm und die Perser, imgleichen
|P_05
|L01 alle übrige Völker von Asien, die nicht
durch die übrige Abtheilungen namentlich
|L02 davon ausgenommen sind. Die Negerrace der
nordlichen Halbkugel ist bloß
|L03 in Afrika, die der südlichen (ausserhalb Afrika) vermuthlich
nur in Neuguinea
|L04 eingebohren (Avtochthones), in einigen benachbarten Inseln aber
|L05
bloße Verpflanzungen. Die Kalmukische Race scheinet unter den Koschottischen
|L06 am
reinesten, unter den Torgöts weniger, unter den Dsingorischen mehr
|L07 mit tatarischem Blute
vermischt zu seyn, und ist eben dieselbe, welche in den
|L08 ältesten Zeiten den Namen der
Hunnen, später den Namen der Mungalen
|L09 (in weiter Bedeutung) und jetzt der Oelöts
führet. Die Hindistanische
|L10 Race ist in dem Lande dieses Namens sehr rein und uralt, aber
von dem
|L11 Volke auf der jenseitigen Halbinsel Indiens unterschieden. Von diesen vier
|L12
Racen glaube ich alle übrige erbliche Völkercharaktere ableiten zu können:
|L13 entweder als
vermischte, oder angehende, oder ausgehende Racen;
|L14 wovon die erste aus der
Vermischung verschiedener entsprungen ist, die zweyte
|L15 in dem Clima noch nicht lange
gnug gewohnt hat, um den Charakter der
|L16 Race desselben völlig anzunehmen, die letzte
aber durch Verpflanzung in einen
|L17 andern Landstrich von ihrer alten Race etwas verlohren
hat, obgleich
|L18 noch nicht völlig ausgeartet ist. So hat die Vermischung des tatarischen
|L19
mit dem hunnischen Blute an den Karakalpacken, den Nagajen und andern,
|L20 Halbracen hervorgebracht [hat]. Das hindistanische Blut, vermischt mit
|L21 dem der alten Scythen (in und
um Tibet) und mehr oder weniger von dem
|L22 hunnischen, hat vielleicht die Bewohner der
jenseitigen Halbinsel Indiens,
|L23 die Tonquinesen und Schinesen, als eine vermischte Race
erzeugt. Die
|L24 Bewohner der nordlichen Eisküste Asiens sind ein Beyspiel einer angehenden
|L25 hunnischen Race, wo sich schon das durchgängig schwarze Haar, das bartlose
|L26 Kinn,
das flache Gesicht und langgeschlitzte, wenig geöfnete Augen zeigen;
|L27 die Wirkung der
Eiszone an einem Volke, welches in spätern Zeiten aus milderem
|L28 Himmelsstriche in diese
Sitze getrieben worden, so wie die Seelappen, ein
|L29 Abstamm des Ungrischen Volks, in nicht
gar viel Jahrhunderten, schon ziemlich
|L30 in das Eigenthümliche des kalten Himmelstriches
eingeartet sind, ob sie
|L31 zwar von einem wohlgewachsenen Volke aus der temperirten Zone
entsprossen
|L32 waren. Endlich scheinen die Amerikaner eine noch nicht völlig eingeartete,
|L33 oder halb ausgeartetet hunnische Race zu sein. Denn im äußersten Nordwesten
|L34 von Amerika, (woselbst auch, aller Vermuthung nach, die Bevölkerung
|L35 dieses Welttheils aus dem Nordosten von Asien, wegen der übereinstimmenden
|L36 Thierarten in beyden, geschehen seyn muß) an den nordlichsten Küsten
|L37 von der Hudsonsbay sind die Bewohner den Kalmuken ganz ähnlich.
|L38 Weiter hin in Süden wird das Gesicht zwar offener und erhobener, aber
|P_06
|L01 das bartlose Kinn, das durchgängig schwarze Haar, die rothbraune
Gesichtsfarbe,
|L02 imgleichen die Kälte und Unempfindlichkeit des Naturels, lauter
|L03 Überbleibsel von den Würkungen eines langen Aufenthalts im kalten Weltstriche,
|L04 wie wir bald sehen werden, gehen von dem äußersten Norden dieses
|L05 Welttheils bis zum Staaten Eylande fort. Von Amerika aus ist gar nichts
|L06 weiter bevölkert. Denn auf den Inseln des stillen Meeres sind alle Einwohner,
|L07 einige Neger ausgenommen, bärtig; vielmehr geben sie einige
|L08 Zeichen der Abkunft von den Malayen, eben so, wie die auf den sundaischen
|L09 Inseln; und die Art von Lehnsregierung, welche man auf der Insel Otaheite
|L10 antraf, und welche auch die gewöhnliche Staatsverfassung der Malayen ist,
|L11 bestätigt diese Vermuthung.
|L12 /Die Ursache, Neger und Weisse vor Grundracen anzunehmen, ist
|L13 vor sich selbst klar. Was die hindistanische und kalmukische betrift, so ist
|L14 das Olivengelb, welches dem mehr oder wenigen Braunen der heissen
|L15 Länder zum Grunde liegt, bey den ersteren eben so wenig, als das originale
|L16 Gesicht der zweyten von irgend einem andern bekannten Nationcharakter abzuleiten,
|L17 und beyde drücken sich in vermischten Begattungen unausbleiblich ab.
|L18 Auch trägt die Art, wie die übrige unvollkommene Racen aus diesen abgeleitet
|L19 werden können, dazu bey, die genannte als Grundracen anzusehen.
|L20 / ≥ 3. Von den unmittelbaren Ursachen des Ursprungs
|L21 dieser verschiedenen Racen. ≤
|L22 /Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres)
|L23 liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung desselben heissen, wenn diese
|L24 Auswickelung besondere Theile betrifft, Keime, betrift sie aber nur die
|L25 Größe, oder das Verhältniß der Theile unter einander, so nenne ich sie natürliche
|L26 Anlagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiedenen
|L27 Climaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer neuen
|L28 Schicht Federn, wenn sie im kalten Clima leben, die aber zurückgehalten
|L29 werden, wenn sie sich im gemäßigten aufhalten sollen. Weil in einem kalten
|L30 Lande das Weizenkorn mehr gegen feuchte Kälte geschützt werden muß, als
|L31 in einem trockenen oder warmen, so liegt in ihm eine vorherbestimmte
|L32 Fähigkeit oder natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubringen.
|L33 Diese Vorsorge der Natur: ihr Geschöpf durch versteckte innere
|L34 Vorkehrungen auf allerley künftige Umstände auszurüsten, damit es sich erhalte
|L35 und der Verschiedenheit des Clima oder des Bodens angemessen sey,
|L36 ist bewundernswürdig und bringt bey der Wanderung und Verpflanzung der
|P_07
|L01 Thiere und Gewächse, dem Scheine nach neue Arten hervor, welche nichts
|L02 anders, als Abartungen und Racen von derselben Gattung sind, deren
|L03 Keime und natürliche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitläuften auf
|L04 verschiedene Weise entwickelt haben (*).
|L05 /Der Zufall, oder allgemeine mechanische Gesetze können solche Zusammenpassungen
|L06 nicht hervorbringen. Daher müssen wir dergleichen gelegentliche
|L07 Auswickelungen als vorgebildet ansehen. Allein selbst da, wo sich
|L08 nichts zweckmäßiges zeiget, ist das bloße Vermögen, seinen besondern angenommenen
|L09 Charakter fortzupflanzen, schon Beweises genug: daß dazu ein
|L10 besonderer Keim, oder natürliche Anlage in dem organischen Geschöpf anzutreffen
|L11 gewesen. Denn äußere Dinge können wohl Gelegenheits-, aber
|L12 nicht hervorbringende Ursachen von demjenigen seyn, was nothwendig anerbt
|L13 und nachartet. So wenig als der Zufall, oder physisch-mechanische
|L14 Ursachen einen organischen Körper hervorbringen können, so wenig werden
|L15 sie zu seiner Zeugungskraft etwas hinzusetzen, d. i. etwas bewirken, was
|L16 sich selbst fortpflanzt, wenn es eine besondere Gestalt oder Verhältniß der
|L17 Theile ist (**). Luft, Sonne und Nahrung können einen thierischen Körper in seinem
|L18 Wachsthum modificiren, aber diese Veränderung nicht zugleich mit
|L19 einer zeugenden Kraft versehen, die vermögend wäre, sich selbst auch ohne
|L20 diese Ursache wieder hervorzubringen; sondern, was sich fortpflanzen soll,
|L21 muß in der Zeugungskraft schon vorher gelegen haben, als vorher bestimmt
|L22 zu einer gelegentlichen Auswickelung, den Umständen gemäß, darin das Geschöpf
|L23 gerathen kan und in welchen es sich beständig erhalten soll. Denn in
|L24 die Zeugungskraft muß nichts hinein kommen können, was vermögend wäre,
|L25 das Geschöpf nach und nach von seiner ursprünglichen und wesentlichen Bestimmung
|L26 zu entfernen und wahre Ausartungen hervorzubringen, die sich
|L27 perpetuirten.
|L28 /(*) Wir nehmen die Benennungen
Naturbeschreibung und Naturgeschichte
|L29 gemeiniglich in einerley Bedeutung. Allein es ist klar: daß die Kenntniß der Naturdinge,
|L30 wie sie jetzt sind, immer noch die Erkenntniß von demjenigen wünschen lasse, was
|L31 sie ehedem gewesen sind, und durch welche Reihe von Veränderungen sie durchgegangen,
|L32 um an jedem Orte in ihren gegenwärtigen Zustand zu gelangen. Die Naturgeschichte,
|L33 woran es uns fast noch gänzlich fehlt, würde uns die Veränderung der Erdgestalt, imgleichen
|L34 die der Erdgeschöpfe (Pflanzen und Thiere) die sie durch natürliche Wanderungen erlitten
|L35 haben, und ihre daraus entsprungene Abartungen von dem Urbilde der Stammgattung
|L36 lehren. Sie würde vermuthlich eine große Menge scheinbar verschiedener Arten
|L37 zu Racen eben derselben Gattung zurück führen, und das jetzt so weitläuftige Schulsystem
|L38 der Naturbeschreibung in ein physisches System für den Verstand verwandeln.
|L39 /(**) Krankheiten sind bisweilen erblich. Aber diese bedürfen keiner Organisation,
|L40 sondern nur eines Ferments schädlicher Säfte, die sich durch Ansteckung fortpflanzen.
|L41 Sie arten auch nicht nothwendig an.
|P_08
|L01 Der Mensch war vor alle Climaten und vor jede Beschaffenheit des
|L02 Bodens bestimmt, folglich mußten in ihm mancherley Keime und natürliche
|L03 Anlagen bereit liegen, um gelegentlich entweder ausgewickelt, oder zurückgehalten
|L04 zu werden, damit er seinem Platze in der Welt angemessen würde,
|L05 und in dem Fortgange der Zeugungen demselben gleichsam angebohren und
|L06 davor gemacht zu seyn scheine. Wir wollen nach diesen Begriffen die ganze
|L07 Menschengattung auf der weiten Erde durchgehen und daselbst zweckmäßige
|L08 Ursachen seiner Abartungen anführen, wo die natürliche nicht wohl einzusehen
|L09 sind, hingegen natürliche, wo wir die Zwecke nicht gewahr werden. Hier
|L10 merke ich nur an: daß Luft und Sonne diejenige Ursachen zu seyn scheinen,
|L11 welche auf die Zeugungskraft innigst einfließen und eine dauerhafte Entwickelung
|L12 der Keime und Anlagen hervorbringen, d. i. eine Race gründen können;
|L13 da hingegen die besondere Nahrung zwar einen Schlag Menschen hervorbringen
|L14 kan, dessen Unterscheidendes aber bey Verpflanzungen bald erlischt.
|L15 Was auf die Zeugungskraft haften soll, muß nicht die Erhaltung
|L16 des Lebens, sondern die Quelle desselben afficiren, d. i. die ersten Principien
|L17 seiner thierischen Einrichtung und Bewegung.
|L18 /Der Mensch, in die Eiszone versetzt, mußte nach und nach in eine kleinere
|L19 Statur ausarten; weil bey dieser, wenn die Kraft des Herzens dieselbe
|L20 bleibt, der Blutumlauf in kürzerer Zeit geschieht, der Pulsschlag also schneller
|L21 und die Blutwärme größer wird. In der That fand auch Cranz die Grönländer
|L22 nicht allein weit unter der Statur der Europäer, sondern auch von
|L23 merklich größerer natürlichen Hitze ihres Körpers. Selbst das Misverhältniß,
|L24 zwischen der ganzen Leibeshöhe und den kurzen Beinen, an den nordlichsten Völkern
|L25 ist ihrem Clima sehr angemessen, da diese Theile des Körpers wegen ihrer
|L26 Entlegenheit vom Herzen in der Kälte mehr Gefahr leiden. Indessen scheinen
|L27 doch die meisten der jetzt bekannten Bewohner der Eiszone nur spätere Ankömmlinge
|L28 daselbst zu seyn; wie die Lappen, welche mit den Finnen aus einerley
|L29 Stamme, nemlich dem Ungrischen entsprungen, nur seit der Auswanderung
|L30 der letztern (aus dem Osten von Asien) die jetzige Sitze eingenommen haben,
|L31 und in dieses Clima auf einen ziemlichen Grad eingeartet sind.
|L32 /Wenn aber ein nordliches Volk lange Zeitläufe hindurch genöthiget ist,
|L33 den Einfluß von der Kälte der Eiszone auszustehen, so müssen sich mit ihm
|L34 noch größere Veränderungen zutragen. Alle Auswickelung, wodurch der
|L35 Körper seine Säfte nur verschwendet, muß in diesem austrocknenden Himmelsstriche
|L36 nach und nach gehemmet werden. Daher werden die Keime des
|L37 Haarwuchses mit der Zeit unterdrückt, so daß nur diejenige übrig bleiben,
|L38 welche zur nothwendigen Verdeckung des Haupts erforderlich sind. Vermöge
|P_09
|L01 einer natürlichen Anlage werden auch die hervorragende Theile des Gesichts,
|L02 welches am wenigsten einer Bedeckung fähig ist, da sie durch die Kälte unaufhörlich
|L03 leiden, vermittelst einer Vorsorge der Natur allmählich flacher
|L04 werden, um sich besser zu erhalten. Die wulstige Erhöhung unter den Augen,
|L05 die halbgeschlossene und blinzernden Augen scheinen zur Verwahrung derselben,
|L06 theils gegen die austrocknende Kälte der Luft, theils gegen das Schneelicht,
|L07 (wogegen die Esquimaux auch Schneebrillen brauchen), wie veranstaltet
|L08 zu seyn, ob sie gleich auch als natürliche Wirkungen des Clima angesehen
|L09 werden können, die selbst im mildern Himmelsstriche, nur in weit geringerem
|L10 Maaße, zu bemerken sind. So entspringt nach und nach das bartlose
|L11 Kinn, die gepletschte Nase, dünne Lippen, blinzernde Augen, das flache
|L12 Gesicht, die röthlich braune Farbe mit dem schwarzen Haare, mit einem Worte,
|L13 die kalmukische Gesichtsbildung, welche, in einer langen Reihe von Zeugungen
|L14 in demselben Clima, sich bis zu einer dauerhaften Race einwurzelt, die sich erhält,
|L15 wenn ein solches Volk gleich nachher in mildern Himmelsstrichen neue
|L16 Sitze gewinnt.
|L17 /Man wird ohne Zweifel fragen: mit welchem Rechte ich die kalmukische
|L18 Bildung, welche jetzt in einem temperirten Himmelsstriche in ihrer größten
|L19 Vollständigkeit angetroffen wird, tief aus Norden oder Nordosten herleiten
|L20 könne. Meine Ursache ist diese. Herodot berichtet schon aus seinen Zeiten:
|L21 daß die Argippäer, Bewohner eines Landes am Fuße hoher Gebirge,
|L22 in einer Gegend, welche man vor die des Uralgebirges halten kan, kahl und
|L23 und flachnasigt wären und ihre Bäume mit weißen Decken (vermuthlich versteht
|L24 er Filtzzelte) bedeckten. Diese Gestalt findet man jetzt, in größerm oder
|L25 kleinerm Maaße, im Nordosten von Asien, vornemlich aber in dem nordwestlichsten
|L26 Theil von Amerika, den man von der Hudsonsbay aus hat entdecken
|L27 können, wo, nach einigen neuen Nachrichten, die Bewohner wie
|L28 wahre Kalmuken aussehen. Bedenkt man nun daß in der ältesten Zeit Thiere
|L29 und Menschen in dieser Gegend zwischen Asien und Amerika müssen gewechselt
|L30 haben, indem man einerley Thiere in dem kalten Himmelsstriche beyder
|L31 Welttheile antrift, daß diese menschliche Race sich allererst etwa 1000 Jahr
|L32 vor unserer Zeitrechnung (nach dem Desguignes) über den Amurstrom hinaus
|L33 den Chinesern zeigte, und nach und nach andere Völker, von tatarischen,
|L34 Ungrischen und andern Stämmen, aus ihren Sitzen vertrieb, so wird diese
|L35 Abstammung aus dem kalten Weltstriche nicht ganz erzwungen
scheinen.
|L36 /Was aber das vornehmste ist, nemlich die Ableitung der Amerikaner, als
|L37 einer nicht völlig eingearteten, oder vielleicht halb ausgearteten Race, eines
|L38 Volks, das lange den nordlichsten Weltstrich bewohnet hat, wird gar sehr durch
|P_10
|L01 den erstickten Haareswuchs an allen Theilen des Körpers, ausser dem Haupte,
|L02 durch die röthliche Eisenrostfarbe der kälteren, und die dunklere Kupferfarbe
|L03 heisserer Landstriche dieses Welttheils bestätigt. Denn das Rothbraune scheint
|L04 (als eine Wirkung der Luftsäure) eben so dem kalten Clima, wie das Olivenbraun
|L05 (als eine Wirkung des Laugenhaft-galligten der Säfte) dem heissen Himmelsstriche
|L06 angemessen zu seyn, ohne einmal das Naturel der Amerikaner in Anschlag
|L07 zu bringen, welches eine halb erloschene Lebenskraft verräth, die am
|L08 natürlichsten vor die Wirkung einer kalten Weltgegend angesehen werden kan.
|L09 /Die größeste feuchte Hitze des warmen Clima, muß hingegen an einem
|L10 Volke, dessen fruchtbarste Landstriche gerade diejenige seyn, worinn der Einfluß
|L11 von beyden am heftigsten ist, wenn es jetzt alt genug ist um seinem
|L12 Boden völlig anzuarten, Wirkungen zeigen, die den vorigten gar sehr entgegen
|L13 gesetzt sind. Der Verlust der Säfte durch Ausdünstung (wegen der
|L14 Hitze der Weltgegend) erforderte und die Hitze bewirkte es: daß die Keime
|L15 des Haarwuchses, als eine Verschwendung derselben, zurückgehalten
|L16 würden, ausser auf dem Haupte. Die Haut mußte geöhlt seyn, damit
|L17 diese Ausdünstung vermindert würde. (Die schwarze Farbe derselben kan
|L18 als eine Nebenfolge, durch Fällung der Eisentheile, welche in allem
|L19 Thierblute enthalten sind, vermittelst der besondern Eigenschaft der ausdünstenden
|L20 Säfte angesehen werden.) Der Wuchs der schwammigten Theile
|L21 des Körpers mußte in einem heissen und feuchten Clima zunehmen; daher
|L22 die dicke Stülpnase und Wurstlippen. Kurz es entsprang der Neger, der
|L23 seinem Clima wohl angemessen ist: stark, fleischig, gelenk von warmen
|L24 Blut, aus Mischung, und von trägem, wegen Schlafheit der Gefäße, ist.
|L25 /Der Eingebohrne von Hindistan kan als aus einer der ältesten menschlichen
|L26 Racen entsprossen angesehen werden. Sein Land, welches nordwerts
|L27 an ein hohes Gebirge gestützt und von Norden nach Süden, bis zur Spitze
|L28 seiner Halbinsel, von einer langen Bergreihe durchgezogen ist, (wozu ich nordwerts
|L29 noch Tibet, vielleicht den allgemeinen Zufluchtsort des menschlichen
|L30 Geschlechts, während, und dessen Pflanzschule nach der letzten großen Revolution
|L31 unserer Erde, mitrechne,) hat in einem glücklichen Himmelsstriche
|L32 die vollkommenste Scheitelung der Wasser, (Ablauf nach zweyen Meeren)
|L33 die sonst kein Theil des festen Landes von Asien hat. Es konnte also in den
|L34 ältesten Zeiten trocken und bewohnbar seyn, da, sowohl die östliche Halbinsel
|L35 Indiens, als China (weil in ihnen die Flüsse, anstatt sich zu scheiteln, parallel
|L36 laufen) in jenen Zeiten der Ueberschwemmungen noch unbewohnt seyn
|L37 mußten. Damals scheint auch dieses Land von allen Ländern Asiens lange
|L38 Zeit abgeschnitten gewesen zu seyn. Denn der große Landstrich, der zwischen
|P_11
|L01 dem mustag- und dem altaischen Gebirge, imgleichen zwischen der kleinen
|L02 Bucharey und Daurien inne liegt und Hindistan nordwerts abschneidet,
|L03 so wie anderswerts Persien und Arabien welche es westwerts
|L04 von der übrigen Welt absondern, sind Länder, die zu dem Meere hin entweder
|L05 gar keinen, oder nur nahe an den Küsten einen kurzen Abhang haben,
|L06 Büache nennt dergleichen hohe und wagrecht gestellte Länder Platteformen)
|L07 und also gleichsam Bassins alter Meere, die nach und nach eingetrocknet
|L08 sind, wie der Sand, (*) der die Fläche derselben fast allenthalben bedecket,
|L09 und vermuthlich ein Niederschlag der alten ruhigen Wasser ist, es zu bestätigen
|L10 scheint.
|L11 /Hindistan also, in jener Zeit abgeschnitten von der übrigen Welt,
|L12 (welches man auch von Afrika vermittelst der Wüste Sahara, dem sichtbaren
|L13 Bassin eines alten Meeres sagen kan), konnte in langen Zeitläuften eine
|L14 feste menschliche Race gründen. Das Olivengelb der Haut des Indianers,
|L15 die wahre Zigeunerfarbe, welche dem mehr oder weniger dunkeln Braun anderer
|L16 ostlichen Völker zum Grunde liegt, ist eben so charakteristisch und in der
|L17 Nachartung beständig, als die schwarze Farbe der Neger, und scheint zusammt
|L18 der übrigen Bildung und dem verschiedenen Naturelle, eben so die
|L19 Wirkung einer trockenen, wie die letztere der feuchten Hitze zu seyn. Der
|L20 Indianer giebt in der Vermischung mit dem Weissen, den gelben Mesticen,
|L21 wie der Amerikaner den Rothen, oder der letztere mit dem Neger den Kabugl,
|L22 (den schwarzen Karaiben) welche insgesammt Blendlinge sind und
|L23 ihre Abkunft von ächten Racen beweisen.
|L24 /Frägt man: mit welcher der jetzigen Racen der erste Menschenstamm
|L25 wohl möge die meiste Aehnlichkeit gehabt haben, so wird man sich, wiewohl
|L26 ohne jedes Vorurtheil, wegen der anmaslich größeren Vollkommenheit einer
|L27 Farbe von der andern, vermuthlich vor die der Weissen erklären. Denn der
|L28 Mensch, dessen Abkömmlinge in alle Himmelstriche einarten solten, konnte
|L29 hiezu am geschicktesten seyn, wenn er uranfänglich dem temperirten Clima
|L30 / (*) Die Platteformen heissen Ebenen; weil der Fuß der in ihrem Innern befindlichen
|L31 Gebirge mehrentheils mit horizontal liegendem Sande bedeckt ist, und sie also keinen weit
|L32 erstreckten Abhang ihres Bodens haben. Weswegen sie auch viele Flüsse enthalten, die im Sande
|L33 versiegen und das Meer nicht erreichen, ein Umstand den man sonst nirgend in der Welt
|L34 antrift. Alle Sandwüsten sind hohe Ebenen (Platteformen) und alle hohe Ebenen sind
|L35 Sandwüsten: ein merkwürdiger Satz über das Bauwerk der Erde. Sie sind als trockene
|L36 Bassins anzusehen, weil sie von Höhen eingeschlossen sind, und da sie im Ganzen Wasserpaß
|L37 halten, ihr Sand aber über den Fuß der nächsten oder inwendigen Gebirge erhöhet
|L38 ist, so nehmen sie keinen Fluß ein und lassen keinen aus. Der Gürtel, von der Grenze
|L39 Dauriens an über die Mungaley, kleine Bucharey, Persien, Arabien, Nubien, die Sahara
|L40 bis zu Capo Blanco ist das einzige, was man von dieser Art auf der Erde antrift und
|L41 ziemlich zusammenhängend ansieht.
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|L01 angemessen war; weil solches zwischen den äußersten Gränzen der Zustände,
|L02 darin er gerathen solte, mitten inne liegt. Und hieselbst finden wir auch von
|L03 den ältesten Zeiten her die Race der Weissen.
|L04 /Da hat man nun Muthmaßungen, die wenigstens Grund genug
|L05 haben, um andern Muthmaßungen die Waage zu halten, welche die Verschiedenheiten
|L06 der Menschengattung so unvereinbar finden, daß sie deshalb
|L07 lieber viele Localschöpfungen annehmen. Mit Voltären sagen: Gott, der
|L08 das Rennthier in Lappland schuf, um das Moos dieser kalten Gegenden zu
|L09 verzehren, der schuf auch daselbst den Lappländer, um dieses Rennthier, zu essen, ist
|L10 kein übler Einfall vor einen Dichter, aber ein schlechter Behelf vor den Philosoph,
|L11 der die Kette der Natursachen nicht verlassen darf, als da, wo er sie
|L12 augenscheinlich an das unmittelbare Verhängniß geknüpft sieht.
|L13 /Die physische Geographie, die ich hiedurch ankündige, gehört zu einer
|L14 Idee, welche ich mir von einem nützlichen akademischen Unterricht mache,
|L15 den ich die Vorübung in der Kenntniß der Welt nennen kan. Diese
|L16 Weltkenntniß ist es, welche dazu dient, allen sonst erworbenen Wissenschaften
|L17 und Geschicklichkeiten das Pragmatische zu verschaffen, dadurch sie
|L18 nicht bloß vor die Schule sondern vor das Leben brauchbar werden, und
|L19 wodurch der fertig gewordene Lehrling auf den Schauplatz seiner Bestimmung
|L20 nemlich in die Welt eingeführet wird. Hier liegt ein zwiefaches Feld vor
|L21 ihm, wovon er einen vorläufigen Abriß nöthig hat, um alle künftige Erfahrungen
|L22 darin nach Regeln ordnen zu können: nemlich die Natur und der
|L23 Mensch. Beyde Stücke aber müssen darin cosmologisch erwogen werden,
|L24 nemlich nicht nach demjenigen, was ihre Gegenstände im Einzelnen
|L25 Merkwürdiges enthalten, (Physik und empirische Seelenlehre), sondern was
|L26 ihr Verhältniß im Ganzen, worin sie stehen und darin ein jeder selbst seine
|L27 Stelle einnimmt, uns anzumerken giebt. Die erstere Unterweisung nenne
|L28 ich physische Geographie und habe sie zur Sommervorlesung bestimmt,
|L29 die zweyte, Anthropologie, die ich vor den Winter aufbehalte. Die
|L30 übrige Vorlesungen dieses halben Jahres sind schon gehöriges Orts öffentlich
|L31 angezeigt worden.