Knopf: Bibliothek

Scheuchzer, Johann Jacob

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Physica oder Natur-Wissenschaft, [...]. Die Vierte Auflage; in welcher die Schreib-Art des sel. Hrn. Verfassers durchaus mit vieler Sorgfalt nach der hochdeutschen Mund-Art verbessert, und das ganze Werk zu kommlicherm Gebrauch eingerichtet: [...], 2 Bde. (Zürich 1743)
<4>X C 202c


Bd. 2, S. 158-161
£{Hol-096,03ff.}
XIX. Bey der obern Erde, welche wir nebst denen Pflanzen und Thieren bewohnen, nehmen wir eine grosse Unebenheit wahr. Wer sonderlich auf hohen Gebirgen die umliegende Erden-Gestalt ansiehet, dem kommet sie vor als ein altes eingefallenes Gebäude. Ja es zeiget die Gehaltsame der Berge, Thälern und der ganzen obern Erden-Rinde, so weit man bis dahin hat kommen können, gewiß an, daß ehemals die Erde eine andere Gestalt gehabt; hernach aber zusammen gebrochen, eingesunken, und in gegenwärtige Ordnung der auf einander liegenden Lager (stratorum) gebracht worden. Forschen wir aber der eigentlichen Zeit und Gelegenheit nach, wenn diese grosse Veränderung sich zugetragen, und befragen darüber beydes, die Natur und die Schrift, so finden wir, daß die Erde sothane gewaltige zerstörliche Aenderung ausgestanden bey Anlaß einer allgemeinen, über die ganze Erde ergangenen Ueberschwemmung, welche nothwendig die sogenannte Sündfluth seyn muß, davon sich auch dunkle Anzeigen bey Heidnischen Scribenten finden, die eigentliche Beschreibung aber aus dem unfehlbaren göttlichen Wort herzuholen. Es führt uns zwarn die Natur selbst auf den Weg solcher Gedanken. Denn, lieber, wo wollen wir so viel Millionen Muscheln, Schnecken, schaligte Thiere, Fische herleiten, welche sich sonst in dem Meer oder andern Wassern aufhalten, ja nirgends anders leben, oder hervorgebracht werden können, aber gleichwohl in den tieffesten Bergwerken, zwischen den Schiffersteinen, in mitten der hartesten Marmor- und andern Felsen, in allerhand Art Erden, ja auf den höchsten Bergfirsten angetroffen werden, allwo ich ganze Felsen gesehen, die von lauter Meermuscheln zusammengesetzt seyn? Wie sollten aber diese Meergäste in mitten der festen Erde und Steinen gerathen seyn, als bey Anlaß einer gänzlichen Auflös- oder Zermürsung der ganzen obern Rinde der Erden, und darauf gefolgeten Einsinkung derselben? Es bestätiget diese Grund-Wahrheit auch die Ordnung der Lagern, und darinn eingeschlossenen fremden Cörpern selbst, welche alle gemeiniglich da, wo sie in Ansehung ihrer Specific-Schwere hingehören, liegen, die leichtern oben, die schwerern unten; über welche Materie weitläuftiger gelesen zu werden, verdient, des gelehrten Engelländers, Johannis Woodwardi, von mir aus dem Engelländischen ins Lateinische übersetzte Geographia Physica.

XX. Es ist hiemit gewiß, daß unsre Erde vor dem Sündfluß ein anders Aussehen gehabt. Wie aber die erste Erde beschaffen gewesen sey, davon seyn die Meynungen ungleich. Burnet ein gelehrter Engelländer beschreibet in seinem Buch, Theoria Telluris Sacra genannt, die erste Erde also, daß sie ganz eben gewesen sey, ohne Berge, Thäler, Meer, Flüsse; daß sie eine ganz andere Situation gehabt gegen der Sonne, als itzt, massen die Erden Axe sich gegen der Axe der Ecliptic nicht inclinirt habe, sondern derselben Parallel gewesen sey, folglich dort nicht die geringste Abänderung der Jahrszeiten, sondern ein beständiger Frühling geherrschet habe. Unter der obern bewohnten Erden-Rinde, welche überall gleiche einem Paradies gewesen sey, seyen gestanden die Wasser des Abgrunds, in welchen die erste Erde hinuntergesunken, und hernach die itzige von ungefehr entstanden mit ihren Bergen, Thälern, Meeren, Flüssen. Dieser Burnetianischen Hauptlehre setzen sich entgegen fast alle heutige Natur- und Schriftsteller: und beweisen klar, absonderlich Woodward in obangezogenen Buch, daß die erste Erde eine gleich Aussicht gehabt habe, wie die itzige, aber gleichwohl von dieser unterschieden gewesen sey in Ansehung der edeln Fruchtbarkeit und Zartheit. Die erste obere schwarze Garten-Erde war nicht mit so vielen steinigten, mineralischen Theilen vermischet, wie die heutige, sondern reiner, dem Stande der ersten Eltern angemessen; die Gewächse wuchsen von selbst auf, ohne daß man nöthig hatte das Feld mit so grosser saurer Arbeit zu bauen, wie heut zu Tage, deßwegen die erste Bewohner Zeit genug gehabt hätten, durch Erfindung allerhand Künsten und Wissenschaften und Auszierungen ihrer Gemüths-Gaben, Gott ihren Schöpfer zu preisen; weilen, aber leider, durch des Adams Fall, das menschliche Geschlecht aus dem Stande der Unschuld, Großmüthigkeit, und wahren Tugenden verfallen in weibische Zaghaftigkeit, und sich unterwürffig gemacht denen verderbten Passionen, die reichen Erden-Früchte mißbraucht zur Faul- und Geilheit, und Ausübung allerhand Sünden und Lastern, so daß ihre Bosheit sehr groß war auf Erden / und alles Dichten und Trachten ihres Herzens ganz böß immerdar. Gen. 6:5. Die Erde verderbt war vor Gott / und voll Frefels; und alles Fleisch seinen Weg zerstört hat auf Erden / Gen. 6: 11.12. welcher Verderbniß natürliche veranlassende Ursache nicht wohl anderstwoher kann geleitet werden, als von überflüssiger Fruchtbarkeit, denn heut zu Tage die Natur des Menschen eben so verderbt, als in ersten Zeiten, aber nun nicht mehr den Anlaß hat dem Müssiggange obzuliegen, wie einsten. Weilen, sage ich, die Erde aus einer Wohnstatt vernünftiger, Gott ehrender und fürchtender Menschen verwandelt worden in ein Toll- und Narrenhaus, so hat es dem allgewaltigen und gütigsten Schöpfer gefallen, Hand an diese Krankheiten zu legen, die armselige Welt aus ihrem Elende zu erretten, sie von ihren viehischen Lüsten abzuhalten, und zu einem besseren Leben zu verleiten; welches geschehen theils durch Abkürzung und Einziehung der Macht der Sünde; durch Unterbrechung der Laster vermittelst nothwendiger Arbeit und Schwächung der Leibeskräfte; durch nähere Anführung des Tods, welcher vor dem 8 und 900 Jahr weit von den Menschen gestanden, in kraft des von Gott selbst ausgesprochenen Urtheils, daß hinfort des Menschen Tage seyn sollen hundert und zwanzig Jahr / Gen. 6:3. theils durch Wegnehmung der anlockenden, oder zur Sünde veranlassenden Ursachen; durch Verderbung der Erde selbst, Verminderung ihrer Fruchtbarkeit, wie denn Gott selbst, Gen. 6:13. zu Noa gesprochen; Ich will sie / die Menschen, verderben mit der Erden / und Gen. 9:11. nach Verfliessung der Wasser des Sündflusses dem Noa versprochen, daß hinfür nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll mit dem Wasser des Sündflusses / und solle hinfür kein Sündfluß mehr kommen / der die Erde verderbe; welche letztere Wort die 70 Dolmetscher kräftig also ausdrucken, $kai uk eti estai kataklusmos udatos kataphteirai pasan ten gen$, und es wird hinfort kein Wasserfluß seyn / der die Erde verderbe. Sothane Verderbung der ganzen Erde kann nicht besser verstanden werden, als nach unsrer Meynung durch eine Auflösung oder Zermalmung in einen Brey, welche sich überdies gar schön aus der Natur bekräftiget. Es hätte der grosse Gott das verderbte menschliche Geschlecht in unzahlbare andere Wege, durch Krieg, Hunger, Pest strafen können, weilen er alle Kräfte der Natur in seiner Hand hat; Es hat aber seiner gütigsten Weisheit gefallen wollen, ein solches Mittel zu erwehlen, welches nicht nur die Krankheit, sondern auch den Anlaß zur Krankheit wegnehmen wurde, welches gar bequem durch Verderbung der Erden in der Sündflut geschehen, deren Merkzeichen nicht nur bekannt gewesen in den ersten Jahren nach dem Sündfluß, sondern annoch in der Bergen Gestaltsame, in so vielen Millionen Muscheln, Schnecken, Fischen und andern Ueberbleibseln, uns vorstellen den Greuel der Sünde, die Gerechtigkeit und Nothwendigkeit der Strafe; so da wir die Zerstörung und Wiederaufrichtung der Erden durch die Wasser ansehen können und sollen, als ein herrliches Werk der weisesten Vorsehung, Allmacht, Güte und Barmherzigkeit Gottes; es ist die Erde alsobald nach dem Sündenfall verflucht worden, daß sie dem Menschen Dörn und Dissel wachsen lasse / Gen. 3:17.18. Es hat aber Gott nicht alsobald diesen Fluch an der Erden ausüben, und ein so herrliches Werk seiner Händen alsobald verderben wollen, sondern die Vollstreckung dieser Sentenz; versparet 1500 Jahre; Gleich er an Adam nicht alsobald vollstrecket, das ihm angekündigte Todes-Urtheil, Gen. 2:17. welches Tags du von dem Baume der Erkenntniß des guten und des bösen issest / wirst du des Tods sterben. Der Tod hat zwarn über Adam angefangen herrschen, aber ihn erst nach 800 Jahren verschlungen. Wegen der Bereitung und Ausfertigung der ersten Erdkugel, wie sie Anfangs von Gott erschaffen und zusammengesetzet worden, mag man insonderheit einen Burnetianer oder Cartesianer anfragen aus Job 38:4. Wo warest du / da ich die Erde gründete, sage mir, bist du so klug.


Datum: 12.12.2006 / 22.05.2007 / 31.07.2007 / 02.02.2010