![]() |
Bonnet (1766) | ![]() |
Charles Bonnet:
Betrachtung über die Natur
(Leipzig 1766) [LXXVII, 520 S., Tafeln]
2te Auflage: 1772
3te Auflage: 1774
****************
<7> DD97 A 12 [Internetressource] [1766]
// <7> [Internetressource] [1772]
// <4> IX C 239b [1774]
Gliederbau
|P_ix
Das Geheimniß der Zeugung ist eben so verborgen, als die Ursache der Schwere;
ein Naturgeschichtkenner versuchet, es aufzuklären, er schreibt ausdrücklich:
[...].
|P_33
Ich merke drey Hauptgattungen in der Zusammensetzung irrdischer Körper an. Die
erste der flüßigen; die zweyte der festen leblosen oder unorganischen; die
dritte der festen organischen Körper.
|P_37: Hier kommen zuerst die blättrigen und faserigten Steine in Betrachtung. Die scheinbare Organisation der blättrigten, die gleichsam in Schichten und Shelfern zertheilet sind, wie die Schiefer, der Talkstein u.s.f. ingleichen der faserigten, die aus Fäden, wie der Amianth, zusammengesetzt sind, scheinen die Stellen zu seyn, wo man von den festen leblosen, zu den festen organischen Körpern übergeht. Inzwischen scheint dieser Uebergang nicht so genau und glücklich zu seyn, als er sich in vielen andern Klassen der irrdischen Wesen findet. Die Natur scheint hier einen Sprung zu thun, der aber ohne Zweifel wegfallen wird, wenn wir mit der Zeit zu richtigerer und mehrerer Erkenntniß dieser Dinge gelangen.
|P_38: Die festen organischen Körper theilen sich von selbst in zwo Hauptklassen, in Gewächse und Thiere. Es ist nicht so leicht zu sagen, was diese zwo Klassen eigentlich unterscheide.
|P_52
£{Hes-137,06}
Sie [sc. die Tiere] führen den allgemeinen Namen der Insekten, welchen sie von den
vielen, mehr oder weniger tiefen Einschnitten, und Abtheilungen ihres Körpers,
herhaben.
Der wesentliche Unterscheidungscharakter der Insekten von andern Thieren,
besteht darinn, daß sie keine Knochen haben. Die knochenähnlichen Theile, womit
einige Insektenarten versehen sind, finden sich nur äußerlich am Körper,
da im Gegentheil die Knochen bey andern Thieren allezeit inwendig zu stehen kommen.
|P_58: Die Schaalthiere und die Insekten mit Schaalen oder Schuppen, scheinen in einem gemeinsamen Charakter einander nahe zu kommen; beyde haben äußerlich ihre Knochen. In der That, man könnte die Schaale für den Knochen des Thieres halten, welches darinn stecket.
|P_71: Oben an der Spitze der Stufenleiter aller natürlichen Dinge ist der Mensch gestellet, das Meisterstück der irrdischen Schöpfung. Betrachter der Werke des Allmächtigen, eure Bewunderung erschöpfet sich bey dem Anblicke dieses wundersamen Körpers.
|P_115
In der physischen Welt ist alles Verwandelung. Die Gestalten wechseln
unaufhörlich; die Menge der Materie ist allein unwandelbar. Einerley Substanz geht
nach und nach durch alle drey Naturreiche. Einerley zusammengesetztes Ding wird nach und
nach Mineral, Pflanze, Insect, kriechendes Thier, Fisch, Vogel. vierfüßiges
Thier, Mensch. Die organischen Maschinen sind bey diesen Verwandlungen vornehmlich die
wirkenden Wesen.
|P_125
Da die Pflanze in der Frucht, oder dem Saamkorne, ganz im Kleinen eingeschlossen
liegt, so ist sie darinnen zugleich mit einem Haufen Mehl umgeben, welches, durch das
eingedrungene Wasser aufgelöset, mit ihr in Gährung geräth, und dem Keime
seine erste Nahrung verschaffet.
[Nicht die Quelle zu Kae-374]
|P_126
Die Gewächse vermehren sich durch das Saamkorn, durch Ausschößlinge
und durch Reiser. Die Fruchtröhren und die Staubfäden sind bey den Pflanzen
dasjenige, was die Zeugungsglieder bey den Thieren sind. Die erste enthält das
Saamkorn, welches der Staub von den letzten befruchtet.
Gewöhnlichermaßen sind beyde Geschlechter in einer Pflanze vereiniget; und
diese Art Pflanzen sind wahrhafte Zwitter. [...] Noch andere haben, wie die meisten
Thiere, einzelne Pflanzen männliches, und andere einzelne weibliches Geschlechts.
|P_142f.
Nachdem die Naturlehre die Entstehung der organischen Körper mechanisch zu
erklären sich unterfangen, so hat sie sich in der Nacht der Muthmaßungen
verlohren, und von der Philosophie die Fackel borgen müssen, um den wahren Ursprung
derselben zu entdecken. Man begreift sehr leicht, ohne eben ein Morgagni, ein
Haller, ein Albinus zu seyn, daß alle Theile eines Thieres unter sich so
richtige, so mannichfaltige, so vielfache Verhältnisse, so genaue und
unauflösliche Verbindungen haben, daß sie jederzeit zugleich vorhanden / seyn
müssen. Die Pulsadern setzen die Blutadern, beyde die Nerven zum Grunde; diese das
Gehirn, und dieses wiederum das Herz; alle aber erfordern eine Menge anderer organischer
Werkzeuge.
|P_145
Außer diesem beweisen noch verschiedene andere Vorfälle die
Präexistenz der organischen Ganzen. Man weis heut zu Tage, daß viele Insekten
sich, wie die Pflanzen, durch Ausschößlinge vermehren. Man schneidet sie in
Stücken, und jegliches Stück wird neu gebohren, und ein vollkommenes Thier.
|P_147
Wenn ein organisches Ganzes sich auszuwickeln anhebet, so ist seine Gestalt von
derjenigen, die es künftig annehmen wird, so wunderbarlich unterschieden, daß
man es durchaus nicht kennen würde, wenn man ihm nicht in allen seinen
Veränderungen gefolget wäre. Sehet einmal, wie die Theile einer Pflanze in dem
Saamkorne, oder dem Auge in einander gewickelt, zusammengedrehet, und concentriret sind!
Ist das der majestätische Baum, der mit der Zeit ein großes Stück Erdreich
beschatten wird? Diese Blume, die sich mit Anmuth aufschließen, diese Frucht, die
sich regelmäßig abrunden wird? Ihr seht nichts, als einen unförmlichen
Haufen von Fäden und Klümpgen; und gleichwohl enthält dieses kleine Chaos
schon eine Welt, worinne alles organisch und symmetrisch ist.
|P_148-149
Je mehr man also auf den Ursprung der organischen Wesen zurückgeht, je gewisser
wird man, daß sie schon, ehe sie noch zum Vorscheine kommen, präexistirt haben;
zwar nicht so, wie sie anfangs erschienen, sondern mehr verstellt. Wäre es
möglich, selbige noch weiter hinauf gewahr zu werden, so würden wir sie ohne
Zweifel annoch verstellter antreffen, und zugleich einsehen, welchergestalt die erste
Form, unter welcher wir sie anfänglich erblickten, haben annehmen können. / Wir
können uns daher von dem ursprünglichen Zustande der organischen Wesen keinen
Begriff machen; ich rede von demjenigen Zustande, welchen sie, meiner Meynung nach, von
der Hand desjenigen empfangen haben, der gleich im Anfange alles geordnet hat.
|P_150
Dieser Zustand, in welchem wir die organischen Körper anfänglich gewesen zu
seyn uns vorstellen, ist der Zustand des Keimes; und wir sagen, daß der Keim alle
Theile des künftigen Gewächses oder Thieres im Kleinen enthalte. Es bekömmt
daher keine Organa, die es nicht schon zuvor hatte; sondern die vorher unsichtbaren
Organa, fangen an, sichtbar zu werden. Wir wissen nicht, bis wie weit sich die Materie
theilen lasse; wir sehen aber doch, daß sie erstaunend getheilet sey. Vom Elephanten
bis zur Käsemilbe, vom Wallfische bis zum Thiergen, das sieben und zwanzig Millionmal
kleiner, als die Milbe ist, vom Sonnenkörper, bis zum Lichtkügelgen, wie
unbegreiflich viele Zwischenstufen!
----
[Meint, der Keim liege schon fertig da und die hinzukommenden Samenfeuchtigkeit bilde
nur eine stimulans (157), die die Entwicklung anstößt, einen Impuls gibt. Also
keine Verschmelzung zweier Halben: Ei und Sperma.]
|P_163f.
Der Maulesel ist unfruchtbar; nicht weil seine Zeugungswerkzeuge äußerlich
übel gestaltet sind; sie sind es vielmehr inwendig, welches man am besten an der
Saamenfeuchtigkeit gewahr wird, die der Maulesel wegläßt. Dieser fehlen die
Thiergen, die man in allen fruchtbaren Saamen antrifft. [...] Man sieht wohl, daß
selbige nicht gerade deswegen unfruchtbar sind, weil ihnen diese Thiergen mangeln; sondern
sie mangeln ihnen, weil sie unfruchtbar sind. Diese kleinen Würmgen, welche man in
den Zeugungsgeschäffte eine so große / Rolle hat spielen lassen, können
nicht ferner die Hauptacteurs darinnen seyn, so bald es erwiesen ist, daß der Keim
ganz vollkommen in dem Weibgen präexistire.
|P_165
Es scheint deswegen, daß sich alle diejenigen Thiere, als von einerley Art,
annehmen lassen, aus deren Vermischung mittlere Thiere zum Vorscheine kommen, die sich
fortpflanzen.
|P_169: Die angeführten Grundsätze von der Erzeugung der Thiere, beziehen sich von selbst auf die Erzeugung der Pflanzen. Was bey jenen die Saamenfeuchtigkeit ist, das ist bey diesen der Staub der Blüthspitzen. Diese zwo Klassen der organischen Körper haben eine bewundernswürdige Aehnlichkeit unter sich, wie wir bald sehen wollen.
|P_290: Bey vielen Arten ist jegliche einzelne Pflanze ein wahrhafter Hermaphrodite, der beyde Geschlechter, die Staubfäden und die Fruchtröhre, vereiniget enthät.
|P_307: Einer der vornehmsten Charaktere, der die Insekte von den größern Thieren unterscheiden hilft, ist diese, daß die ersten inwenig keine Knochen haben. Das Knochigte oder Schuppichte ist an ihnen äußerlich befindlich, [...].
|P_348-349 [1772, S. 368-369 / 1774, S. 373f.]
£{Hes-122,31 - 123,05}
Der Grad der Erkenntniß richtet sich bey jeglicher Art nach der Stelle, welche
diese Art in dem allgemeinen Plane einnimmt. Der Umfang dieser Erkenntniß erstrecket
sich auf alle die Fälle, worinn das Thier natürlicher Weise kommen kann. Und
wenn das Thier durch menschliches Zuthun, oder sonst durch Zufall, aus seinem
natürlichen Zirkel, obwohl nicht aus seiner Verfassung, gebracht wird: so
läßt sich daraus schließen, daß diese neue Lage mit einem von denen
Fällen ein Verhältniß hat, welche in dem Umfange seiner Erkenntniß
enthalten waren. Aus der größern oder geringern Fertigkeit, welche das Thier in
diesen Umständen zeiget, wird man erkennen, ob dieses Verhältniß nahe oder
entfernt, gerade oder ungerade sey. Die Art, womit die Thiere in ihrem Betragen
abwechseln, ist einer der stärksten Beweisgründe, daß sie keine
bloße Maschinen sind. [../.] Je größer die Anzahl der Fälle ist, auf
die sich die Kenntniß des Thieres erstrecket, oder erstrecken kann, desto höher
steht dieses Thier in der Stufenfolge. [...] Verschiedene Arten von Thieren leben, den
ganzen Tag über, in den Tag hinein, ohne sich um den morgenden zu bekümmern.
Andere, die etwas weiter hinaus zu sehen scheinen, bauen sich mit vieler Kunst
Vorrathsbehältnisse, und füllen die mit mancherley Bedürnissen an. Von
dieser Art sind die Biene und der Bieber.
|P_353
Die Vermischung beyder Geschlechter befremdet uns gar nicht, weil wir sie immer vor
Augen haben; wenn wir sie aber philosophisch untersuchen, so verwundern wir uns
darüber nicht wenig, und gerathen in Verlegenheit, vornehmlich, wenn wir bedenken,
was mit den Blattläusen und den Polypen vorgeht. Hieraus entsteht also die Frage: welches
ist der metaphysische Grund von der Vereinigung beyder Geschlechter?
|P_371f.
£{Hes-149,06f.}
[...] Vielleicht hat die Witterung, welche gewissen Arten von Vögeln
zuträglich ist, mit derjenigen, welche zu Hervorbringung ihrer Nahrungsmittel
erfodert wird, ein geheimes Verhältniß. / Hiernächst scheint der Wind auf
das Wandern der Vögel einen großen Einfluß zu haben. Die Geschichte
dieser Wanderungen ist wesentlich mit den meteorologischen Observationen verknüpfet,
und gründet sich auf selbige.
P_373: Ein berühmter Naturgeschichtschreiber, Herr Linnäus, hat sich
sorgfältig um diese Ratzen bekümmert*), und gefunden, daß ihre Wanderungen
allezeit einen Period von 18 bis 20 Jahren halten. [...]
------
*) Schwedische Bergmaus, nordische Löming, Lömmer, Mus Norvagicus.
Die Beschreibung des Herrn Linnäus steht in den schwed. Abhandl. vom Jahr 1740.
P_396: Unter allen gesellschaftlichen Thieren kömmt der menschlichen Einsicht keines so nahe als der Biber.
Datum: 11.02.2009 / .../ 10.08.2016 / 18.01.2017