Knopf:UB Winckelmann (1762) Knopf

Johann Joachim Winckelmann:
Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen.
An den Hochwohlgebohrnen Herrn, Herrn Heinrich Reichgrafen von Brühl, [... / 96 S.] (Dresden: Walther 1762)

Exemplar: <1> Bibl. Diez qu. 1228


S. 5: Vorläufig werde ich erstlich von den durch den Vesuvius verschütteten Orten, zweytens von der Verschüttung selbst, zum dritten von der Entdeckung und von der Art derselben reden, und in dem letzten Stücke werde ich über die Entdeckungen selbst meine Bemerkungen mittheilen.

S. 7f.:
£{Hes-043,01 und Hes-074,30 - 075,09} / £{Kae-310,06ff.} / £{Doe-062',17-27} / £{Doh-081}
Das Theater derselben [sc. der Stadt Herculanum] ist über hundert Palmen tief, und man gelangt in dasselbe auf eben so viel Stufen, welche zur Bequemlichkeit von den Arbeitern gehauen sind. Das Paviment oder der schöne Fußboden, womit das zweyte Zimmer des herculanischen Musei ausgezieret ist, wurde 102 Neapelsche Palmen tief unter der Erde gefunden, und es war dasselbe in einer offenen Loggia auf einer Art von Bastion geleget, welche wiederum 25 Palmen über das Gestade des Meers erhöhet war. Hieraus folget, daß das Meer sehr viel höher müsse gewachsen seyn; welches dem ersten Anblicke eine seltsame Meynung scheint, hier aber und auch in Holland durch den handgreiflichen Augenschein bestätiget wird. Denn in Holland ist das Meer offenbar höher, als das Land, welches die Nothwendigkeit der Dämme beweiset: es muß aber das Meer ehemals nicht so hoch gewesen seyn, weil diese Provinz zu der Zeit, da dem Meere noch keine Grenzen durch Menschenhände gesetzt waren, nicht hätte können angebauet werden. [...] Von einem hohen Wachsthume und Falle des Meeres finden sich deutliche Beweise an den Säulen im Foro des Tempels des Aesculapius, / andere wollen, des Bacchus zu Pozzuolo. Dieses Gebäude liegt auf einer ziemlichen Anhöhe, einige funfzig Schritte vom Meer, muß aber ehemals völlig vom Wasser überschwemmet gewesen seyn: denn die Säulen nicht allein, welche liegen, sondern auch welche noch stehen, sind von einer länglichen Seemuschel durchbohret und durchlöchert. Dieses ist sonderlich an Säulen von dem härtesten Aegyptischen Granite erstaunend zu sehen, welche als ein Sieb durchgearbeitet sind; in vielen Löchern stecken noch die Schalen. Die Muschel heißt Dactylus von δακτυλοσ, der Finger, weil sie die Gestalt, die Dicke und die Länge desselben hat. [...] Itzo und so lange man denken kann, ist dieser Ort, wie ich gesagt habe, weit und erhöhet von dem Meere entfernet; folglich ist das Meer wiederum zurückgefallen.

S. 12f.:
£{Her 8°, p. 21 und Mnz 183} / £{Kae-195,19ff.} / £{Pil-101,06}
Diese Stadt [Pompeji] wurde, wie Seneca berichtet, unter dem Nero fast gänzlich durch ein Erdbeben zu Grunde gerichtet; und es ist jemand daher der Meynung, daß dasjenige, was Dio zugleich von diesem und dem Herculanischen Theater meldet, eine Verwechslung der Zeit sey. Dieser Geschichtschreiber, welcher von dem ersten großen und bekannten Ausbruche des Vesuvius unter dem Titus redet, meldet, (wie man insgemein den Sinn seiner Worte versteht,) daß die ungeheure Menge Asche, welche der Berg ausgeworfen, die beyden Städte Herculanum und Pompeji eben zu der Zeit, da das Volk in dem Theater an dem lezten Orte versammlet war, verschüttet und begraben habe. [...] Aber ein einziger Zweifel, welchen ich diesem [sc. der These einer 'Zeitversetzung'] entgegen / setzte, machet unwahrscheinlich, daß das Theater zu Herculanum überschüttet worden, da es voller Menschen und Zuschauer war. Wie ist es glaublich, sage ich, wenn dieses geschehen wäre, daß in diesem Theater kein einziger todter Körper gefunden worden, welche sich hier wie zu Stabia, wo man sie gefunden, würden erhalten haben? In dem Herculanischen Theater aber hat sich auch so gar kein Gebein von einem Gerippe gefunden.

S. 13f.:
£{Hes-043,01-06} / £{Doe-027,14-16}
Es ist nicht die Lava oder der feurige Fluß geschmolzener Steine, welcher unmittelbar die Stadt Herculanum überströmet, sondern der Anfang und die Bedeckung derselben geschah durch die feurige Asche des Berges, und durch ungeheure Regengüsse, welche außer der Asche, mit welcher diese Stadt unmittelbar bedecket wurde; diejenige, welche auf dem Berge gefallen war, mit sich in dieselbe hinein trieben. Die Asche war so glüend heiß, daß sie auch die Balken in den Häusern / verbrannte, welche man in Kohlen verwandelt findet, und Korn und Früchte sind ganz schwarz geworden. [...] Nachdem nun Herculanum durch die Asche bedecket, und durch die Wasser überschwemmet war, brachen die feurigen Ströhme aus, und überflossen diese Stadt ganz gemach durch ihren schweren und langsamen Lauf, und mit diesem Steine ist dieselbe, wie mit einer Rinde, bedecket. Eben so war in dem schrecklichen Ausbruche im Jahre 1631, nachdem der Berg an hundert Jahre ruhig gewesen, die Asche mit einem Wolkenbruche begleitet.

S. 17ff.:
£{Hes-043,01-06}
Die neuere Entdeckung geschahe bey Gelegenheit eines Brunnens, welchen der Prinz Elbeuf, ohnweit seinem Hause daselbst graben ließ. Dieses Haus wurde von gedachtem Herrn zu seinem Aufenthalte an / diesem Orte, hinter dem Kloster der Franciscaner der strengern Regel von S. Pietro von Alcantara, auf dem Rande und der[!] Klippen der Lava selbst, am Meere aufgebauet, und es kam nach dessen Tode an das Haus Falletti in Neapel, von welchem es der itzige König in Spanien käuflich erstand, um sich daselbst mit der Fischerey und sonderlich mit angeln der Fische zu erlustigen. Gedachter Brunnen wurde nahe an dem Garten der Augustiner Barfüßer eingeschlagen, und durch die Lava durchgebrochen; die Arbeit wurde fortgesetzet bis man an festes Erdreich gelangete, welches die Asche des Vesuvius ist, und hier fanden sich drey weibliche bekleidete Statuen, auf welche der damalige Oesterreichische Vice-König mit Recht Anspruch machte. [...] Dem Prinzen Elbeuf wurde nach dieser Entdeckung untersaget, mit Nachgraben fortzufahren, und von dieser Zeit an wurde in mehr als dreyßig Jahren nicht weiter daran gedacht, bis da der itzige König in Spanien zum ruhigen Besitze dieses eroberten Reiches gelangete, und Portici zum Frühlingsaufenthalte wählete. Der ehemals gegrabene Brunnen war noch da, und in demselben gieng man, auf Königlichen Befehl, weiter hinunter, bis sich Spuren von Gebäuden fanden, und diese waren von dem Theater, welches die erste Entdeckung ist; und der Brunnen ist noch itzo, so weit derselbe durch die Lava gebrochen worden, zu sehen, und / fällt auf die Mitte des Theaters, welches durch diese Oeffnung Licht bekommt. Die Inschrift mit dem Namen der Stadt Herculanum, die man fand, zeigeten[!] den Ort an, wo man grub, und dieses machte Muth die Arbeit unter der Erde weiter fortzusetzten.

S. 23: Der Leser merke hier die Verhältniß des Neapelschen Palms, nach welchem die mehresten Maaße angegeben sind; es hält derselbe vierzehen Römische Zolle, und ist also zween Zolle größer, als der Römische Palm.

S. 39f.:
£{Hes-043,09}
Die Liebhaber der Kunst und Kenner finden unter allen kleinen Figuren einen Priapus ihrer vorzüglichen Betrachtung würdig. Es hat derselbe nur die Länge eines Fingers, aber die Kunst ist groß in demselben, und man könnte sagen, es sey eine Schule der gelehrtesten Anatomie, [...]. Dieses waren, wie bekannt ist, Amuleta bey den Alten, oder Gehenke, welche man wider / das Beschreyen, wider ein böses Auge und wider die Zauberey trug; [...].

S. 63ff. [ad gefundene Schriften]
£{Kae-194,18ff.}

S. 64: Die Materie dieser Schriften ist Papyrus, oder Eyptisches Schilf, welche Pflanze auch Deltos (Δελτα) von der Gegend daselbst, wo sie am häufigsten wuchs, benennet wurde.

S. 78: Bis itzo sind allererst vier Rollen Schriften völlig aufgewickelt, und es hat sich besonders getroffen, daß dieselben alle viere von einem und eben dem Verfasser seyn. Er heißt Philodemus, und war von Gadara in Syrien, von der Secte des Epicurus: [...].

S. 86:
£{Hes-043,06} / £{Kae-195,06} / £{Pil-102,04}
Was endlich zum vierten die Aufwickelung dieser alten Schriften betrifft, so wurden, zu derselben zu gelangen, anfänglich verschiedene Versuche gemacht; ja noch nachher, da eine geraume Zeit auf dem itzigen Wege, welchen ich beschreiben werde, gearbeitet war, glaubte man, ein geschwinderes Mittel zu finden, und der Einfall war folgender. [...] Dieser Versuch aber mißlung: [...]. Endlich wurde ein Vorschlag, welcher aus Rom dem Hofe vorgelegt wurde, gut und sicher befunden, und man ließ den Erfinder unter einem monatlichen Gehalte von dreißig Ducati Napoletani, nebst freyer Wohnung und Besorgung des nöthigen Hausgeräths, aus Rom nach Portici kommen. Dieser ist P. Antonio Piaggi, ein Genueser, von dem Orden Piarum Scholarum, ein Mann von großem Talente, [...].
[Folgt Beschreibung des langwierigen Verfahrens.]


Datum: 25.02.2010 / 02.04.2010 / Oktober 2016