Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 29.01.1830
Ich danke Ihnen sehr, theuerster Freund, für Ihre gütigen beiden Briefe vom 10ten Oktober und 4ten Januar, die mir als neue Briefe Ihres Vertrauens und Ihrer Freundschaft unendlich angenehm gewesen sind.
Wegen der Angelegenheit des Herrn von Walther[a] habe ich selbst durchaus nichts thun können. Wenn ich Ihnen von der Abgeschiedenheit reden werde, in der ich hier lebe, wird Ihnen dieß begreiflich erscheinen. Mein Bruder aber hat darüber mit dem Geheimrath Rust[b] gesprochen, und es wird gewiß Alles gethan werden, was irgend geschehen kann. Unter uns gesagt, hat sich vielleicht Herr von Walther /:was ihm aber zu großer Ehre gereicht:/ durch seine Nachgiebigkeit gegen die Bitten in Bonn die durch die nicht recht passend abgefaßten Zeitungsartikel gleich bekannt wurde, einigermaßen Schaden gethan. Was die kleinliche Rechnungsführung betrifft so steht es nicht ganz in der Gewalt des Ministeriums hierin Aenderungen zu machen. Es hängt dieß mit der Oberrechungskammer zusammen, gegen deren Pünktlichkeit in Belägen |sic| für kleine Summen allerdings Allgemein |sic| geklagt wird, obgleich, wenn man nicht wahre Vortheile aufgeben will, die Sache schwer zu ändern steht.
Ich habe mich seit dem vorigen Früjahre |sic| ganz hieher zurückgezogen, und komme nur so oft in die Stadt, als es das Geschäft der Einrichtung des Museums, dem ich vorstehe, erfordert. Meine beiden ältesten Töchter und mein Schwiegersohn der Oberst von Hedemann sind seit dem November in Berlin, besuchen mich aber hier von Zeit zu Zeit. Dieß einsame Leben sagt mir gerade jetzt am meisten zu, und da ich auch nach dem Gebrauche des Bades von Gastein einer guten Gesundheit genieße, so kann ich von allen diesen Seiten nicht klagen. Ich werde Ihnen bald die Freude machen können, Ihnen eine sehr gelungene Zeichnung meiner Frau zu schicken. Sie wird jetzt litographirt, und ist vom Professor Wach. Es ist diesem auf eine ordentlich wunderbare Art gelungen, die Züge der Verstorbenen so im Gedächtniß eingeprägt zu erhalten, daß er sie auf diese Weise wiedergeben konnte. Sie werden gewiß selbst finden, daß keines der bei ihrem Leben gemachten Bilder nur um die Hälfte so gut gelungen ist. Vielleicht laße |sic| ich die Zeichnung noch in Kupfer stechen, da die Lithographirung doch vergänglicher ist. Das Grabmal ist nun auch im Herbste hier fertig geworden. Es besteht in einer über 12 Fuß hohen, sehr schön polirten Granitsäule mit Sockel und |Humboldt| Ionischem |Schreiber| Kapitäl von weißem Marmor. Die Säule steht auf einem Postamente, welches die Inschrift trägt, und dieses wieder auf vier Stufen. Postament und Stufen sind von grauem Marmor. Auf der Säule wird die Statue der Hoffnung im äginetischen Style stehen, welche meine Frau vor langer Zeit selbst bei Thorwaldsen bestellt hatte, und die jetzt unter Weges ist. Ob ich aber die Statue selbst der Witterung aussetze, oder eine Copie davon machen laße, ist noch nicht entschieden. Vor den Stufen des Grabmales ruht der Körper in der Erde an der Seite, wo man das Haus im Gesicht hat, die Umfassung ist auf der hinteren Hälfte ein steinerner Halbkreis, welcher zugleich eine Bank bildet, und an den sich vorne ein eisernes Gitter in viereckter Form anschließt. Das Ganze steht an einem Fleck, der auf der einen Seite von einer großen Eiche und dunkelen Tannen beschattet ist, aber übrigens freie Aussicht auf das Feld und den See hat. Die Entfernung vom Hause ist zwar mäßig, aber doch so, wie die Stille eines Grabes sie fordert. Ich hoffe immer, daß Sie in diesem oder den nächsten Jahre einmal herkommen, und mich hier besuchen werden. Auch das Museum verdient die Reise; es wird am Ende des Sommers vollkommen im Stande sein, und enthält große Schätze, theils solche, die man nur bisher nicht kannte, theils zugekaufte.
Ueber das, was Sie mir gütigst geschickt haben, theuerster Freund, kann ich Ihnen heute nichts sagen als Ihnen auf das herzlichste dafür danken. Ich Ich |sic| erfahre leider, daß man nicht in dem Maaße viel vor sich bringt, in dem man viel Zeit hat. Aber es liegen mir eine Menge Privatgeschäfte zur Last, ich arbeite jetzt langsamer, und alle Arbeiten über Sprachen haben das Unangenehme, daß man nicht unterlaßen kann, in ein großes lexikalisches und grammatisches Detail einzugehen. Ich bin aber in diesem Augenblick bei einer Arbeit[c], die, wenn ich sie durchführen kann, wie es mein Plan ist, auf einmal alle Ideen, die ich über Sprache bisher gefaßt habe, aufhellen, und klarer entwickeln wird, ja durch die ich mir schmeichele, die Kenntniß der Sprachbildung überhaupt, um ein Großes weiter zu bringen. Ich habe mich schon seit längerer Zeit mit den Malayischen-Sprachen beschäftigt, besitze dazu Hülfsmittel, die man theils nicht hatte, theils nicht benutzte, und glaube nun in diesen Sprachen und in ihrem Verhältniß auf der einen Seite zum Chinesischen, auf der anderen zum Sanskrit den Punkt gefunden zu haben, aus welchem sich die hauptsächlichsten Verschiedenheiten der Sprachbehandlung sowohl in Absicht der Grammatik als der Wortbildung übersehen laßen. Meine Arbeit wird zunächst im Detail nur die Malayischen-Sprachen betreffen, aber sich in Absicht der Sprachgrundsätze über alle Südassiatischen |sic| verbreiten. Ueberhaupt genieße ich des Vortheils, da ich immer mehr für mich gearbeitet, als geschrieben habe, ziemlich den Bau aller derjenigen Sprachen zu kennen, über welche es Grammatiken giebt. Denn ich halte mich allerdings nur an diejenigen, bei welchem |sic| die Materialien ein Urteil über den wahren Organismus erlauben. Mit denen, von welchem |sic| man nur Wörter kennt, ist für die eigentliche Sprachforrschung |sic| nur wenig zu machen.
Verzeihen Sie, daß ich so weitläuftig geworden bin. Es war mir aber ein wirkliches Bedürfniß Sie, der Sie immer so freundschaftlichen Anteil an mir und den Meinigen genommen haben, von mir und meiner Lage zu unterrichten. Entschuldigen Sie auch, daß ich nicht selbst geschrieben. Es wird mir so leichter und Sie gewinnen sehr dabei für das Lesen.
Leben Sie herzlich wohlMit innigster Freundschaft
|Humboldt| der Ihrige,
Humboldt
|Schreiber| Tegel den 29ten Januar 1830.
An
Herrn Professor Welcker
Wohlgebohren
in
Bonn