August Wilhelm von Schlegel an Wilhelm von Humboldt, 29.05.–04.06.1822
|1|Bonn d. 29ten Mai. 1822. Ew Excellenz haben mich durch Ihren Brief
                    vom 19ten Mai auf die
                    angenehmste Weise von der Welt überrascht. Mich drückte das Gefühl einer 
                        langen <|
Schlegel| lange>
                     |
Schreiber| rückständigen Schuld: ich wußte in der
                    That kaum, wie ich nach einer |sic| solchen, freilich unwillkührlichen,
                    Versäumniß vor Ihnen erscheinen sollte. Ich sendete mein
                        drittes Heft als den
                    Vorläufer meiner Entschuldigungen, mit dem festen Vorsatz ihn bald durch einen
                    Brief einzuholen. Nun ist mir die Güte Ew. Excellenz dennoch zuvorgekommen, und
                    es freut mich unendlich, zu sehn, daß mein Bote seinen Auftrag so gut
                    ausgerichtet hat. 
Ihr Urtheil ist das erste auswärtige, welches mir zukömmt: das erste und das gültigste. Wenn ich hoffen könnte, in Europa und Asien zehn solche Leser zusammen zu bringen, so wäre meine Mühe reichlich belohnt. Meine Warnung, das Sanskrit nicht als eine flüchtige Liebhaberey zu treiben, gilt nur |für| die Neugierigen, welche es lernen wollen, wie man etwa Indianische Vogelnester auch einmal zu schmecken begierig ist. Ew. Excellenz haben die Proben, welche ich verlangte, hundertfältig abgelegt; und wenn Sie auch eine Sache eben erst anfangen, so sind Sie dennoch kein Anfänger, sondern ein Meister, weil Sie ein gebohrner Meister sind.
Der Lateinische Aufsatz ist schon vor ein paar Jahren geschrieben. Ich sage sahe wohl, daß vieles darin der Entwickelung und |2| näheren Bestimmung bedürfte, allein dieß hätte mich zu weit geführt: ich habe nichts hinzugefügt, als die Bemerkungen über das Digamma. Bey der Abhandlung über Wilson fiel mir immer das Versprechen ein, das ich den Lesern zu Anfange gegeben, sie sollten in jedem Hefte nur wenige Blätter zu überschlagen finden. Sonst hätte ich weit mehr ins einzelne gehn können, Beyspiele genug hatte ich dazu in Vorrath: doch fiel es mir freylich sehr beschwerlich, weil mein Setzkasten noch nicht in Ordnung war, und ich jeden Devanagari-Buchstaben aus der ganzen Masse einzeln heraussuchen mußte.
Von meiner Grammatik[a] sind zwey Capitel, über die 
                        Buchstaben- <|
Schlegel|Buchstaben,>
                     |
Schreiber| und die Buchstaben-Verbindung 
                        vollig <|
Schlegel| völlig>
                     |
Schreiber| ins reine gebracht, die ich auch von
                    meinen Zuhörern abschreiben lasse. In dem letzten schmeichle ich
                            mir<|
Schlegel|,> |
Schreiber| ein paar wesentliche Irrthümer von Wilkins berichtigt zu haben. Ich hoffe doch 
                        auch <|
Schlegel| auf>
                     |
Schreiber| alle Weise, daß die Erlernung noch
                    beträchtlich erleichtert werden kann.
Für die mir zugesendete Vorlesung über die Aufgabe des Geschichtschreibers sage ich Ew. Excellenz meinen herzlichen[b] Dank. Durch die Güte Ihres Herrn Bruders hatte sie mir schon in Paris einen großen Genuß gewährt.
Ich habe schon einmal die Bitte gewagt, mir etwas für meine Indische Bibliothek zu schenken, welche durch einen Beytrag auch nur von wenigen Blättern die schönste Zierde gewinnen würde. Die Bitte wäre |3| sogleich erfüllt, wenn Ew Excellenz mir gestatten wollten, den wissenschaftlichen Theil Ihres Briefes nur geradezu abzudrucken.
Wiewohl ein Brief von solchem 
                        Gestalt|?| <|
Schlegel|
                            Gehalt> |
Schreiber| zu vielfältiger
                    Erwägung und langen |sic| Nachdenken einladet, so will ich doch dießmal
                    sogleich aus dem Stegereif antworten, so gut es gehn mag, um nicht von neuem in
                    das Vertagen hineinzugerathen.
Zuvörderst wünsche ich mir Glück dazu, daß die Ansichten Ew. Excellenz über
                    einige Punkte, namentlich über die Frage von der Ursprünglichkeit der Flexionen,
                    oder 
                        Ihre <|
Schlegel|
                        ihre> |
Schreiber| Entstehung aus
                    Agglutination, nicht so weit von den meinigen abweichen, als ich besorgt hatte.
                    Ich wurde bedenklich wegen der Durchführung einiger in den 
                        Obervationen <|
Schlegel| Observations> |
Schreiber| aufgestellten Sätze. Mit 
                        Bopps <|
Schlegel| Bopp> |
Schreiber|
                    gedachte ich zwar schon fertig zu werden, aber wenn Gegner wie Ew. Excellenz
                    oder 
                        Abel Remusat 
                        im <|
Schlegel|
                        ins> |
Schreiber| Feld rücken, so gewinnt
                    die Sache ein anderes Ansehn. 
                        Remusat neigt sich ebenfalls zu der Lehre
                    von der Agglutination, und mag für seine Tartarischen Sprachen wohl Recht haben.
                    Aber Bopps Versuch, im Griechischen und Sanskrit
                    die Conjugation des Praesens (weiter geht es ja doch nicht) aus den persönlichen
                    Fürwörtern herzuleiten, scheint mir ganz mislungen. Mit der ersten Person auf
                        mi[c] hat es einigen Schein; aber dieser verschwindet
                    schon bey der zweiten auf <|
Schlegel| σι>[d]|
Schreiber|, denn hier würde <|
Schlegel| τι> |
Schreiber| erfodert |sic|, weil die Verwandlung von
                            <|
Schlegel| τυ> |
Schreiber| in <|
Schlegel| συ> |
Schreiber| erst sehr spät erfolgt
                    ist, im Jonischen Dialect zu Homers Zeit noch
                    nicht ganz durchgedrungen war, und im Aeolischen und Dorischen niemals ganz
                    durchdrungen |4| ist. Und nun vollends der Pluralis! wie lauten die
                    ältesten Formen von wir, ihr? <|
Schlegel| ἀμμε, ὐμμε, ἀμες, ὐμες.> |
Schreiber| Wenn es nun statt
                            <|
Schlegel| τυπτομες, τυπτετε, hieße:
                            τυπταμες μες, wir schlagen, τυπτυμες> |
Schreiber| ihr schlagt,
                    so möchte sich die Hypothese hören lassen. Endlich <|
Schlegel| 
                            bharati und 
                            bhavanti, τυπτετι u τυπτοντι> |
Schreiber| hier ist die
                    Mehrheit bey 
                        gleichlautender <|
Schlegel|
                            gleichbleibender> |
Schreiber| Endung
                    durch ein eingeschobenes n angedeutet: wo findet sich
                    aber in diesen Sprachen irgend ein Beyspiel, daß der Plural der Nomina oder pronomina durch ein
                        n praefixum  ausgedrückt wäre? 
Daß eine Sprache, welche die 
                        Conjunction < |
Schlegel|
                            Conjugation>
                     |
Schreiber| besäße<
                        |
Schlegel|,> |
Schreiber| sich
                    ohne pronomina behelfen könnte, läßt sich begreifen;
                    wenn hingegen eine Sprache schon pronomina hätte, aber
                    keine Conjugation, so glaube ich, sie würde immer auf der Stufe des
                    Negerfranzösischen
                     verharren: 
                    
                        moi aller, 
                        
                                loi aller <|
Schlegel| toi
                                    aller>
                    |
Schreiber|, 
                    lui aller. 
                        Phichologisch <|
Schlegel|
                            Psychologisch> |
Schreiber| betrachtet
                    gehören die pronomina überhaupt nicht zu den frühesten
                    Wörtern, wie jeder an den Kindern wahrnehmen kann; sie sind ja Substitutionen.
                    Wenn einmal durchaus das eine aus dem andern erklärt werden soll, so möchte ich
                    noch lieber an annehmen, die Pronomina seyen durch
                    Ablösung der Personal-Endungen entstanden, als umgekehrt. Aber nach der
                    Beschaffenheit der Sylben und Buchstaben sehe ich in diesem Kreise von Sprachen
                    keine Möglichkeit hiezu, wiewohl ich nicht abläugnen will, daß das 
                        w <|
Schlegel| ω>
                     |
Schreiber| statt 
                        mi <
                            |
Schlegel| µι>
                     |
Schreiber| in einer gewissen Beziehung mit
                            <|
Schlegel| ἐγω> |
Schreiber| statt
                            <|
Schlegel| 
                            aham> |
Schreiber| stehe. 
Daß es auch in alten und ungemischten Sprachen scheinbare Flexionen giebt
                            <|
Schlegel|,> |
Schreiber| welche in der That 
                        mit <mit>
                     Auxiliaren |5| gebildet sind, gebe ich zu, und behaupte es
                    sogar. Ich meyne aber, diese Formationen wären sämtlich sehr jung im Vergleich
                    mit den ächten Flexionen, sie <|
Schlegel|
                        ge>|
Schreiber|hörten einer andern Epoche des
                    menschlichen Geistes an, und ließen sich erkennen, wie die neuen Thon- oder
                    Gips-Schichten, die man über einem Urgebirge gelagert gefindet. Auch
                    setzt der Gebrauch solcher Auxiliare immer schon das Daseyn der Flexionen
                    voraus. Das erste Futurum im Sanskrit gehört ausgemacht
                    zu dieser Classe, und Bopp hätte darüber gar
                    nicht zweifelhaft reden dürfen. Auch 
                        amaveram, 
                        amavissem, statt 
                        amavi-eram, 
                        amavi-essem, (zwar nicht nach der besten
                    Logik) lasse ich mir gefallen; aber 
                        amavi aus 
                        
                            
                                amahui
                         <|
Schlegel| 
                                ama-fui> |
Schreiber|, das ist ganz etwas anders. Denn fürs erste ist hiemit
                    nichts ausgerichtet für die Erklärung von 
                        
                                lego, 
                                legi, 
                                iacio, 
                                ieci, <|
Schlegel| 
                                lĕgo, 
                                lēgi, 
                                iăcio, 
                                iēci,> |
Schreiber| 
                        curro, cucu** <|
Schlegel| cucurri>
                    |
Schreiber|; und 
                        hiervon <|
Schlegel|
                        hievon> |
Schreiber| hätte doch alles
                    ausgehn müssen, weil die dritte Conjugation im Lateinischen die Grundform ist,
                    während man die übrigen nur wie die 
                        verba constracta <
                            |
Schlegel| verba
                            contracta> |
Schreiber| im
                    Griechischen zu betrachten hat. Ich erkläre amavi ganz anders: amā-i
                    , ama i <|
Schlegel| amaϝi>
                    
                    |
Schreiber|; das Digamma ist blos eingeschoben, um den
                    Hiatus zu vermeiden, oder vielmehr, um den
                                charakterischen <|
Schlegel| charakteristischen> |
Schreiber|
                    Vocal ohne Verschmelzung in 
                        einem <|
Schlegel| einen
                        Diphthongen> |
Schreiber| rein
                        zubewahren |sic|. Aber ich will einmal amafui zugeben, so ist damit noch nichts
                    gewonnen, denn nun muß ich die Entstehung eines Pra**teritums <|
Schlegel|
                            Praeteritums> |
Schreiber| 
                        fui aus 
                        den <
                            |
Schlegel| dem> |
Schreiber| Praesens 
                        fuo erklären, und hätte ich dieß an einem
                    einzigen Verbum begriffen, so gölte es mir auch für alle
                    übrigen, und ich brauchte das Hypothesen-|6|Gerüste nicht. Es hieß ohne
                    Zweifel vor Alters fufui, wie <|
Schlegel|
                        babhūva> |
Schreiber|und
                            <|
Schlegel|
                            πέφυα> |
Schreiber|. Da haben wir also
                    das augmentum reduplicationis, welches nun doch einmal
                    für allemal nicht durch fremde Zuthaten erklärt werden kann. 
Überhaupt scheint es mir ein Grundirrthum[e] zu seyn, daß er das Verbum
                        substantivum als das erste betrachtet, da es vielmehr als solches, wenigstens in dieser ganzen Familie von
                    Sprachen gewiß, das letzte aller Verba war. Denn es ist
                    ja aus der 
                        Demonetisation <|
Schlegel| Demonitisation>
                    
                    [f] |
Schreiber| entstanden, aus der
                    Reduction eines concreten Daseyns auf die Existenz überhaupt, und überh endlich auf die logische Copula. Daß fuo ursprünglich im
                    Lateinischen dasselbe bedeutete wie <|
Schlegel| φύω>
                    |
Schreiber|, daß es erst sehr spät zur Ergänzung des
                    defectiven esse
                    gebraucht wird ward, erhellet aus einer Menge abgeleiteten Wörtern:
                        
                        foetus, 
                        foemen, 
                        foemina, <|
Schlegel| (>|
Schreiber| gleichsam <|
Schlegel| φυομένα> |
Schreiber| im Sinn des
                    Mediums) endlich aus jenem unanständigen Wort, welches dem Griechischen
                            <|
Schlegel| φυτεύω> |
Schreiber| buchstäblich
                    entspricht, und ohne Zweifel ursprünglich wie dieses ehrbar war, als ein 
                        causetivum <
                            |
Schlegel| causativum> |
Schreiber| von 
                        fuo: ich säe, pflanze, mache wachsen. Die
                    concrete Bedeutung von <|
Schlegel| ἐσμι> |
Schreiber| ist
                    in den 
                        älteren <|
Schlegel|
                        übrigen> |
Schreiber| Sprachen verwittert,
                    im Sanskrit glaube ich sie noch zu erkennen. <|
Schlegel| ās,> |
Schreiber| heißt sitzen, und
                    geht nach derselben Conjugation wie <|
Schlegel| ăs> |
Schreiber| seyn: was ist nun natürlicher, als daß durch die
                    Verkürzung des Vocals die Abstraction ausgedrückt wurde? Das Gewicht des Wortes
                    wurde gleichsam erleichtert, wie der Begriff unbestimmt[g] |7| geworden
                    war. Haben doch noch in neueren Zeiten die Romanischen Völker auf gleiche Weise
                    das Stehen zum Seyn umgestempelt. 
Den Untergang so mancher Flexionen, die in allen Sprachen dieser Familie gewiß
                    vorhanden waren, erkläre ich mir aus der verwahrlosten Aussprache in
                    unlitterarischen Zeiträumen. Wenn der Unterschied des Activums und Passivums im
                    Sanskrit und im Griechischen auf einem kurzen Vocal oder einem Diphthongen
                    beruhte, so mußten die Lateiner, sobald sie die 
                        schießenden <
                            |
Schlegel| schließenden>
                     |
Schreiber|Vocale abkniffen und statt 
                        amati, 
                        amanti sagten 
                        amat, 
                        amant, ihr Passivum 
                        einbüßten <|
Schlegel|
                        einbüßen> |
Schreiber|. In solchen Fällen
                    half man sich nun nach derselben Methode, welcher die neueren Analytischen
                    Sprachen Europa’s ihr Daseyn verdanken, wie ich in der Schrift
                        über das Provenzalische gezeigt habe. Da die Lateiner doch ein passivum brauchten, so bildeten sie es durch
                    Agglutination der Partikel 
                        
                            re, welche die Rückwirkung
                    ausdrückte, mit dem Activum. Das einzige 
                        legimini steht <seltsam>
                    fremdartig dazwischen. Ich möchte es für den Plural des passiven Participiums
                    halten: 
                        legimini, <|
Schlegel| λεγομένοι>
                    |
Schreiber|. Daß in 
                        vertumnus, 
                        auctumnus, 
                        alumnus, 
                        columna, u. s. w. die alte Conjugation des
                    Passivums noch 
                        ferner <|
Schlegel|
                        hervor> |
Schreiber| blickt, hat schon
                        
                        Lanzi bemerkt. Die Lateiner haben sich
                    noch leidlich aus dem Handel gezogen, wiewohl die vielen r ein übles Schnarren 
                        verursacht <|
Schlegel|
                        verursachen>
                    |
Schreiber|. Ist nicht das Schwedische passivum auf s auf ähnliche Weise entstanden
                    wie man im Italiänischen sagt 
                        si dice für 
                        dicitur? Den Untergang des organischen |8| Passivums im Deutschen haben wir ja so zu sagen erlebt. Denn im
                        Ulfilas findet es sich noch, und zwar,
                    was selbst Grimm übersehn hat, nach einer
                    doppelten Hauptform. Die zu der zweiten gehörigen verba
                    stehen in Grimms D. Gr. p. 441 beysammen. Er hat merkwürdige
                    Beyspiele gegeben, wie man in der Fränkischen Zeit, da das Passivum verloren
                    war, das Activum geradezu dafür gesetzt, weil man sich noch nicht zu den
                    Auxiliaren entschlossen hatte. Mit dem Agglutiniren hat es in der Deutschen
                    Sprache wegen der Sprödigkeit des Stoffes, seitdem wir die viele
                    schöne Vielsylbigkeit der Gothen verlohren hatten, niemals recht gelingen
                    wollen. 
Im Angelsächsischen ist allerdings durch die Aussprache eines Küsten- und
                    Nebellandes manches 
                        abgestumft <|
Schlegel|
                        abgestumpft> |
Schreiber| worden, aber den
                    Geschlechts-Unterschied an 
                        den <|
Schlegel|
                        dem> |
Schreiber| Artikel oder
                    demonstrativen Pronomen the
                    hat erst die Normännische Eroberung ausgelöscht: der A. Sächsische nom. sing. in den drey Geschlechtern ist noch ganz dem
                    Gothischen ähnlich.
Zu einer grammatischen Übereinstimmung, woraus Verwandtschaft der Völker erwiesen
                    werden soll, halte ich alle die drey Stücke für erfoderlich, welche von Ew.
                    Excellenz so lichtvoll unterschieden werden: die phychologische |sic|
                    Richtung, die technische Methode, und endlich das hörbare Material. Aber meines
                    Erachtens |9| braucht die Übereinstimmung nicht allgemein und
                    durchgängig zu seyn, sondern eine theilweise Statt findende Einerleyheit reicht
                    völlig hin. Ja je specieller der Fall, desto stärker der Beweis, weswegen die
                    Anomalien am besten zu 
                        gebrauchen <brauchen>
                     sind. Z. B. das Verbum <|
Schlegel| 
                            vid (Cl. 2)> |
Schreiber| wissen, hat die Eigenheit,
                    daß das praet. perf. statt des praesens gebraucht wird. Eben dasselbe gilt von dem entsprechenden
                    Griechischen <|
Schlegel| εἶδω>
                    |
Schreiber|, und von unserm 
                        wissen
                     bis auf den heutigen Tag. 
                        Ich weiß
                     ist ausgemacht das praet. perf. der starken
                    Conjugation: die Einsylbigkeit, die Einerleyheit der ersten und dritten pers. sing., das Anwachsen im Plural beweisen dieß 
                        unwiederleglich <|
Schlegel|
                            unwiderleglich>
                    
                    |
Schreiber|. Allein die meisten Deutschen wissen dieß nicht,
                    weswegen die Schwaben nie[h] ermangeln zu sagen: 
                        er weißt. Grimm hat ganz richtig
                    gezeigt, daß die Anomalie einiger Deutscher Verba bloß
                    darin besteht, daß das praet. perf. der starken Form als
                        praesens gebraucht wird, und nachher ein neues praeteritum der schwachen Form gebildet worden. (D. Gramm. p. 435, 36.) 
Nun lauten die paradigmata folgendergestalt.
| Sanskrit. | Griechisch. | Gothisch. | ||
| Sing. | 1. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vait. | 
| 2. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vaist. | |
| 3. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vait | |
| Plur. | 1. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vitum | 
| 2. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vituth. | |
| 3. | 
                            <| | 
                        
                            <| | 
                        vitun. | 
Ich habe im Griechischen die alte und ächte Form hergestellt. Vgl. 
                        Matthaei* <|
Schlegel| Matthaei>[i] |
Schreiber| Gramm. p.
                        315. Was in den gewöhnlichen Grammatiken als der dual. und plur. von <|
Schlegel| οἶδα> |
Schreiber| aufgeführt wird,
                    gehört gar nicht hieher. Was ist nun gegen eine solche zugleich materielle |10| und formale Übereinstimmung einzuwenden? Ich gestehe, für mich hat
                    sie die Stärke eines geometrischen Beweises, daß die Vorfahren der Indier, der
                    Griechen und der Germanier irgend einmal ein einziges Volk ausmachten, und daß
                    die letzten beyden die Anomalie schon aus ihren Asiatischen Ursitzen
                    mitgebracht. Ich sehe wohl einen phychologischen |sic| Grund ein, warum
                    gerade bey diesem Verbum das praet. für das praesens gilt: wissen ist nämlich gesehn oder
                        erfahren haben; aber dieß schwächt die
                    Beweiskraft nur wenig.
Aristoteles wirft die Frage auf, ob die Sprache der Natur oder der Übereinkunft ihren Ursprung verdanke? und entscheidet sich nach der Erfahrung von der unübersehlichen Verschiedenheit der Sprachen für das letzte. Das Dilemma des großen Denkers war, dünkt mich, nicht recht gestellt. Wenn man die beyden Begriffe Natur und Übereinkunft übersetzt durch Nothwendigkeit und Willkühr, so sieht man gleich, daß noch ein drittes in der Mitte liegt, nämlich die menschliche Freyheit, die sich nach naturgemäßen Gründen selbst bestimmt. Es war eine Einladung, nicht eine Nöthigung der Natur. Hier liegt das große Gebiet der edleren Sprachbildung, das Symbolische. Es konnten für denselben Begriff verschiedene Zeichen gewählt werden, die doch alle treffend und ähnlich waren. Ich glaube daher, daß auch solche Übereinstimmungen in den grammatischen Formen, welche phychologisch |sic| erklärbar sind, zum Beweise der genealogischen Verwandtschaft, in Verbindung mit andern gebraucht werden |11| können.
Wenn wir nun sehen, daß verwandte Sprachen solche kleine Anomalien, und andre Eigenthümlichkeiten, mit unglaublicher Tenacität jahrtausende |sic| hindurch behauptet haben, und daß sie auf der andern Seite so unendlich weit auseinander gegangen sind, ohne daß man plötzliche Zerrüttungen und Mischungen vermuthen läßt dürfte, so führt dieß auf das geschichtlich unendlich wichtige Resultat von der langen Trennung der Völker und dem hohen Alter des Menschengeschlechtes.
Die Verschiedenheit muß auf zweyerley Art erklärt werden: durch das Vergessen des Alten und das Erfinden von etwas Neuem. Das erste spielt aber dabey bey weitem die größ größte Rolle. Haben wir nicht an unserer eignen Sprache das vierzehnhundertjährige Schauspiel des allmählichen Untergangs der tönendsten Mannigfaltigkeit der Formen bis zum beynahe gänzlichen Verstummen, ohne andern Ersatz als den der Surrogate für den logischen Bedarf?
Die Deutsche Sprache hat von jeher, so lange wir sie kennen, kein Futurum gehabt,
                    und ermangelt dessen bis auf den heutigen Tag. Haben nun die Germanier ihr altes
                    Futurum vergessen, oder haben die Stammväter der Griechen und Indier das ihrige
                    erst seit der Trennung von jenen erfunden? Das erste ist mir wahrscheinlicher,
                    weil die Bildungsweise durch Einschiebung des Zischlautes zwischen die Wurzeln-
                    und die Personen-Endungen des praesens im Griechischen
                    und im Sanskrit dieselbe ist. Dazu kommen noch die Spuren im Lateinischen:
                        
                        facso u. s. w. |12| vermuthlich
                    hieß 
                        amabo ehemals 
                        amaso |sic|, 
                        Legam, 
                        leges ist ein Surrogat für <|
Schlegel| λεγσω>
                    |
Schreiber|, entlehnt von dem conj.
                        praes. Bopp will auch hier wieder ein
                    Auxiliar-Verbum wittern, aber vergeblich. – Wie 
                        denn <|
Schlegel|
                        dem> |
Schreiber| auch sey, die alten
                    Deutschen fragten wohl nicht viel nach der Zukunft, oder sie betrachteten sie
                    rüstig, als wäre sie wirklich schon gegenwärtig. Wiewohl der Gebrauch des praes. für das futur. wie wir
                    ihn noch im Notker
                    sehen, unaufhörliche Misverständnisse verursachen mußte, haben sie sich über
                    sechs Jahrhunderte so beholfen, ehe sie sich entschieden zu den Auxiliaren
                    bequemten; so eingefleischt war ihre Abneigung vor jenem Zusammenbacken der
                            Begriffe<|
Schlegel|,> |
Schreiber| zum Ausdruck einer einfachen Thatsache<|
Schlegel|,> |
Schreiber| welches
                        Bopp zum Grundprincip unsrer und der
                    sämtlichen verwandten Sprachen erheben will.
Ew. Excellenz unterscheiden vortrefflich bey dem intellectuellen Geschäft der
                    Sprachbildung das logisch-mechanische und das genialische. Man könnte jenes auch
                    das Discursive, dieses das Intuitive nennen. Ich meyne nur, wo sich das
                    Genialische spüren läßt, sey es das ältere, und gehe in eine Vorzeit zurück,
                    welche von unserer Geschichte nicht erreicht wird, während die mechanische
                    Sprachbildung durch alle Zeitalter fortgehen kann. Ew. Excellenz reden in einem
                    unendlich interessanten Briefe über die Erfindung der Buchstabenschrift, woraus
                    mir mein Freund Welcker eine Stelle
                    mitgetheilt hat, von geistigen Trieben, welche erwachen mußten, wenn es dazu
                    kommen 
                        sollten <|
Schlegel| sollte>
                    
                    |
Schreiber|. Ich meyne, bey |13| einem Theile des
                    ältesten Menschengeschlechts wären jene geistigen Triebe ursprünglich wach
                    gewesen, und erst nachher durch den Druck des irdischen Lebens eingeschlafen,
                    als schon alle Grundlagen des gesitteten 
                        geführt <|
Schlegel|gesichert> |
Schreiber| waren. Bey manchen
                    Völkern dürften jene Triebe nur durch fremde Mittheilung erwecklich seyn. Ich
                    kann die ganze Menschengeschichte nicht begreifen, ohne die Annahme jener 
                        Patonischen <|
Schlegel|
                            Platonischen> |
Schreiber|
                            Gesetzgeber<|
Schlegel|,> |
Schreiber| eines Menschengeschlechts, das ursprünglich erleuchtet
                    war, dem eine divinatorische Erkenntniß einwohnte, welche nicht aus der
                    Erfahrung geschöpft sind, war, sondern ihr voraus eilte. Die
                    Erziehung der Völker war auch eine von den genialischen Künsten der Vorwelt,
                    welche sich durch Überlieferung noch bis in den Zeitraum unsrer Geschichte 
                        fortpflanzen läßt <|
Schlegel| hinein
                            fortgepflanzt> |
Schreiber| hat, der
                    neueren Welt aber ganz ausgegangen ist. Freylich ließen sich nicht alle
                    Unterschiede aufheben, weil sie 
                        phisiologisch <|
Schlegel|
                            physiologisch> |
Schreiber| bedingt und
                    erblich sind. In Absicht auf die Culturfähigkeit kann ich nicht weniger als drey
                    Stufen annehmen: die ursprünglich selbstthätigen, die für fremde Anregung
                    empfänglichen, und endlich die ganz tellurischen Menschen, bey denen der
                    himmlische Funken niemals zünden konnte. Remusat mag zum Lobe seiner Chinesen sagen was er will:
                        ihr |sic| Sprache, ihre Sitten, ihre Schrift, ihre Kunst, ihre
                    Wissenschaft, ihre Moral, wie fein und spitzfindig das alles seyn mag, liefert
                    doch nur den traurigen Beweis, daß auch die höchste Cultur, deren eine
                    apokryphische Menschenart fähig war, ewig einen |14| mühselige <|
Schlegel|
                            mühseligen>
                    |
Schreiber|, geist- und gemüthlosen Charakter behalten muß. 
In den edleren Sprachen nun scheint mir der genialische Bildungstrieb gleich vom
                    Anfange an rege gewesen zu seyn, und alle wahrhaft fruchtbaren Principien der
                    Entwickelung schreibe ich der entferntesten Urzeit zu. Hingegen das
                    Zusammenflicken mit dem Verstande, wo die ursprüngliche Einheit der Anschauung
                    verlohren war, die Surrogate, die Misbildungen und und Fehlgeburten
                    des grammatischen Instinkts, sind das Machwerk späterer Zeiten; und dieß wird
                    sich oft historisch nachweisen lassen. Ich kann die Einflüsse <|
Schlegel| der Zeit> |
Schreiber| nicht
                    unbedingt als günstig für die Entwickelung der Sprachen betrachten, am wenigsten
                    nach einem chronologischen Maaßstabe. Die schöpferische Sprachbildung erscheint
                    wie ein Moment; dann folgten oft lange Zeiträume der Vergessenheit und
                    Verwahrlosung, und endlich die späte Nachhülfe, um sich ein brauchbares Werkzeug
                    zur Handhabung der Erfahrungswelt zu verschaffen. Ich kann daher nicht umhin zu
                    glauben, daß die gemeinschaftliche Muttersprache des Indischen, Persischen,
                    Griechischen, Lateinischen und Germanischen eine unendliche Fülle von intuitiven
                    und 
                        inaginativen <|
Schlegel|
                            imaginativen> |
Schreiber| Reichthümern
                    in Wörtern und Formen besessen haben muß, wenn sie auch dialectisch noch ganz
                    unangebaut war. Die großen Vorzüge des Sanskrit scheinen mir zu seyn, daß die
                    Verwilderung nur in geringem Grade Statt gefunden, und daher aus der Urzeit am
                    meisten gerettet worden; dann |15| daß es Jahrtausende lang das Organ
                    einer begeisterten Philosophie und Poesie gewesen, welche sich an jene ältere
                    Phase des Menschengeschlechtes anschlossen. Die Mängel rühren daher, daß die
                    Sprache durch geheiligte Auctoritäten fixirt worden ist, ehe man darauf bedacht
                    gewesen war, für alle Bedürfnisse des analytischen Verstandes Einrichtungen zu
                    treffen. 
Wenn jene Platonischen Gesetzgeber ihre höhere Eingebung besonders dadurch
                    bewährten, daß ihre Bezeichnungsweise dem Wesen der Dinge entsprach, so mußten
                    sie auch dasjenige, was in der Natur kein selbständiges Daseyn hat, sondern nur
                    an den Substanzen und wirkenden Kräften in stetem Wechsel zum Vorschein kommt,
                    mit 
                        einem <|
Schlegel|Einem>[j] |
Schreiber| Worte<
                        |
Schlegel|,> |
Schreiber| die
                    Verhältnisse, bildlich eben so wandelbar und wiederum anhängend bezeichnen,
                    durch schwebende Wörter, geeignet sich überall anzufügen, die aber, um bedeutsam
                    hörbar zu werden, immer eine Unterlage bedurften. Solche Wörter waren die
                    ursprünglichen Flexionen. Die Entstehung aus der Agglutination setzt einen
                    gewissen Grad von Analyse und Abstraction <|
Schlegel|
                        vor->|
Schreiber|aus, und das Intuitive geht doch
                    immer dem Discursiven voran.
Ich habe mich so weit verstiegen<|
Schlegel|,> |
Schreiber| daß Ew. Excellenz es schon längst
                    überdrüssig geworden seyn werden, mir zu folgen. Es ist Zeit einzulenken, um
                    noch einige einzelne Grammatische Punkte zu erörtern.
Ich redete 
                        p. 332 von den Präpositionen im allgemeinen,
                    nach der angenommenen Lehre; ich wollte die Ausnahmen, die mir allerdings
                    gegenwärtig waren, nicht |16| erwähnen, weil mich dieß zu einer
                    Beweisführung genöthigt haben würde, und sie doch nur von geringem Umfange sind.
                    Mit der Bemerkung Ew. Excellenz über <|
Schlegel|  {prāt+} > <prati> |
Schreiber| hat es
                    seine vollkomme |sic| Richtigkeit: es regiert, für sich allein stehend, den
                    Accusativ, und wird diesem immer nachgesetzt. Bey besserer Muße werden sich
                    leicht Beispiele sammeln lassen: aber die von Ihnen angeführten sind vollkommen
                    gültig. Im 
                        Ramay. L. I. Sect III. sl. 39.  hat die Ausgabe von Serampore, wie so oft, eine falsche Leseart, die
                    ich dießmal aus einer Pariser
                    Handschrift
                    verbessern kann:[k]
                
apratijṇā cha rāmasya gamanē kōsalān prati.
Nun ist alles deutlich: „Und die Weigerung des Ramas wegen des Hingehens pp.“ Die zweite Verschiedenheit des der Leseart, der acc. plur. masc. statt des acc. sing. fem. könnte eine kleine Modification in der Bedeutung herbeiführen: Die Weigerung gegen die Kosaler statt: die Weigerung nach Kosala hinzugehn. Die Erzählung muß dieß ausweisen. Die Wirkung der Präposition bleibt aber dieselbe. – Es giebt noch eine Ausnahme mit der Präposition ā, sie wird dem Substantiv vorgesetzt, damit zusammengeschrieben, und regiert den Ablativ oder Genitiv, dieß habe ich noch nicht ausmitteln können. Ramay. L. 1, Sect. V, sl 2:[l]
āmanōḥ puṇyakīrtīnāṃ rājrṇāmamitatējasāṃ.
Regum virtute celebratorum a Manue inde, der nämlich ihr Stammvater war. Ein andres Beispiel steht in den Versen, die Wilson in seiner Vorrede p. XVIII. anführt:[m]
|17| āsētōrātusārādrēḥ, a ponte inde,
nämlich, von der Brücke des Ramas an, bis zu dem Schneegebirge. Wilson hat irrig das visarga ganz weggelassen statt es in r verwandelt über das nächste Wort zu setzen. Der terminus ad quem steht also auch in demselben Casus. Doch ich glaube man muß es lieber so fassen: von der Brücke an, auf der einen Seite, von dem Schneegebirge an auf der andern Seite[n].
Dieß ist also ein wirklicher Anfang des Griechischen und Lateinischen
                    Sprachgebrauchs, jedoch ein sehr geringer. Daß in diesen und den verwandten
                    Sprachen 
                        und <|
Schlegel|aus> |
Schreiber|Adverbien nicht nur,
                    sondern aus Adjectiven, Substantiven, Participien, 
                        welche <|
Schlegel|
                        wahre> |
Schreiber| Präpositionen geworden,
                    ist nicht zu läugnen; von den Beyspielen im Sanskrit aber, wo ein 
                        Adverbien <|
Schlegel|
                        Adverbium> |
Schreiber| zu regieren[o] scheint, kann ich kein einziges gelten
                    lassen. <|
Schlegel| 
                            tām ṛitē,> |
Schreiber| fasse ich wie: diese ausgenommen, hanc excipiendo. In <|
Schlegel| 
                            tvatkṛitê> |
Schreiber| ist der erste Bestandtheil nicht der Ablativ sondern
                    der status absolutus. Ich kann mich nicht erinnern,
                    denjenigen stat. absol., der über den Paradigmen steht,
                    jemals in den Compositionen[p] gefunden zu haben: die Grammatiker haben ihn
                    wohl nur von dem cas. 5. plur.
                    entlehnt, um die anomale Declination zu[q] construiren. Häufig
                    ist hingegen <|
Schlegel| 
                            mat> |
Schreiber| und <|
Schlegel| 
                            tvat>|
Schreiber|. Wilsons Artikel
                    [r] über das letzte ist durchaus irrig; in dem
                    Artikel über <|
Schlegel| 
                            mat> |
Schreiber| aber ist die Sache richtig gefaßt, und das dort gesagte
                    darf nur auf die zweite Person übertragen werden. <|
Schlegel| 
                            tvatkṛitē> |
Schreiber| ist ein Compositum, gerade wie 
                        deinetwegen. Hingegen in <|
Schlegel| 
                            tasyâh kr
                            kṛitê> |
Schreiber| ist das erste
                    nichts anders als der gewöhnliche |18| Genitiv der Abhängigkeit von
                    einem andern Substantive: 
                        huius puellae gratiâ. Wenn Adverbia der
                    Gemeinschaft mit dem casus 3 stehen, so ist dies gerade
                    wie der Engländer sagt: 
                        together with
                        him; <|
Schlegel| 
                            saha têna;> |
Schreiber| was dort die Präposition, drückt hier der Casus aus.
                    Drücken wir doch auch im Deutschen sowohl das Werkzeug als die Gemeinschaft
                    durch 
                        mit aus. Wenn Ew. Excellenz es dem
                    Sanskrit zum Vorwurfe machen, daß die Casus bisweilen[s] auf seltsame Art gebraucht
                    werden, so will ich dies nicht ganz abläugnen, doch bitte ich zu bemerken, daß
                    die 
                        Benennung <|
Schlegel| Benennungen <Benennung>> |
Schreiber| der Casus nur von Einer Hauptbestimmung hergenommen
                    werden 
                        konnten <|
Schlegel|
                        konnte>|
Schreiber|. Wie würde es ablaufen,
                    wenn man im Griechischen und Lateinischen den Gebrauch der Casus, auch ohne
                    Präposition, nach ihren Namen zergliedern wollte? Es wäre wohl überhaupt an der
                    Zeit, statt der üblichen Benennungen mehr philosophische, jedoch gleichfalls
                    Lateinische einzuführen. Ich schlage vor: 
| 
                            
                                
                                    Subiectius  <Subiectivus>  | 
                        statt | Nominativus | 
| Obiectivus | – | Accusativus | 
| Inclinativus | – | Dativus | 
| Egressivus | – | Ablativus | 
| Relativus | – | Genitivus. | 
Dieß letzte hat schon Col 
                        Colebrooke in seiner Grammatik. Die Namen, welche Wilkins den beyden eigenthümlichen 
                        Casus <|
Schlegel| Casus> |
Schreiber| des
                    Sanskrit ertheilt, Instrumentalis und Locativus gefallen mir auch nicht; der erste nicht<|
Schlegel|,> |
Schreiber| weil er aus
                    der Analogie herausgeht, der zweite nicht, wegen der speciellen Bedeutung des
                    Wortes. |19| Den ersten könnte man effectivus
                    nennen (Colebrooke hat: 
                        
                            causantivus <|
Schlegel| causativus>|
Schreiber|:) den zweiten
                        commorativus oder 
                        
                            Jmma <Immanentivus>.
Ich hatte bey p. 283 das Unwesen im Sinne, welches
                        
                        Pezron, 
                        Court de Gebelin, 
                         le Brigante <|
Schlegel| 
                                le
                        Brigant> |
Schreiber| pp mit dem Niederbretonischen getrieben. Daß in dem Bau
                    und den Wörtern noch irgend eine, wiewohl sehr entstellte, 
                        Cellische <|
Schlegel|
                        Celtische> |
Schreiber| Grundlage aufgesucht
                    werden 
                        
                            kann <können> <|
Schlegel| könne>|
Schreiber|, bin ich nicht gesonnen zu läugnen. Aber was ist zu
                    machen? Den 
                        Cellomanen <|
Schlegel|Celtomanen> |
Schreiber| ist ja in keiner 
                        Hinsicht <|
Schlegel|
                        Sylbe> |
Schreiber| zu trauen. Ew. Excellenz
                    würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir nachweisen wollten, wo ich einen
                    vernünftigen Unterricht über die Grammatik dieser Sprache finden kann. Uns wäre
                    geholfen, wenn wir darüber eine 
                        krittische <|
Schlegel|
                        kritische> |
Schreiber| Arbeit hätten, wie
                        die Ihrige über das Baskische. Wann hat man
                    angefangen in dieser Sprache zu schreiben, und was ist an zusammenhängenden,
                    ächten, nicht zum Behuf einer Hypothese ersonnenen Texten gedruckt vorhanden?
                    Ein Französischer Antiquar, 
                        de la Rue wo ich nicht irre glaubte eine
                    Spur Niederbretonischer Poesie aus dem 12ten
                    Jahrhunderte in der Provenzalischen Erwähnung eines lai
                        Breton zu finden. Aber dieß ist ein Misverständniß: lai Breton heißt ein Lied in Nordfranzösischer Sprache. Wie hätte ein
                    Troubadour wohl an dem unverständlichen Kauderwelsch Gefallen finden sollen! Der
                    Gesang der Nachkommen Ossians in Hochschottland ist auch ein Gejauze, wodurch
                    alle Katzen in die Flucht gejagt werden; ein junger Genfer |20| der die
                    Hebriden bereißt |sic| hat, konnte es zum todtlachen nachahmen.
Um das Historische des Niederbretonischen habe ich mich genau[t] bekümmert:
                    ich wollte in einem Essai sur la formation de la langue
                        française ausführlich davon
                    handeln. Daß das südliche 
                        Brittannigen <|
Schlegel| Brittannien> |
Schreiber| von Gallien aus bevölkert worden, sehe
                    ich als gewiß an; es fragt sich nur, ob dieß vor oder nach der Einwanderung der
                    Deutschen Völkerschaften in Belgien geschehen? Das Belgische war doch
                    vermuthlich eine Mischsprache, nicht bloß eine verschiedene Mundart des 
                        mitteleren <|
Schlegel|mittleren> |
Schreiber| Celtischen: 
                        Iul. Caesar hätte sich schwerlich so
                    ausgedrückt, <|
Schlegel| wie er thut,> |
Schreiber| wenn er nicht dort einen andern Dollmetscher nöthig
                    gehabt hätte. Aber gesetzt auch, die in Britannien eingewanderten wären reine
                    Celten gewesen, so konnte dennoch auf andre Weise eine Mischung
                        entstehn erfolgen: denn Tacitus hält die westlichen Britten für Iberier, und sein
                    Zeugniß hierüber ist von besonderm Gewicht. Die nahe 
                        Verwandschaft <|
Schlegel| Verwandtschaft> |
Schreiber| des Alt-Brittischen mit dem Celtischen geht indessen aus manchen Städtenamen
                    und andern unwidersprechlich hervor. Nun aber haben die Britten mehr als
                    dreyhundert Jahre unter Römischer Herrschaft gestanden. Es ist ein Wunder, daß
                    die Lateinische Sprache nicht ganz herrschend geworden, was in Gallien durch die 
                        garsonirenden <garnisonirenden>
                     Truppen, durch die überall verbreiteten Latinisirten Sklaven, durch die
                    Colonien, die 
                        neoti negotiatores,
                    durch alle 
                        Millitär- <|
Schlegel| Militär-> |
Schreiber| Civil- und Polizey-Anstalten der Römer
                    unglaublich schnell erfolgte. |21| Daß sich der Brittischen Sprache
                    schon damals viel Lateinisch eingemischt, davon werden sich die Spuren
                    vielleicht im Angelsächsischen nachweisen lassen. Nun ging ein Theil der
                    Britten, vor den Sachsen flüchtend, nach der Mitte des 5ten Jahrhunderts auf die Gallische Westspitze hinüber. Hier lebten 
                        Sie <sie>
                    , außer der beständigen Nähe der Franken und Romanischen Einwohner, 
                        eingeklemmert <|
Schlegel|eingeklemmt> |
Schreiber| zwischen zwey Sächsischen Colonien,
                    wovon in der Merovingischen Zeit die eine bey 
                            Bayeus |sic| die andre bey 
                        Nantes saß;
                    Nachher |sic|
                    hatten sie die Normannen zu Nachbarn. Was ist aus allem diesem zu folgern? Daß,
                    wenn man im Nieder-Bretonischen Wörter findet, die Lateinischen und Deutschen
                    ähnlich sind, diese als späte Einmischungen betrachtet werden müssen, daß man
                    nicht umgekehrt das Lateinische und Deutsche aus dem Bas-Breton ableiten darf, wie es die Celtomanen wollen, und wie sichs
                    leider auch Wachter und zum Theil Leibnitz |sic| haben weiß machen lassen. Den grammatischen Typus mag man mit dem
                    Wälschen, Hochschottischen und Irischen vergleichen, wenn
                        sie einen haben. Ich kann die Stelle jetzt nicht auffinden, aber ich
                    bin gewiß beym 
                        Nennius, 
                    einem Brittischen Geschichtschreiber des 9ten Jahrh.
                    gelesen zu haben, daß die zurückgebliebenen Britten ihren Brüdern jenseit des
                    Meeres einen Namen gaben, welcher bedeutete confuse
                        loquentes. Welche Fortschritte mögen in der Confusion mögen
                    sie nun erst in den seitdem verflossenen tausend Jahren |22| gemacht
                    haben! 
Ich hatte noch ein artiges Kapitel über den Imperativ, wozu ich auf Veranlassung eines frühern Briefes gesammelt hatte. Aber dieser Brief muß endlich ein Ende nehmen, sonst möchte es meinen Gönner gereuen, sich so anregend und belehrend mit mir unterhalten zu haben.
Ew. Excellenz haben die Angabe des Ortes vergessen; auf dem Umschlage stand der Stempel von Eisleben, ich vermuthe also, daß Sie sich auf einem Landgute in der Nähe befinden. In der Ungewißheit muß ich jedoch diese Blätter den Umweg über Berlin nehmen lassen.
Ich bitte Ew. Excellenz, mein auf alle Weise nachlässiges Geschreibe zu entschuldigen;
ich empfele <|Ew. Excellenz
gehorsamster
                     
                        [u]Ich vergaß Ew. Excellenz für die Anfrage bey Herrn Niebuhr meinen Dank zu sagen. Ich
                        vermuthe, in der Propaganda wird sich mehr
                        finden, denn schwerlich hätte man doch wohl unternommen, auch nur eine Probe
                        von Devanagari-Schrift im Druck zu liefern, wenn man nicht Muster vor Augen
                        gehabt hätte. Freilich ist sie sehr schlecht ausgefallen.  
                        Remusats chinesische
                            Grammatik ist mir mit größtem Lobe angekündigt worden. Er hat
                        sie mir zugesendet, aber sie ist noch unterwegs.  Von der Asiatischen Gesellschaft in Paris, einer Privat-Association, werden Ew.
                        Excellenz wohl in den Zeitungen gelesen [haben]. Sie
                        giebt eine Zeitschrift heraus, wovon ich die erste
                        Nummer erwarte. Firmin Didot hat
                        unternommen Devanagari-Schrift zu verfertigen. Der Graf Lasteyrie hatte immer die Lithographie
                        im Kopfe, und mein Freund Fauriel hatte
                        Muster zu einigen Proben geliefert: ich suchte es diesem aber auszureden,
                        und wie es scheint, hat man den Gedanken gänzlich fahren lassen. Die Lithographischen Blätter von Othmar Frank sind ein warnendes Beyspiel. 
|23–24 vacat|
Fußnoten
- a |Editor| Diese Grammatik ist nie veröffentlicht worden.
 - b |Editor| Leitzmann S. 62: herzlichsten.
 - c |Editor| Leitzmann S. 63: μι.
 - d |Editor| Diese und die folgenden Einfügungen in griechischer Schrift sind von der zweiten Hand, also wohl Schlegel eingefügt worden.
 - e |Editor| Leitzmann S. 65: … Grundirrthum von Bopp zu seyn …
 - f |Editor| Leitzmann S. 66: Demonetisation.
 - g |Editor| Leitzmann S. 66: unbestimmter.
 - h |Editor| Leitzmann S. 68: niemals.
 - i |Editor| Leitzmann S. 69: Matthiae.
 - j |Editor| Leitzmann S. 74: einem.
 - k |Editor| An dieser Stelle befindet sich im Konzept eine freigelassene Zeile. Der Text ist nach Leitzmann S. 74 ergänzt.
 - l |Editor| Auch hier befindet sich im Konzept eine freigelassene Zeile. Der Text ist nach Leitzmann S. 75 ergänzt.
 - m |Editor| Im folgenden ist der Sanskrit-Begriff ausgelassen und wird nach Leitzmann S. 75 ergänzt.
 - n |Editor| Das Wort „Seite“ fehlt bei Leitzmann S. 75.
 - o |Editor| Leitzmann S. 75: … wo ein Adverbium einen Casus zu regieren scheint, …
 - p |Editor| Leitzmann S. 76: … in der Composition …
 - q |Editor| Leitzmann S. 76: … Declination einigermaßen zu …
 - r |Editor| Gemeint sind hier wohl die Einträge zu mat und tvat in Wilsons Dictionary.
 - s |Editor| Leitzmann S. 76: zuweilen.
 - t |Editor| Leitzmann S. 78: sehr genau.
 - u |Editor| Das folgende Postscriptum fehlt im Briefentwurf in Bonn und ist nach Leitzmann 1908, S. 80 wiedergegeben.
 

