August Wilhelm von Schlegel an Wilhelm von Humboldt, 14.04.1823

Bonn d. 14ten April 1823.

Ew. Excellenz habe ich die Ehre zu melden, daß nach langen Prüfungen meiner Geduld das 4te Heft der Indischen Bibliothek endlich ans Licht getreten ist. Ein für Ew. Excellenz bestimmtes Exemplar ist vorgestern durch den Postwagen in einem Packet an den Buchhändler Reimer abgesendet. Die 12 besonders abgedruckten Exemplare der Abhandlung sind etwas später fertig geworden, ich werde sie baldigst nach Berlin fördern: Ihr Herr Bruder wird sie morgen oder übermorgen schon in Händen haben, da gedruckte Sachen sous bandes so schnell wie Briefe, in vier bis fünf Tagen von hier nach Paris gelangen.

Zu meinem Leidwesen hat nur die erste Abtheilung, nämlich § 1–6 inclus. diesem Hefte eingerückt werden können. Ich hatte mich in der Schätzung des Manuscriptes verrechnet. Der Paragraph 7 dürfte |sic| nicht zerschnitten werden, mit demselben würde das Heft weit über das gewöhnliche Maaß angewachsen seyn, während der Verleger den Preis doch nicht erhöhen durfte. Zudem war dann noch eine neue Verzöge-rung zu besorgen, da der Vorrath an Papier so weit nicht ausreichte.

Ich habe eine kurze Vorerinnerung beygefügt, von welcher ich |von|[a] Herzen wünsche, daß Sie |sic| Ew. Excellenz nicht misfällig seyn möge. Das erste Heft des zweiten Bandes und in diesem die zweite Abtheilung der Abhandlung denke ich recht bald nachfolgen zu lassen.

In diesem Augenblicke empfange ich Ew. Excellenz gütiges Schreiben vom 8ten April, und bin unendlich erfreut von Ihrem Wohlbefinden und Ihren unermüdlich fortgesetzten Studien so willkommne Nachrichten zu erfahren.

So bald der umgedruckte Bogen und die |Cartons|[b] zum Bhag. Gîta fertig sind, werde ich den bloßen Text an Ew. Excellenz fördern. Da sie |sic| gesonnen sind, sich mit diesen |sic| Buche besonders zu beschäftigen, so wäre es gut, sich die Übersetzung von Wilkins zu verschaffen. Es ist damit ganz anders bewandt wie mit der des Hitopa. – Jene, zwar seine erste Arbeit, hat er in Benares verfertigt, unter der Leitung eines vortrefflichen einheimischen Gelehrten. Es fehlt zwar auch nicht an Nichtverstehen und an positiven Misverständnissen doch ist sie im ganzen brauchbar. Im Hitop. gehen die Misverständnisse wirklich über die Gränzen des Erlaubten hinaus, und wenn viele Sentenzen im Originale so beschaffen wären, wie sie im Englischen lauten, so möchte man sich billig über den Ruf der Weisheit wundern, wozu das Buch gelangt ist. Bey allem dem suche ich diese Übersetzung[c] als eine Handschrift zu benutzen, indem ich oft durch das trübe Medium hindurch errathen kann, wie er gelesen haben muß, und zuweilen  meine Pariser Lesearten[d] bestätigt finde.

Hrn Bernsteins lithographischen Versuch habe ich noch nicht gesehn, und wäre neugierig darauf: er hätte ihn mir wohl zusenden können. Ich habe schon die Absicht gehabt, etwas auf Übertragungs-Papier zu schreiben, um zu zeigen, daß man es leicht besser machen könne als Othmar Frank. Aber wozu soll man sich mit der Lithographie plagen, da man es mit dem Drucken so bequem hat? Was kann man mehr verlangen, als daß eine große Octavseite von 20 Zeilen, bey der von mir getroffenen Einrichtung der Typen, in anderthalb Stunden gesetzt wird? Dieß kann man im Arabischen nur ohne Vocalzeichen, sobald es punctirt wird, erfodert es viel mehr Zeit. Jeder Bogen des Bhag. Gîta auf starkem geglätteten Velin, eine Auflage von 300 Ex. kostet mir alles in allem, Satz, Druck und Papier, 25 Thl. Ein starker Band von 30–32 Bogen wird demnach 800 Thl. kosten. Für einen solchen wäre 10 Thl. gewiß ein mäßiger Preis, und so würde ein Absatz von 100 Ex. die Kosten decken. Freylich bey dem jetzt noch so beschränkten Bedarf wird es Zeit erfodern, ehe so viele Exemplare abgehen, wenn ich nicht etwa in England eine Subscription zu Stande bringen kann. Ich hoffe dem Fonds des öffentlichen Unterrichts nicht beschwerlich zu fallen, sondern alles  möglichst aus eignen Mitteln zu bestreiten.

Die bisher von Ew. Excellenz befolgte Methode, immer dieselben Stücke wieder zu lesen, ist gewiß die rechte. Ich mache es eben so. Man dringt auf diese Weise in die Sinnesart ein, welche der Bildung der Sprache und des Styls zum Grunde gelegen hat, und spürt mit Freuden, wenn man nach |einer|[e] Zwischenzeit zu dem oft betrachten |sic| zurückkehrt, daß einem ein neues Licht aufgegangen ist. Indessen denke ich, in der Folge, wenn erst eine gewisse Anzahl bequemer und correcter Ausgaben vorhanden sind, werden Ew. Excellenz den Râmâyana und andre epische Stücke während der Nachmittagsruhe wie die Zeitungen weglesen können.

Ich stelle mir vor, die Jugendgeschichten des Krishnas und seine Liebschaften mit den Hirtinnen in dem Bagavata-Purana |sic| müssen sehr anmuthig seyn.

Über den Gegensatz, welchen das Indische Epos mit dem Griechischen bildet, bin ich vollkommen einverstanden; indessen finde ich auch große Züge der Ähnlichkeit. Wenn wir jenes erst besser kennen, wird dieß Anlaß zu den anziehendsten Vergleichungen geben. Ungeachtet der völligen Emincipation |sic| der Homeriden von der priesterlichen Zucht glaube ich doch im Homer noch Spuren der älteren sacerdatalen |sic| Poesie durchschimmern zu sehn. Auf der andern Seite kann ich nicht umhin anzunehmen, daß manche Theile der Indischen Mythologie von den Kschatriya’s und ihren Sängern ausgegangen sind und daß die Brahmanen sie nur nach ihrem Sinne umgestaltet und sich zugeeignet haben. Ein gelehrter Freund machte mir die Bemerkung, man dürfe aus dem Ramay. nur die Capitel von der Incarnation wegnehmen, so erscheine nachher das übrige als eine bloß menschliche  Heldengeschichte. Soll doch selbst Valmikis der Sage nach nicht einmal ein Brahmane gewesen seyn. Vyasas freylich war es, aber Vyasas ist, wie     [f] der Zusammenfüger, und daß bey den Sagengedichten Brahmanen dieses Amt übernommen, kann man gern glauben.

Es freut mich außerordentlich, daß meine Versuche mit Übertragung der Sentenzen Ew. Excellenz nicht misfallen. Hier ist eine artige von Bhactri-Nari[g]; ein verliebtes Epigramm:

Bey der Lampe, des Heerds Flamme, bey Mond- Sternen und Sonnenschein,
Fern von des Mädchens Rehaugen liegt die Welt mir in Finsterniß.

Es kommt, wie mich dünkt, hauptsächlich darauf an, daß man am Schluße des ersten Hemistichs den Fuß: ⏑ – – ⏓ recht fühlbar mache, und in dem zweiten den jambischen Gang vermeide. Die Gefahr des Holperichten liegt freylich sehr nahe, das haben uns leider die Beyspiele bewiesen. Und wie ist es zu machen, wenn das  Sylbenmaaß ein künstlicheres, und wie die lyrischen der Alten von einem Ende zum andern ganz festgesetzt ist? Damit gleiche Schritte[h] zu halten, wird sehr schwierig seyn. Ubrigens |sic| muß ich mir doch die Freyheit vorbehalten, für die freye Nachbildung epischer Stücke so gelind fließende Hexameter zu machen, als ich nur irgend weiß und kann.

Die beiden von Ew. Excellenz angeordneten Auslassungen in dem letzten Theile der Abhandlung besorge ich sogleich.

In diesem Augenblicke erhalte ich durch eine verbindliche Sendung von Hrn. Bernstein seine lythographischen |sic| Blätter. Sie gefallen mir ganz ungemein wohl, ja ich freue mich, sie den Frankschen Ungeheuern entgegen stellen zu können, welche uns im Auslande lächerlich machen, und ich werde ihm darüber schreiben.

Freylich sollte man den Apostroph wohl immer setzen, wie alles was zur Deutlichkeit dient, ohne sich von dem ursprünglichen Gebrauche zu entfernen. In dem     [i] könnte ja der unerfahrne Schüler das letzte Wort für den Acc. pronom. relat. nehmen. Noch viel unerlaßlicher ist das Zeichen aber, wenn das a privativum wegfällt vor einem sonoren Buchstaben, welcher das visarga auf gleiche Weise verwandelt haben würde. Hier könnte man der Sprache selbst Zweideutigkeit vorwerfen, wenn das a  obschon etidirt |sic|[j], nicht hörbar bliebe, weswegen das Zeichen {'} [k] ein halbes ă heißt. Dieß bestätigt auch Colebrooke in seiner Abhandlung von der Indischen Poesie von den sämtlichen Synaloephen, so wie Brunck behauptet, dasselbe habe in den dramathischen |sic| Versen der Griechen Statt gefunden.

Desto besser, wenn Haughton die Analyse des Hitopadesa nicht gemacht hat. Als er in Paris war, befand ich mich wegen der Krankheit meiner verewigten Freundin[l] in so schweren Bekümmernissen, daß ich seinen Besuch gar nicht benutzen konnte. Chezy hatte aber wegen des verwünschten Verses Hitop. ed. Lond. pag. 2. lin. 21.     [m] ein Orakel von ihm begehrt, und seine Antwort nicht ganz befriedigend gefunden. Ich glaube einzusehn, daß die Dunkelheit von einem Wortspiele herrührt, bedarf aber dennoch, außer der Seramporer Leseart, einer Conjectur, um einigermaßen herauszukommen.

Die Umstellung eines Verses oder Distichons scheint mir zu den gelinderen Emendationen zu gehören: Der Indische Abschreiber entstellt seine Arbeit nicht gern durch Ausstreichen; wenn er nun die wahre Ordnung verfehlt hat, so macht er vielleicht ein kleines Zeichen dabey, welches übersehen wird, und so kann der Irrthum sich leicht in einer Menge Handschriften verbreiten.

Man schildert mir |den Zustand|[n] der Sanskritstudien in Paris als nicht sonderlich blühend. Dagegen weiß Remusat den Eifer für das Chinesische zu beleben. Die Asiatische Gesellschaft hat noch keine Anstalt zu Devanagari-Lettern gemacht, und es ist fürs erste noch keine Aussicht dazu da. Ein Privatversuch, meldet man mir, werde angestellt, scheine aber nicht sonderlich auszufallen.

Ich empfehle mich dem wohlwollenden Andenken Ew. Excellenz mit unbegränzter Verehrung.
|gehorsamst|
|AWvSchlegel.|[o]

Von dem Unglücke des wackern Wilken wußte ich noch nicht, und beklage es von ganzem Herzen, um so mehr da ich ihn persönlich kennen gelernt habe, und auch an seiner Frau und ihrer Familie freundschaftlich Antheil nehme.

Fußnoten

    1. a |Editor| Das Wort fehlt in der Abschrift, ist aber bei Leitzmann S. 142 vorhanden.
    2. b |Editor| Das Wort ist in der Abschrift ausgelassen, ist aber bei Leitzmann S. 142 vorhanden.
    3. c |Editor| Leitzmann S. 143 fügt an dieser Stelle ein: dennoch.
    4. d |Editor| Gemeint sind die Hitopadeśa-Manuskripte der Bibliothèque Royale.
    5. e |Editor| Das Wort fehlt in der Abschrift, ist aber bei Leitzmann S. 144 vorhanden.
    6. f |Editor| Leitzmann S. 145 gibt für die große Lücke in der Abschrift folgenden Text:
      Ὁμηρος von ὁμη und ἀρω,
    7. g |Editor| Leitzmann S. 45: Bhartṛi-Hari.
    8. h |Editor| Leitzmann S. 145: gleichen Schritt.
    9. i |Editor| Leitzmann gibt für die hier vorhandene Lücke auf S. 146: hitōpadēśō’yaṃ.
    10. j |Editor| Leitzmann S. 146: elidirt.
    11. k |Editor| Leitzmann S. 146 gibt ein Apostroph (’).
    12. l |Editor| Anne Louise Germaine de Staël, bei der Schlegel seit 1803 als Mentor und Hauslehrer lebte, starb am 14. Juli 1817 in Paris.
    13. m |Editor| Leitzmann gibt für die hier vorhandene kleine Lücke auf S. 146: guṇi p.
    14. n |Editor| Die Worte fehlen in der Abschrift und sind nach Leitzmann S. 147 ergänzt.
    15. o |Editor| Die Worte fehlen in der Abschrift und sind nach Leitzmann S. 147 ergänzt.