Wilhelm von Humboldt an Christian Karl Josias Bunsen, 08.06.1827 (Leitzmann); 08.07.1827 (Mattson) Datierung unklar

Für die Besorgung der Abschriften bin ich Ew. Hochwohlgebornen ausnehmend verbunden.[a] Ich werde dieselben nun wohl bald von Wien aus erhalten, und dann wenigstens die Beruhigung haben, alte Irrthümer und Fehler nicht mit neuen zu vermehren. Denn es ist erstaunlich, wie sorglos mit den Sprachen, die man barbarische zu nennen pflegt, umgegangen wird, obgleich sie wirklich nur dann Interesse gewähren, wenn man sie mit wahrhaft philologischer Genauigkeit behandelt. […] Ich weiß nicht, ob Ew. Hochwohlgebornen nicht in der Indischen Philosophie manches allerdings Auffallende und Zurückschreckende zuwider seyn wird. Ich kann aber doch nicht läugnen, daß mich das Großartige und Erhabene, das sich zugleich darin ausspricht, unwiderstehlich anzieht, und daß die Bhagavad-Gita zu den Gedichten gehört, die den tiefsten und wunderbarsten Eindruck auf mich gemacht haben. Ungeachtet dies Gedicht längst übersetzt war, war es dennoch gleichsam unbekannt geblieben; selbst die Schlegelsche meisterhafte lateinische Uebersetzung hatte es eben nicht mehr verbreitet, und wirklich glaube ich, daß man eher von einem Auszuge, wie der meinige ist, als von einer Uebersetzung erwarten darf, daß ein größeres Publikum in die Ideen eingeht. – Mein Brief an Rémusat enthält eigentlich eine Discussion, die dem Leser zur Entscheidung offen liegt. Denn Ew. Hochwohlgebornen werden bemerken, daß Rémusat in seinen Anmerkungen immer meine Meinungen bestreitet. Ich glaube indeß, daß das Recht auf meiner Seite ist, daß man wirklich die Grammatik, die in einer Sprache liegt, von der unterscheiden muß, welche beliebig hineingetragen wird, und daß es um die ganze Sprachkunde geschehen wäre, wenn man versäumte gerade jede Sprache in ihrer wahren Eigenthümlichkeit aufzufassen. Ich bin jetzt mit Untersuchungen über die Südsee-Sprachen beschäftigt, und finde sie gerade darin höchst merkwürdig, daß sie mehr, als eine nur irgend sonst bekannte Sprache einen Uebergang von der Chinesischen zu den grammatisch gebildeten Sprachen ausmachen. Ich denke über sie, das Tagalische nebst seinen Dialekten und das Malaiische bald etwas herauszugeben. – Von Rask, dessen Ew. Hochwohlgebornen erwähnen, erwarte ich auch noch immer etwas Bedeutendes. Zu bedauern aber ist, daß er sich jetzt in kleinliche Streitigkeiten über die Dänische Rechtschreibung eingelassen hat, und daß über seine Reise so gut, als nichts erschienen ist. Nach mehreren zusammenkommenden Nachrichten soll er den Erwartungen, die man von ihm und seiner Reise hegte, seit seiner Zurückkunft wenig entsprechen. […] Von dem guten Seyffert ist hier Alles still. Da er, meiner Meinung nach, früh oder spät zu der demüthigenden Erkenntniß kommen muß, seine Zeit mit grundlosen Einfällen verschwendet zu haben, so thut er mir wirklich leid. Die Aegyptischen Studien sind wirklich gefährlich für jeden, der nicht Takt genug hat, zu fühlen, wie weit er, seiner Natur nach, nur darin eingehen darf. Der hieroglyphische Name Benement ist sehr interessant. Wird man aber je mehr als Namen, Jahrzahlen, Titel, Formulare und Contracte finden? Man muß gestehen, daß die Natur des so mühsam herauszubringenden Inhalts wenig zu diesem Studium anreizt.

Fußnoten

    1. a |Editor| Humboldt bezieht sich auf die Zusendung der Abschriften von Lorenzo Hervás’ Unterlagen zu den amerikanischen Sprachen.