Wilhelm von Humboldt an August Wilhelm von Schlegel, 15.04.1824
Berlin, den 15. April, 1824.Ich statte Ew. Hochwohlgebornen meinen herzlichsten Dank für Ihren gütigen Brief[a], und die beiden Hefte der Indischen Bibliothek ab. Ich würde diese Sendung nicht abgewartet haben, um Ihnen zu schreiben, und Ihnen meine Freude über Ihre Rückkunft nach Deutschland zu bezeugen, wenn ich nicht in diesem Winter, meiner Augen wegen, alles Schreiben hätte sehr vermindern müssen. Ich habe eine ganze Zeit hindurch bloß dictirt. Mein Augenübel war zwar wohl nur äußerlich, ein Entzündungszustand in der Conjunctiva und den Augenliedern, allein dies greift doch immer zugleich das innere Auge an. Jetzt ist es größtentheils besser damit. Doch muß ich mich noch sehr in Acht nehmen, und immer vermeiden, wenigstens bei Licht zu arbeiten. Unter allen Uebeln, denen man freilich bei zunehmenden Jahren nicht entgehen kann, sind Augenübel, meiner Empfindung nach, die störendsten und unangenehmsten.
Für die Sorgfalt, welche Ew. Hochwohlgebornen dem Druck meines Aufsatzes gewidmet haben, bin ich Ihnen ausnehmend verbunden. Ich habe kaum einen Druckfehler darin bemerkt. Das Uebersehen meiner Bitte um besonders abgezogene Exemplare hat durchaus nichts auf sich, und ich bitte Sie, Sich nicht zu bemühen, mir Exemplare des ganzen Heftes zu schicken. Die Hefte der Indischen Bibliothek werden, wie ich höre, auch einzeln ausgegeben, und so kann ich sehr leicht hier die wenigen finden, deren ich bedürfen werde. Daß Sie mir auch ferner erlauben wollen, wenn sich die Gelegenheit dazu fände, Theil an der Indischen Bibliothek zu nehmen, ist mir überaus schätzbar.
Ihre Abhandlung in diesem Heft habe ich mit sehr großem Vergnügen gelesen. Sie gewährt eine belehrende u. unterhaltende Uebersicht über Alles, was in dem von Ihnen durchgegangenen Zeitraum für das Sanskrit gethan ist, und erfreut, außer den einzelnen gehaltvollen und gelehrten Bemerkungen, die sie enthält, durch die Zierlichkeit u. Lebendigkeit der Darstellung, die Alles auszeichnet, was Sie dem Publicum mittheilen. Ich habe, auch in diesem Winter, noch oft einzelne Stücke der Bhagavad-Gita wieder gelesen, und es ist mir der lebhafte Wunsch entstanden, daß Sie doch sollten versuchen, eine Deutsche Bearbeitung des ganzen Werkes für Deutsche Leser zu machen. Ich meine damit nicht eigentlich eine Uebersetzung des Ganzen, sondern ein Zusammenweben der einzelnen Stellen, die, unabhängig von jeder besondren Ansicht Indischer Mythologie, den Geist, das Dichtergefühl u. die Empfindung überhaupt allgemein ansprechen müssen. Ich halte das für sehr möglich, u. man würde durch eine solche Arbeit dem Einwurf be-gegnen, der von Allen, die nicht selbst Sanskrit treiben, doch immer, bald öffentlich, bald stillschweigend gemacht wird, daß man zwar in Allem, was man von dieser Sprache mitgetheilt erhält, wohl einzelne schöne Stellen findet, daß aber der Genuß des Ganzen doch immer auf eine unangenehme, oder gleichgültig lassende Weise durch andre u. häufigere u. längere gestört wird. Das Gedicht, von dem ich rede, trift dieser Vorwurf namentlich, u. ich habe vielfältig erlebt, daß wenn ich mit solchen, die Ihre lateinische Uebersetzung ganz wollten gelesen haben, auch nur halb so durchdrungen von dem Gedichte sprach, als ich Ihnen schrieb, ihr Schweigen mir verrieth, daß sie mein Urtheil nur der Selbsttäuschung zuschrieben, die für einen gewissen Grad der Anstrengung sich nun auch einen hinreichenden Lohn gefunden zu haben, überreden möchte. Ich glaube auch nicht, daß eine solche Bearbeitung nothwendig ein tiefes Studium der Indischen Philosophie voraussetzte, wie ein Commentar allerdings erfodern würde. Die Hauptaufgabe wäre nur den Gehalt des Textes recht kräftig u. zugleich klar, recht einfach, u. zugleich dichterisch, wiederzugeben, u. wem würde das so sehr, als Ihnen, gelingen? Stücke solcher Bearbeitung passten auch sehr gut für die Indische Bibliothek.
Ich war vor einigen Tagen im Schauspiel, als man den standhaften Prinzen, nach Ihrer Uebersetzung, gab.[b] Wolf Wolf |sic| spielt ihn meisterhaft, alle übrigen Schauspieler stehen zum Theil unter dem Mittelmäßigen. Ich habe gleich nachher das Stück von neuem durchgelesen, und es drängt mich ordentlich, Ihnen zu sagen, wie mich Ihre musterhafte und unübertrefliche Uebertragung aufs neue ergriffen hat. Meiner Frau ist es damit ebenso ergangen. So sehr ich die Indischen Studien liebe, so wäre es doch sehr zu bedauern, wenn Sie es von jetzt an völlig verschmähten, dichterischen Arbeiten solcher u. andrer Art Ihre Muße zu widmen. Ich hörte einmal in diesem Winter, daß etwas neues Poetisches von Ihnen erscheinen würde. Wie sehr würde ich mich freuen, wenn es sich bestätigen sollte.
Das Unternehmen Ihres Ramayana erfüllt mich mit den freudigsten Hoffnungen. Eine solche Ausgabe des wichtigsten Indischen Gedichts muß das Studium recht eigentlich sichernd begründen. Ich bitte Sie, meinen Namen den Subscribenten beizuzählen. Wo ich kann, werde ich die Unternehmung mit Vergnügen befördern. Leider aber habe ich auswärts kaum einige Verbindungen, am wenigsten in Wien.
In wenigen Tagen hoff ich Ew. Hochwohlgebornen eine schon längst in der Akademie gelesene, aber nun erst gedruckte Abhandlung zu schicken, die ich Sie gütig u. nachsichtsvoll aufzunehmen bitte.
Leben Sie recht wohl, u. arbeiten Sie mit der Ruhe u. Heiterkeit, die ein Gelingen der Arbeit, wie dasjenige ist, dessen Sie Sich immer erfreuen können, einflößen muß. Mit hochachtungsvollster Freundschaftder Ihrige,
Humboldt
Fußnoten
- a |Editor| Dieser Brief Schlegels scheint nicht erhalten zu sein.
- b |Editor| Pedro Calderón de la Barcas Drama "El principe constante" war 1809 in deutscher Übersetzung von Schlegel unter dem Titel "Der standhafte Prinz" erschienen; s. Schauspiele von Don Pedro Calderon de la Barca. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel, Zweiter Band, Berlin: Julius Eduard Hitzig 1809, S. 1ff. Aufgeführt wurde das Stück nachweislich am 09.04.1824 am Königlichen Schauspielhaus in Berlin (s. Theaterzettel, SBBPK, Sig.: Yp 4824/2100-1824, Nr. 105).