Wilhelm von Humboldt an David Friedländer, 16.12.1799

Madrid, 16. December[a] 1799.

Ich bin seit etwa drittehalb Monaten in Spanien, mein lieber Freund, und fange an, mich ein wenig an diese fremden Sitten, die fast in allen Dingen von den Französischen abweichen, zu gewöhnen. Ich bin sehr beschäftigt, da ich nur wenige Monate darin zu bleiben, u. doch den größten Theil des Landes zu durchreisen gedenke, u. das allein hat mich angehalten, Ihnen nicht früher zu schreiben. Meine jetzige Reise ist zwar ziemlich schnell gewesen, ich habe nirgends lang verweilt, u. werde es auch nicht, aber es ist mir darum vielleicht nur noch interessanter gewesen, zwei Nationen, die bei erstaunlicher Verschiedenheit, doch manche Verwandtschaft durch Abstammung, Sprache u. Himmelsstrich besitzen in den mannigfaltigen Abstufungen der Verschiedenheit in den einzelnen Provinzen so schnell hinter einander zu sehen, daß der frühere Eindruck noch völlig frisch war, wenn ich den zweiten empfing, u. noch mehr wird dies bei der Reise durch das mittägliche Spanien der Fall seyn.

Ungeachtet meines kurzen Aufenthaltes in Spanien (denn ich glaube nicht, daß diese Kürze die Ursache davon ist) habe ich die Spanier sehr lieb gewonnen. Man könnte sie vielleicht die Deutschen des Süden nennen; wenigstens ist mir die Mischung mittäglicher Lebhaftigkeit mit nordischer Bedachtsamkeit, Offenheit u. selbst Gründlichkeit im Studiren u. Arbeiten als das am meisten Auffallende in ihrem Charakter erschienen. Freilich aber habe ich auch bis jetzt nur die Castillaner gesehen, u. auf sie muß diese Charakteristik natürlich mehr passen, als auf den heftigen Andalusier u. den verschlagenen[b] Valencianer. Denn auch das ist eine Eigenthümlichkeit Spaniens, die ich wenigstens nicht in Deutschland in gleichem Grade, u. gar nicht in Frankreich fand, daß der Nationalcharakter der verschiednen Provinzen auffallend verschieden ist, u. sie sich unter einander wenn nicht hassen, doch wenigstens verachten. In jeder Provinz wird dem Fremden mehr oder minder deutlich zu verstehen geben, daß er Menschen wie hier, nicht leicht in der angränzenden Provinz finden würde. In einer Stadt in der Biscaya redete mich ein ganz unbekannter Mensch auf der Straße ausdrücklich an, um mich zu fragen, wie mir die Biscayer gefielen, u. als ich sie lobte setzte er hinzu: in Castilien werden sie |sic| es nicht so finden; u. im Theater in Madrid, als das Volk in einem sehr empfindsammen |sic| Stück oft lachte, sagte mir ein Andalusier der neben mir saß: die Barbaren! wenn sie |sic| das Publicum in meiner Stadt in Cadiz sähen! u. so wird es unstreitig fortgehen. Die Valencianer scheinen ziemlich allgemein in dem Ruf der Verschlagenheit, des Eigennutzes u. selbst des Geizes zu stehen. Die Ursach davon ist leicht aufzufinden. Die Valencianer sind die industriösesten unter den Spaniern; arbeitsam, thätig, &c. erfinderisch in den Mitteln ihre Zwecke zu erreichen. Der Castilianer dagegen ist im Ganzen träge, aber auch vielleicht von einem edleren Stolz. Dieser Gegensatz muß natürlich dies Urtheil über den Charakter der Valencianer hervorbringen, u. zum Theil selbst wahr machen. Auch gehören die Valencianer schon zu einem anderen Stamme, als die übrigen Spanier. Sie haben ihre eigne, mit der Tolasanischen sehr übereinkommende Mundart, u. in Valencia haben sich mehr, als sonst irgendwo Französische Familien angesetzt, u. Manufacturen angelegt.

Wenn ich indeß zwischen Deutschen u. Spaniern eine Aehnlichkeit finde, so denke ich nicht gerade an das nördliche, schon höher cultivirte Deutschland, sondern mehr an das mittlere, besonders Franken u. Schwaben. Das Alterthümliche im äußern Aussehen der Städte, in der Tracht, den Sitten, was man dort, vorzüglich in einigen Reichsstädten antrift, das ist ganz u. gar noch in Spanien zu Hause. Der Unterschied, der zwischen beiden harakteren noch obwaltet, mag ungefähr derselbe seyn, der zwischen dem deutschen: ehrbar, u. dem Spanischen: honrado ist. Dies nämlich ist das Beiwort, das der gewöhnliche Castilianer sich am liebsten giebt, u. ich wüßte es durch keinen Deutschen Ausdruck zu übersetzen. Ehrbar ist zu schlicht u. bürgerlich dafür, denn er führt noch einen stärkeren Begriff von eigentlichem Ehrgefühl, point d’honneur mit sich, u. ist edel genug, auch in der Poesie gebraucht zu werden; und edel drückt bei uns eine feinere Ausbildung der Gefühle aus, die diesem spanischen Wort ganz fremd ist. U. eben so nun, sage ich, wie dieses honrado eine Stufe über unserm ehrbar steht, eben so ist auch in dem Charakter auch des gewöhnlichen Castillaners etwas wenn nicht gerade Höheres, aber doch Lebhafteres u. Glänzenderes als in dem Deutschen der ebenbezeichneten Provinzen u. Classen.

Überhaupt aber kenne ich kaum eine bessere Vorbereitung zum Studium des Mittelalters, als eine Reise durch Spanien. In der That glaubt man mit dem Eintritt in Castilien um 200 Jahre zurückgesetzt zu seyn. Ich sage dies nicht sowohl zum Tadel Spaniens, nicht als wäre hier noch alles Dunkelheit u. Barbarei (das ist garnicht der Fall) ich denke dabei vielmehr an andre eher schätzenswürdige Seiten jener entfernteren Jahrhunderte, an eine gewisse Naivetät u. Freimüthigkeit, an eine Schlichtheit u. Einfachheit des Charakters, wie sie bei uns nicht mehr, oder schöner u. edler gefunden wird. Es ist schwer dies mit einzelnen Beispielen zu belegen, aber ich wünschte, Sie wären nur drei Tage mit mir, u. tausend kleinere u. größere Eigenthümlichkeiten in den Sitten würden Ihnen dies bestätigen. Ein großer Belag[c] dazu ist die Art des Umgangs unter den verschiednen Ständen. Dieser Unterschied ist an sich so groß, wie er nur seyn kann; die ersten Granden beugen ihre Knie, so oft sie dem König den Becher zum Trinken reichen; die Granden selbst sehen sich in ihren Herrschaften wie kleine Könige an u.s.f. aber im Umgange verschwindet dieser Unterschied ganz. Die Königin wird wie die Bettelfrau Señora genannt, der König ebenso Señor, u. es ist überall eine Gleichheit u. Freiheit im Umgange die nach unseren Sitten leicht Rohheit scheinen könnte, es zum Theil auch ist. Im Deutschen, Französischen u. Englischen ist die Sprache der feinen Gesellschaft von der einer roheren, oder vertrauteren verschieden, u. man erkennt leicht einen Fremden, der diese Nüancen nicht immer weiß. In Spanien spricht der Landmann wie der Grande, u. grobe Schimpfwörter ansgenommen, ist kein Unterschied. Nichts ist so gewöhnlich als in der besten Gesellchaft einen Mann zum andern z.B. beim Verwundern über etwas oder bei ähnlichen Vorfällen sagen zu hören: Aber, Mensch (hombre) wie kann dies seyn? u. eben so wird eine Frau kurzweg Frau u. ein Mädchen Mädchen genannt. Noch alterthümlicher ist was man auch in den größten Häusern von Equipagen, Ameublemens, u.s.f. sieht. Immer Pracht z.B. massiv silberne Kohlenbecken (da man hier fast gar keine Kamine hat) eine Menge schlecht gehaltener Bedienten, u. fast nirgends geschmackvolle Bequemlichkeit. Mehr als Einmal ist es mir vorgekommen auf einer ganz wüsten[d] Kalkwand einen schönen Titian, Guido oder Giordano zu finden, der freilich mehr werth war, als das ganze Ameublement eines Französischen oder Englischen Hauses. Leider nur ist wenigstens in Madrid nicht die schöne Einfachheit der Sitten, am wenigsten die Tugend der Damen wie in der Ritterzeit. Vielmehr sind die Sitten äußerst verderbt, u. die Rohheit im Umgange beider Geschlechter auch (u. vielmehr gerade u. vielleicht nur da) in den höheren Ständen, ungeheuer.

Ich habe gerade diese Stände so viel ich konnte, vermieden. Die sogenannten feinen gebildeten Spanier, die andre Länder gesehen haben, haben mich nicht am meisten interessirt. Es sind einzelne sehr schätzbare Männer darunter, aber im Ganzen findet man in dieser Classe aufs höchste, was man in Frankreich u. bei uns täglich sieht, u. lernt die Spanische Individualität schlecht oder gar nicht kennen. Denn die meisten dieser Classe kennen ihr Vaterland schlecht u. achten es noch weniger. Ich bin am liebsten mit der Mittelclasse (zu der denn natürlich auch die meisten Gelehrten gehören) u. mit diesen[e] umgegangen, die so erzspanisch sind daß sie nicht einmal eine andre Sprache geläufig reden. Und in dieser Classe habe ich viel wahre Aufklärung u. viel eignes Nachdenken gefunden. Nur muß man nie die Schwierigkeit vergessen, die diese Menschen zu überwinden haben, u. Grade der Aufklärung zu unterscheiden wissen, da man nicht alles auf einmal fordern kann. Dies nicht zu thun macht, daß die Französischen Reisenden gewöhnlich das entgegengesetzte Urtheil fällen. Die Quelle aller oder doch der meisten Vorurtheile ist natürlich nur[f] die Religion, u. da geht nun die Aufklärung sehr mannigfache Stufen durch. Einige bestreiten mit wahrem Aufklärereifer vorgebliche Wunder u. Heiligenlegenden, nicht um überhaupt gegen die Wunder zu reden, sondern um die, die sie für die wahren halten, desto besser zu retten; andre sind noch, was in Frankreich u. Deutschland fast unerhört ist, ausgemachte Jansenisten; viele sind religiös ohne bigott zu seyn u.s.f. Aber zwei, wie es mir scheint, sehr offenbare Symptome einer beginnenden u. mehr als beginnenden Aufklärung habe ich sehr allgemein gefunden: Haß gegen den Druck der Inquisition, u. eignes Nachdenken über die Gegenstände der religiösen Tradition. Wie weit nun dieses Vorrücken dieses Nachdenkens zur Wahrheit ist, hängt natürlich von der Verschiedenheit der Individuen ab.

Die Inquisition verbrennt keine Ketzer mehr, aber sie thut darum jetzt gleich großen Schaden, als jemals. Sie hindert die Circulation guter ausländischer Schriften, noch mehr das eigne freimüthige Schreiben, u. die Verbesserung der Erziehungsanstalten. Zwar fehlt es, trotz ihrem Verbote, nicht an sogar sehr leichten Gelegenheiten sich ausländische d.h. französische Bücher zu schaffen; aber weil es nicht offen u. frei geschehen darf u. vor allem, weil man von seiner eignen Arbeit keinen öffentlichen Gebrauch machen kann, so bringt dies eine allgemeine Muthlosigkeit oder Indignation hervor u. so arbeiten die meisten Gelehrten nichts, oder nur in Fächern, durch welche die philosophische Cultur nicht gewinnen kann. Die Erziehungsanstalten sind überaus elend. Glauben Sie daß in irgend einer der 14|?|[g] oder mehr Universitäten, die es in Spanien geben mag, nur einen einzigen Professor der Geschichte gäbe? daß überhaupt Geschichte, Geographie, Statistik u.s.f. nur irgendwo oder irgendwann gelehrt würde? Man lehrt in den untern Schulen schlechterdings nichts als Religion, Lesen, etwas Rechnen u. Schreiben (dies letztere aber sehr gut) in den folgenden, die unsern Gymnasien entsprechen, schlecht Lateinisch, auf den Universitäten eine scholastische Metaphysik, Theologie (eigentlich nur Dogmatik, an Bibelerklärung u. Kirchengeschichte ist nicht zu denken) u. Jurisprudenz. Alles übrige (die Medicin ausgenommen, für die besondre Anstalten vorhanden sind) muß jeder für sich lernen. Dennoch muß er, ohne es ändern zu können, bloß mit den Universitätsstudien 6–8 Jahre verderben, u. kann also erst nach dem 20sten Jahre zu lernen anfangen, was bei uns die Kinder wissen. Dennoch habe ich selbst einige wirklich gelehrte Leute gefunden, diese aber verdanken es bloß einem eignen mühseligen Studiren. Was bei dieser Lage der Sachen am meisten zurück seyn muß ist, wie Sie selbst sehen, Philosophie u. Kenntniß alter Sprachen. In der Chimie u. Mineralogie hat man seit einigen Jahren angefangen, Fortschritte zu machen, die Botanik wird u. vielleicht unter allen Wissenschaften am besten betrieben, die übrigen Theile der Naturgeschichte aber so gut als gar nicht. In der Statistik u. den Finanzwissenschaften haben seit Cabarrus u. Campomanes einzelne Menschen einige Fortschritte gemacht; indeß ist die Statistik so zurück, daß nun z.B. die Bevölkerung Spaniens nur von 1787 mit einiger Gewißheit angegeben werden kann. Am meisten arbeitet man noch für die Geschichte, indeß auch das auf welche Weise. Man durchsucht Archive, schreibt Diplome ab, häuft Materialien, allein auf eine Weise, die es dem künftigen Bearbeiter eher erschweren als erleichtern müßte. Beurtheilte man also die wissenschaftlichen Fortschritte der Spanier nach den jährlich erscheinenden Büchern, so würde das Urtheil ziemlich ungünstig ausfallen. Aber es ist gewiß, daß man nur Freiheit zu geben brauchte, um auf einmal viele u. gute Produkte zu erhalten. Denn wenn jeder Spanische Schriftsteller über sein Werk ist so ist[h] es der Spanische[i] in doppeltem Grade.

Die schöne Literatur hat vielleicht noch das Meiste aufzuweisen, was sich mit der Produktion des Auslands messen kann. Unter den Dichtern habe ich zwei kennen gelernt,[j] deren Umgang u. Freundschaft mir in jedem anderen Lande sehr schätzbar seyn würde, Menschen von edlem u. gefühlvollem Charakter, frei von jeder Art des Vorurtheils, u. mit wahrem u. anspruchslosen Eifer bloß für die Kunst arbeitend. Von dem einen besitze ich eine in der That sehr gute Composition, eine Ode an das Meer,[k] mit der ich Sie künftig näher bekannt zu machen gedenke. Was aber in der Spanischen Dichtkunst auffallend ist, ist der Mangel an Sentimentalität. Nehmen Sie wenig Stellen aus, u. alle ältere Spanische Dichter sind voll lodernden Feuers der Phantasie, aber eiskalt für das Herz. Selbst die Französischen des 16. Jahrh. die ihnen offenbar an Poesie nachstehen, haben einen größeren Gehalt für die Empfindung. In den neueren ist etwas mehr, aber auch nur wenig.

Die Spanische Nation hat gewiß außerordentliche Anlagen. Einen äußerst geraden u. gesunden Verstand – Sie glauben nicht, wie bestimmt u. klar auch der gemeine Spanier sich ausdrückt, u. wie gut er seine Sprache kennt u. wie rein er sie spricht; es giebt, das einzige Gallicien ausgenommen, gar kein Patois in Spanien – u. außer dem eine natürliche Anlage zum Witz, die jedem Fremden auffallend seyn muß, weil man sich die Spanier gewöhnlich so gravitätisch u. ernst denkt. Was aber Spanien, auch wenn man vollkommene Freiheit gäbe sehr schaden würde, ist seine geographische Lage, durch die es vom ganzen übrigen Europa getrennt, nur mit Frankreich verbunden ist. Der Nachtheil des einseitigen Einflusses der Französischen Literatur ist überall offenbar. Zwischen Franzosen u. Spaniern kann keine aufrichtige, auf Gefühl von Gleichheit gegründete Gemeinschaft seyn. Die Franzosen müssen die Spanier, die sich nicht selbst französirt haben, verachten u. thun es redlich. Auch scheinen wirklich alle, die ich in Spanien gesehen habe, da zu seyn, um immer zu wiederholen: ah! le mauvais pais que l’Espagne! In der Art, wie die Franzosen, können die Spanier nie glänzen, in diesem müssen sie ihnen ewig nachstehn. U. übrigens ist die Französische Cultur fast, wie ihre Revolution, bloß niederreißend, wo sie selbst in der Philosophie aufbauen wollen, gelingt es nur wenig. Sollte Spanien Fortschritte machen, so wäre es durch gründlichere Gelehrsamkeit, durch freies, aber gründliches Nachdenken, u. nur dadurch müßte ein Vorurtheil nach dem andern zerstört, nicht aber alle auf einmal durch den Machtspruch, daß man keine haben müsse unterdrückt werden, was eigentlich der Schlüssel der allgemeinen Französischen Cultur ist. Dazu könnte den Spaniern nur Englische u. Deutsche Literatur helfen, aber selbst die Kenntniß der erstern ist selten, die letztere ist nur durch Französische Uebersetzungen bekannt.

Aber es ist Zeit, liebster Freund, daß ich schließe, sonst bekommen Sie eine ganze Abhandlung über ein Land, was für Sie nur wenig Interesse haben kann. Denn man muß wirklich durch besondre Absichten hieher geführt, oder durch den Zufall hergeschleudert seyn, wie ich, um sich gerade für dies Ende Europens besonders zu interessiren. Indeß müssen Sie mir verzeihen, mein Lieber, daß ich von dem rede, was mir jetzt beständig durch den Kopf geht, u. auch Sie, denke ich, nehmen einigen freundschaftlichen Antheil an dem, womit ich mich beschäftige.

Herzlich, mein theurer Freund, freue ich mich nun nicht mehr lange von Ihnen u. meinen Freunden in Berlin entfernt zu seyn. Es ist gewiß ein recht wahres u. offenherziges Geständniß, wenn ich Ihnen sage, daß ich in Frankreich u. hier nur gern gewesen bin, weil ich das Interesse eines beobachtenden Fremden nie verloren habe. Gern werde ich schwerlich je außer Deutschland seyn, ich bin einmal ächt deutsch, u. es giebt wenig Amalgamation zwischen mir u. einem Ausländer. Aber ich glaube mit Grunde sagen zu können, daß ich meine Reise für meine individuelle Bildung benutzt habe, u. wenn ich, wie nun mein Plan ist, jetzt mich in Berlin u. Tegel établire, so hoffe ich mich desto nützlicher beschäftigen zu können.

Sie werden schon vor mehreren Monaten, mein Theurer, ein Exemplar meiner Schrift bekommen haben; Sie können vielleicht im 5. St. der Propylaen einen Aufsatz von mir über die französische tragische Bühne gelesen haben. Hätten Sie einmal einen Augenblick Zeit, so thäten Sie mir einen großen Gefallen, mir zu sagen, ob diese beiden Dinge Ihren Erwartungen mehr entsprochen haben, als was Sie bisher von mir sahen. Ich glaube zwar daß wir über manche Punkte besonders in der größeren Schrift nicht sehr verschiedener Meynung seyn können, aber ich wünschte nur zu wissen, ob Sie mehr Klarheit u. Bestimmtheit u. mehr Methode des Stils gefunden haben? Sollten Sie mich auch für eine Parthei eingenommen glauben, der Sie nicht günstig sind, u. sollte ich es wirklich seyn, so müssen Sie mich nicht für incurabel halten. Ich erkenne gleichfalls die Fehler in die diese verfällt, u. es liegt mir aber so viel oder mehr noch daran diese zu vermeiden, als mich den Vorzügen, die ich auf dieser Seite zu bemerken glaube, zu nähern. Sogar mag mich reifliches Nachdenken u. Vergleichung mehrerer Literaturen noch mehr jetzt zu dieser billigeren Gesinnung geführt haben, als ich sie sonst hatte.

Grüßen Sie, liebster Freund, alle, die sich meiner erinnern, recht herzlich von mir, besonders Herz, Selle u. Zöllner. Dem erstern besonders bitte ich Sie zu sagen, wie sehr ich mich freue, bald jetzt wieder ihm näher zu seyn. Ich habe neulich seiner Frau geschrieben, u. werde es nächstens auch ihm selbst thun. Wenn Sie mir die Freundschaft erzeigen wollen mir zu schreiben, so sagen Sie mir doch etwas von Engel. Ich setze voraus daß Sie in fortdauernder Verbindung mit ihm sind, sagen Sie ihm wie ich immer mit gleich herzlicher Dankbarkeit u. Liebe seiner gedenke, u. wie innig ich mich freuen würde zu hören, daß auch er sich noch manchmal meiner erinnert. Sagen Sie mir auch besonders von seiner Gesundheit u. was seine Augen machen. Ich habe nicht Zeit heute Kunth zu schreiben. Entschuldigen Sie mich bei ihm.

Von Alexander habe ich einen langen Brief von Anfang Octobers gehabt. Er war noch in Cumana[l], hatte aber eine interessante Reise ins Gebirge gemacht, auf der sein Reisegefährte, ein Wundarzt, eine Frau aus einem Indianischen Stamm, die im Gebähren von den Indianischen Geburtshelfern entsetzlich gemishandelt worden war, glücklich accouchirt hat.

Wegen meiner Geldangelegenheiten sage ich Ihnen durch Hrn. Tanner einige Worte. Ich danke Ihnen herzlich für die Mühe, die Sie deshalb haben. Hr. Tanner hat mich überall sehr gut adressirt, u. besonders bin ich Ihnen verbunden, daß Sie mich an ein Haus gewiesen haben, daß |sic| mitten unter den fürchterlichsten Banquerouten in Hamburg felsenfest gestanden hat. In Madrid hätte es mir unangenehm ergehen können. Mallet in Paris hat mich an ein gutes Haus Camps & Comp. addressirt, u. dies Haus hat fallirt. Glücklicher Weise hatte ich einen direkten Credit von Hrn. Tanner an den Marquis Yranda.

Leben Sie jetzt herzlich wohl! Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin u. Ihren Söhnen, u. behalten Sie in liebevollem Andenken Ihren
H.

Wenn Sie mir schreiben, Lieber, so bitte ich Sie, den Brief nur Hrn. Kunth zu geben.

Fußnoten

    1. a |Editor| Leitzmann 1949, S. 24: Decembris.
    2. b |Editor| Leitzmann 1949, S. 24: verschlagneren.
    3. c |Editor| Leitzmann 1949, S. 25: Beleg.
    4. d |Editor| Leitzmann 1949, S. 25: weissen.
    5. e |Editor| Leitzmann 1949, S. 26: denen.
    6. f |Editor| Leitzmann 1949, S. 26: hier.
    7. g |Editor| Leitzmann 1949, S. 26: 10.
    8. h |Editor| Kohut 1871, S. 411 ergänzt zu: befriedigt ist.
    9. i |Editor| Kohut 1871, S. 411 ergänzt zu: Spanische Dichter?
    10. j |Editor| Vgl. den Brief Humboldts an Brinckmann vom 13. Dezember 1799 (zitiert bei Mattson 1990, S. 494): "Ich habe […] zwei gefunden, mit denen ich […] eine freundschaftliche Verbindung eingehen könnte, wenn ich länger hier bliebe, und die ich sehr schätze. Der eine ist Cienfuegos, ein ziemlich bekannter Dichter, ein philosophischer Kopf, ein einfacher und edler Mensch von viel Feuer und Stoff in jeder Rücksicht […]. Quintana (so heißt der andre) ist vielleicht minder philosophisch, aber künstlerischer und poetischer gestimmt." Vgl. auch den Brief an Friedrich August Wolf vom 20. Dezember 1799. [FZ]
    11. k |Editor| Die Ode "Al Mar" erschien u.a. 1802 in den Poesias de D. Manuel Josef Quintana, S. 81–90. [FZ]
    12. l |Editor| Kohut 1871, S. 413 gibt fälschlicherweise "Ormana". Leitzmann 1949, S. 29 gibt "Cumana".