Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 17.07.1826
                    |1*| Meinen herzlichsten Dank für Ihre neuen Belehrungen, liebster
                    Freund. Ich bin, zum Theil wegen meiner
                    Abhandlung, noch einmal alle das
                    Indische betreffenden Aufsätze des 
                        Journal
                            Asiatique durchgegangen u. vorzüglich die 
                        Burnouf
                    schen haben mir Gelegenheit zu mancher nützlichen Bemerkung gegeben.
                    Ich schätze den jüngeren Burnouf wirklich ausnehmend. Ich bin da auch wieder auf
                    die Anzeige Ihrer Grammatik gekommen, u. auf den Punkt, daß Sie den Nominativ
                    der Sanskrit Wörter mit  {s}
                    bezeichnen, da die übrigen Grammatiker es mit 
                        Visarga thun. Sie haben dadurch offenbar eine
                    große Erleichterung in das Studium der Veränderungen der Zischlaute u. des 
                        Visarga gebracht.
                    Allein ganz bin ich doch nicht mit mir einig, ob nicht die entgegengesetzte
                    Methode die richtigere sey. Ich stelle mir nemlich die Sache so vor. 
 {h} steht nie am Ende eines Wortes, unsern h-Laut muß man also entweder ganz von dem Laut des 
                        Visarga absondern, oder dem
                    Indischen h einen anderen Laut (vielleicht unser ch) beimessen. 
                        Wilkins Schilderung des 
                        Visarga 
                        p. 10. 12. halte ich daher für ganz
                    unrichtig, u. es ist nur wunderbar, daß sie doch aus einheimischen Grammatiken
                    herzustammen scheint. 
                        Wilkins scheint das 
                        visarga bloß orthographisch zu nehmen. Denn sein Ausdruck: 
 {h} 
                    when silent, kann man doch nur so verstehen: wenn
                        
 {h} nicht gehört wird,
                        |2*| setzt man an dessen Stelle ein 
                        Visarga. Denselben Ton können, wenn 
                        Visarga, wie offenbar
                    der Fall ist, ein Laut seyn soll 
                        Visarga u. 
 {h} nicht haben. Davon
                    gehe ich aus, u. hierüber hätte ich auch in Ihrer
                        Grammatik eine Anmerkung gewünscht, da wenn man 
                        p. 2. u. 13. vergleicht, doch, nach Ihnen,
                    die Aussprache beider Buchstaben gleich ist, u. die Regel 
                        p. 53. nr. 81. a. nur eine orthographische wird. Denn ein in 
                        Visarga ausgehendes Wort muß nach den Prämissen, wie ein in 
 {h}
                    ausgehendes lauten. Darüber habe ich Zweifel. Mir scheint die Sanscrit Sprache eine Reihe von Zisch u. Hauchlauten, denen sich
                        
                        r beigesellt, zu
                    haben, die nach dem auf sie folgenden Buchstaben modificirt werden. Es sind dies die drei Zischlaute, 
                        r, das eigentlich zwiefache
                        
                        Visarga, der
                    Hauch der offenbar zwischen zwei nach p. 50. nr. 76. b. aufeinander
                    unmittelbar folgende Vocale tritt, obgleich er nicht
                    bezeichnet wird, endlich, ob dies gleich mit Zisch- u. Hauchlauten gar keine
                    Aehnlichkeit noch Verwandtschaft hat, die Verwandlung von 
                        a in 
                        o. Dies 
                        o bleibt ganz unerklärlich, denn wenn auch
                    in anderen Sprachen bisweilen ein a wegen eines
                    ausfallenden Consonanten in o
                    übergeht, wie 
                        faux as aus 
                        falsus u. s. f., so scheint dies hier
                    nicht anwendbar. Die Veränderungen dieser 
                        Zischla <Zisch->
                     u. Hauchlaute stellen Sie
                    nun so vor, daß gleichsam der Grundton, der die Veränderungen leidet, 
 {s} ist, 
                        Wilkins u. die andern, daß es 
                        Visarga ist. Gewissermaßen könnte man
                    die Sache gleichgültig nennen. Sie haben für Sich, daß im Griechischen u.
                    Lateinischen dieser Endlaut ein s ist. Allein für ganz
                    entscheidend halte ich dies nicht. Denn keine dieser beiden Sprachen hatte die
                    ganze Reihe, das 
                        Visarga kommt bloß in altlat. Dichtern ge-|3*|wissermaßen vor. Die einigen spitzfindigen Griechischen u. Römischen Ohren
                    hatten nur den dickern s Ton herausgenommen u. so endet
                    bei ihnen der Nom. in s,
                    bisweilen in r. 
                        Wilkins u. die übrigen scheinen nur für
                    sich zu haben, daß in einer Pause 
 {s} in 
 {ḥ} übergeht. Wenn Sie also sagen: Als
                        Beispiel diene 
 {gajas} so sollte man ganz
                    streng genommen, 
 {gajaḥ} erwarten, u. ich
                    gestehe, daß ich 
                        p. 84. nr. 119. lieber sagen würde: Der Charakter
                    des Nominativ ist einer der, nach Maßgabe der
                    nachfolgenden 
                        Buchstabens, <Buchstaben,>
                    
                    oder der Stellung überhaupt, einer der nach Reg. 72. u.
                        75–78. einord eintretenden Laute. Es
                    schiene mir dies um so nothwendiger, weil der Fall, wo das 
 {s} bleibt, wirklich der seltenere ist. – Es ist nun aber möglich,
                    daß Sie wichtigere u. in der Sprache tiefer gegründete Ursachen haben, gerade
                    das 
 {s} als Grundform
                    anzusehen, als die Ableitung im Griechischen u. Römischen, u. dann ist es
                    freilich etwas Anderes. Sonst scheint mir, außer der Consequenz, ein Nebennutzen
                    der Indischen Methode noch der, daß, wenn man den absolut stehenden Nominativ
                    immer mit 
 {ḥ} bezeichnet, die
                    Wörter, wo 
 {s} zur Grundform
                    gehört, mehr ins Auge fallen. Verzeihen Sie aber ja mein langweiliges
                    Raisonnement, u. legen Sie es ja bei Seite, wenn Sie meinen, daß es sich von
                    selbst widerlegt.
Was ist denn das letzte Stück des Journ. Asiat., das Sie oder Rosen haben? Meines ist das 41., d. v. November 1825.
Mit der hochachtungsvollsten Freundschaftder Ihrige,
Humboldt.
Tegel, den 17. Julius, 1826.
|4* vacat|

