Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 29.07.1822 (?)
|251r| Eure Excellenzhaben mir eine sehr interessante und lehrreiche Beschäftigung zugetheilt, indem Hochdieselben die Gnade hatten mir Ihren gehaltreichen Aufsatz zum Durchlesen zuzusenden. Die Arbeit ist aber so gründlich, so planmäßig und erschöpfend durchgeführt daß nichts weiter zu wünschen übrig als dieselbe recht bald gedruckt zu sehen. Der Aufsatz wird eine Zierde der Indischen Bibliothek seyn, wofür er sich nach meiner Ansicht recht gut eignet, da er sich ja s recht gutt <wohl> in 2 Hälften theilen ließe, im Falle er zu groß seyn sollte, um in einem Hefte abgedruckt zu werden.
                    |251v| Es ist mir nicht möglich Ew Excellenz auch nur eine Bemerkung
                    mitzutheilen worauf Hochderselben irgendeinen Werth legen könnten, so sehr bin
                    ich im Wesentlichen mit allem einverstanden was Ew Excellenz auf das
                    scharfsinnigste auseinander gesetzt haben. – Besonders ist mir das Beispiel S. 6
                        ( {iti} 
                    
 {sarvaiḥ} 
                    
 {pakśibhirniścinya}) wegen der richtigen und unbestreitbaren Folgerung welche
                    Hochdieselben daraus gezogen haben, indem 
                        
                            
 {savaiḥ} 
                         |sic|
                        
                     wirklich bloß auf 
 {niścinya} gehen kann; die Stelle ist daher für den fraglichen Gegenstand sehr
                    beweisend. – In dem folgenden Beispiele übersetzen Eure Excellenz 
 {nairāśyamavalambitaṃ} durch „die Hoffnunglosigkeit zur Nütze gemacht (wörtlicher aufrecht
                    erhalten)“. Ich glaube 
 {avalaṃbitaṃ} ließe sich unpersönlich nehmen, worauf 
 {nairāśyaṃ} nicht der Nominativ sondern Accus. wäre: „von welchem auf
                    Hoffnungslosigkeit (Erhebung über das Hoffen) sich gestützt wird oder vertraut
                    wird. Sie wird Nalus S. 138 Nr. 15 
 {gaṃtavyaṃ} mit dem Accus. 
                        
                            
 {gaṃtavyaṃ} 
                         <
                            
 {adhvānaṃ} 
                        >
                    
                    construirt. – S. 8 Beisp. 10 ließe 
 {dṛṣṭvā} als Instrumentalis im beschranktesten |252r| Sinne betrachten
                    „durch das Sehen (videndo) den erschlagenen
                    Vogel ward das Mitleiden erzeugt. Ebenso 13a durch
                    das Sehen einen wohlgekleideten Mann etc. Ich habe in meinem Conjug.System S 48 auf eine etwas ähnliche Construktion aufmerksam
                    gemacht. – Die Stelle im Nalus S. 58 gehört zu den
                    schwierigsten des Gedichtes und mag allerdings verschiedene Auslegungen
                    zulassen. Ich halte den Sinn für geschlossen mit der vierten Sloca und übersetze
                    umschreibend „Wie kann auf diese <Weise> deine Rede („solang ich lebe
                    werd ich bey dir seyn, diese Wahrheit sag ich dir“ S. 30 sl. 33) wahr seyn, da
                    du die Schlafende im Walde verließest? – Wie verlassend die rechtliche treue
                    Gattin willst du gehen! – 
 {tathā} heißt gewöhnlich soviel als 
                        tali modo.
Die Stelle 22b heißt in der Serampurer Ausgabe:  {takte} 
                    
 {ghaṇṭāṃ} 
                    
 {parityajya} 
                    
 {vānarāḥ} 
                    
 {phalāsaktābabhūvuḥ} 
                
S. 15 schreiben Eur |sic| Excellenz  {kṛtavāṃ} für 
 {vān} 
                    
 {n} kann an dieser Stelle nicht durch 
 {ṃ} gegeben werden. 
                    |252v| Die allgemeinen Bemerkungen <über Gerund. Infin. u.
                        Supin>,
                    in dem letzteren Theile der Abhandlung, gefallen mir
                    besonders wohl, Ew Excellenz haben darin den Charakter dieser Redetheile auf das
                    gründlichste und wahrste dargestellt. – S. 50 leiten Ew Excellenz die Form auf
                         {tvā} von einem Verbaladjektiv auf 
 {tu} ab. Ich möchte lieber sagen Verbalsubstantiv. Da viele abstrakte
                    Substantive der SanskSpr weiblichen Geschlechts sind, so können es auch die
                    durch 
 {tu} gebildeten seyn, und in diesem Falle muß der Instrumentalis
                    nothwendigerweise auf 
 {vā} und nicht auf 
 {unā} endigen. Man vergleiche zu B die Abstracta auf 
 {ti} welche ebenfalls Faeminina sind, von 
 {kam} kommt 
 {kānti} 
                    
 {kāntyā} 
                    
 {kamitvā} oder 
 {kāntvā} (von 
 {kāntu}). Die Deklination der Wörter auf 
 {i} und 
 {u} steht überhaupt in der engsten Analogie zu einander.
Die Akademie der Wiss. hat ihre letzte Sitzung in dem Lesezim Journalzimmer der Bibliothek gehalten, der König soll aber nun entschieden haben daß ihr ein Local in dem alt Akademie Gebäude eingeräut <eingeräumt> werde. – Die hiesige Bibliothek hat einen schönen Zuwachs von Sanskrit Werken erhalten. – Meine Recension der Schlegel. Bibl. ist am 11ten dieses Monats erschienen.
Ich hoffe daß Ew Excellenz Sich werden der besten Gesundheit erfreuen und habe die Ehre in tiefster Ehrerbietung zu verharrenEw Excellenz
Unterthäniger
F. Bopp
Berlin, den 29ten Juli

