Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 08.06.1825

 Excellenz

Ich bin von dem innigsten Dankgefühl durchdrungen für den neuen Beweis Ihrer huldvollen Gewogenheit, welche sich mir aus Ihrem hochgeehrtesten Schreiben zu erkennen gibt. Wenn es nur irgend möglich ist neben der von der Akademie mir bewilligten und nun dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegten Unterstützung eine Unterstützung von Seiten des Ministeriums zu erlangen, so bin ich fest überzeugt, daß dieses nur durch die wirksame und für mich äußerst ehrenvolle Verwendung Ew Excellenz geschehen kann, ohne welche ich nicht die  entfernteste Hoffnung hierzu hegen dürfte. In der Uberzeugung, daß bei dieser, wie in ähnlichen  Veranlassungen, sowohl bei der Akademie wie bei Hr Minister Altenstein Alles auf Ihr geneigtes Urtheil über meine litterarischen Bemühungen ankömmt, ersuche ich ehrerbietigst Ew Excellenz, dieser Angelegenheit ferner Ihre gnädige Mitwirkung zu schenken. Ich werde, auch wenn meine wohlbegründete Hoffnung fehlschlagen sollte, stets eine gleiche Dankbarkeit für Ihr vielfältig mir bewiesenes unendlich schätzbare |sic| Wohlwollen im Herzen tragen.

In Betreff der in beifolgendem Blatte berührten Punkte erlaube ich mir folgende Bemerkungen.

1) {kṣema} möchte ich nicht von {kṣi} ableiten, auch wage ich keine andere Ableitung mit Sicherheit  aufzustellen. Ihre Vermuthung daß es von {kṣam} kommen könnte läßt sich aber dadurch unterstützen, daß es unregelmäßige Verwandlungen von {a} in {e} gibt, z.B. {naś} bildet {aneśaṃ} (Forster p. 350) und {as} seyn bildet {edhi} sey für {addhi} oder {adhi} (meine Gramm. S. 66). Ich ziehe also die Ableitung aus {kṣam} vor.

2. Schlegel scheint mir mit Recht {sāṃkhya} an beiden Stellen als Adjectiv zu nehmen, obwohl Wilson dieses Wort nicht als Adj. anführt. Früher hatte ich dieses nicht so genau erwogen und ich glaubte den Tadel Ew Excellenz ganz gegründet. Als Substantiv würde es der Dichter wahrscheinlich mit {yoga} verbunden haben, {sāṃkhyayogena}, wie das folgende {karmayogena}; auch erklärt es der Scholiast durch ein Compositum ( {sāṃkhyayogamārgena}) Es ist ein Druckfehler daß bei Schl. das ( {ṃ}) über dem {s} steht. Anuswara kann nur vor Consonanten stehen.

3 Der Scholiast nimmt {nimittāni} in dem Sinne von Vorbedeutungen Auspizien: " {api} {ca} {viparītāni} {nimittāni} {aniṣṭasūcakāni} {śakunāni} {paśyāmi} . Mir scheint diese Erklärung befriedigend.

4 {pratyakṣāvagama} ist zusammenges. aus {pratyakṣa} u. {avagama} und heißt klares Verstandniß habend (meine Gramm. S. 112 und Wilson  {avagani}, {avagana}) Der Scholiast erklärt   {pratyakṣa} durch {spaṣṭa} sein Syonym |sic| für {avagama} ist mir nicht deutlich und wahrscheinlich in unserer Handschrift ein Schreibfehler. Ich habe aber keine Zweifel über {avagama}. Schl. nimmt, wie mir scheint mit Unrecht, {pavitra} als Substantiv; der Scholiast erklärt es durch {patra}, offenbar ein Schreibfehler für {pavitra}, er sagt:   {punātīti} {pavitraṃ} reinigt, ist also {pavitraṃ} reinigend.

5 Muß allerdings heißen {avāptavyaṃ}

6. {pada} möchte ich nicht durch Wort übersetzen, sondern lieber durch Ding, Wesen; es konnte in der Uebersetzung füglich ausgelassen werden, der Comment. läßt es unerklärt, die Erläuterung des Ganzen läßt aber ebenfalls die Bedeutung Wort nicht zu.

7 {mūrddhan} wegen der nach {r} üblichen Verdoppelung.

8   {sadasattatparaṃ}. – Man nimmt gewöhnlich an daß die Pronom. keinen Vocativ haben. Die Vocative hören also nach {jagannivāsa} auf und {tvamakṣaraṃ} u.s.w. ist  ist|sic| so zu nehmen wie im folgenden Sl. {tvamādidevaḥ} Die Wörter   {sadasattatparaṃ} ist man allerdings, grammatisch genommen nicht gezwungen als ein Compositum anzusehen und man kann in Uebereinstimmung mit Ew Excellenz übersetzen: Du bist das Seyende und nicht Seyende und das was das Höchste oder, du bist jenes Seyende und nicht Seyende welches das Höchste. Ich kann diese Auslegung nicht verwerfen, da sie, wie Ew Excellenz ganz richtig bemerken durch IX. 19 unterstützt wird. Der Scholiast und Schlegel sehen die genannten Wörter als eine Comp. an. Schl. würde sonst abgetheilt haben, da er in der Abtheilung dieselben Grundsätze befolgt, welche ich im Nalus angeführt habe. Der Scholiast erklärt {sadasattatparaṃ} {yat} durch „das was über das Seyende  d.h. Sichtbare und das Nichtseyende d.h. Unsichtbare erhaben ist, höher ist als diese beiden, oder die erste Ursache davon ist, seine Worte sind: {sahyaktaṃ} {asadavyaktaṃ} {nābhyāṃparaṃ} {bhūlakāraṇaṃ} {yat}. Der Scholiast nimmt also dieses Comp. für ein Tatpuruscha. {tatpara} gilt hier für Ein Wort, es findet sich bei Wilson, doch nicht in einer hier brauchbaren Bedeutung, es ist mir aber schon in anderen Stellen, so viel ich mich erinnere, als letztes Glied eines Compos. vorgekommen, und ich gestehe daß ich   {sadasattatparaṃ} gerne mit Schl. und dem Scholiasten als Comp. ansehe – Ich habe noch zu bemerken daß {tvam} auch deswegen kein Vocat. seyn kann, weil {akṣaraṃ} im Nominativ daneben steht.

9 Ueber die Auslegung dieses Scholion zum Manu bin ich mit Ew Excellenz einverstanden, {satsvabhāvaṃ} ist das das|sic| Wesen, die Natur, des Seyenden habende u.s.w. Nur den Schluß erkläre ich anders. Der Scholiast erklärt hier, nach meiner Ansicht, die Ausdrücke {sat} und {asat} noch einmal, und erläutert sodann das Wort {ātmakaṃ}: „ Oder {sat} ist soviel als {bhāvajānaṃ} was durch das Seyn geworden, zum Seyn gelangt ist, und {asat} heißt soviel als {abhāvaḥ} (gewiß ein Druckfehler für {abhāvaṃ}, wie {jātaṃ} ein Neutrum) was ohne Seyn ist; was die Seele oder das Prinzip dieser beiden, des Seyenden und Nicht-Seyenden ist ( {tayorātmabhūtaṃ}) wird im Texte {sadasadātmakaṃ} genannt.“ Diesen Ausdruck nehmen wohl Ew Excellenz auch als ein Compositum?

10 {bhutāni} ein Druckfehler

Ew Excellenz habe ich die Ehre hierbei den 20. und 21ten Bogen meiner Grammatik zu überschicken, und verharre in tiefster Ehrerbietung

Ew Excellenz
Unterthanig |sic| gehorsamster
Bopp
Berlin den 8. Juni 1825