Franz Lieber an Wilhelm von Humboldt, 15.03.1832
Euer ExcellenzGeehrtestes Schreiben von Bremen habe ich richtig mit den beifolgenden Büchern vor einigen Tagen erhalten. Ich sage Ihnen noch einmal meinen aufrichtigsten Dank dafür. Ich denke etwas über die beiden Werke – der Correspondenz und Schiller’s Leben – in der American Review zu sagen, aber ich fürchte sehr, ja ich kann sagen, ich weiß daß es nichts genügendes wird; denn selbst wenn ich fähig wäre etwas Tüchtiges über diese intressanten Werke zu schreiben, so würde es immer eine schwierige Aufgabe in einem so fernen Lande sein, wo also das Publikum nicht schon mit vielen Details, und namentlich nicht mit Schillers Werken genau bekannt ist, etwas was in einem kurzen Aufsaze, wie der einer Review, vorausgesezt werden sollte, wenn man wie ich es wünsche mit Freuden über die Correspondenz zweier so großer Männer, über den Austausch ihrer Ideen – über einen so schönen geistigen Verkehr reden will. Dazu kömmt daß ich im eigentlichsten Sinne des Worts ein Sklave meines Werkes bin, was in jeder Lage eine beschwerliche Arbeit gewesen wäre, aber bei mir noch durch die fremde Sprache in der ich es schreibe, vermehrt würde. Für gewöhnliche Gegenstände bin ich freilich so ziemlich des Englischen Meister, aber wenn es an gewisse abstracte Gegenstände geht, so wird es zuweilen beschwerlich; und da ich nun doch einmal davon rede, eine größere Qual kann es nicht geben, als wenn man deutlich genug fühlt, daß man einen Gedanken nicht precis und klar gegeben hat, und doch nicht gleich fähig ist, es zu verbessern. Es ist nicht gut seiner Zunge beraubt zu sein.
Ich habe vor kurzem Euer Excellenz mehre |sic| Indianische Schriften gesandt, und hoffe, daß sie glücklich angekommen sind.[a]
Herr Pickering zeigte mir vor einigen Tagen einen Brief von Ihnen über den Artikel Indian Languages den er für mein Werk schrieb. Sie haben ihm eine sehr große Freude bereitet. Herr Rask hatte über denselben Gegenstand kurz vorher an ihn geschrieben. Es giebt in allen Zeiten und allen Ländern Leute die da nicht hingehören, wo das Geschick sie hingestelt |sic| hat. Vielleicht ist in Zwickau oder Vaduz ein Demosthenes untergegangen, in Philadelphia unter den Quäkern oder in Herrnhut ein Lannes[b]. So gehört Herr Pickering nicht hieher. Hätte er in Europa irgend eine Stelle finden können, die ihn, gegen Noth schüzend, doch Zeit zum Studium gelassen hätte, so wäre sein Name nicht unbekannt geblieben.
Ich möchte hier noch etwas zufügen, was wenn es für Herrn Alexander von Humboldt neu ist, ihm intressant sein, wird, was aber freilich, ist es nicht neu, sehr an das Lächerliche gränzt. Ich habe es nirgend erwähnt gefunden, und will es deswegen herzuschreiben wagen. Die Fülle der Electricität in der hiesigen Atmosphäre ist auffallend groß. Ich will nur Beispielen |sic| des gemeinsten Lebens geben. Fast immer wenn ich meine Haare mit dem Kamme theile höre ich das Knittern der Funken nach allen Seiten, und im Finstern vor dem Spiegel sah ich sie nach allen Seiten sprühen. Des Morgens nach dem Aufstehen, wird es mir sehr schwer, die Haare an den Kopf anliegen zu machen. Sie streben, noch warm vom Bett, nach allen Seiten. Leute die wollne Westen tragen, und sie des Abends ausziehen, sehen dann die Funken ebenfalls nach allen Seiten sprühen. Ich hörte eine Dame einst in großer Angst um Beistand nach ihrem Kammermädchen rufen, weil sie vor dem zu Bette gehen plözlich aus dem wollnen Unterrocke eine Fülle von Funken sprühen sah. Sonderbar dabei ist, daß diese electrischen Erscheinungen sehr häufig bei feuchtem Ostwinde statt finden, am stärksten jedoch wenn wir den kalten trocknen Nordwestwind von Canada her haben.
Ist der Grund der ganzen Erscheinung nur die groß|e|[c] Trockenheit hiesiger Luft u der Haut, da die Erscheinungen |im| Sommer nachlassen, wenn die Haut perspirirt? Ich ha|be| nie mehr Electricität spüren können, wenn |wir| eine brillante Aurora Borealis hatten.
Entschuldigen Sie diese Episode und genehmigen Sie die Versichrung meiner vorzüglichsten Hochachtung. Ich bin
Euer Excellenzganz ergebenster Diener
Franz Lieber
Boston den 15 ten Marz |sic|
1832.
Via Bremen
Seiner Excellenz
Herrn Freiherr Wilhelm von Humboldt
Königl. Preuß. Staats- und Cabinetsminister
Ritter mehrer hoher Orden
& & &
Berlin[d][e]
Fußnoten
- a |Editor| Vgl. hier Liebers Brief vom 20.12.1830.
- b |Editor| Jean Lannes, Prince de Sievers, Duc de Montebello (1769–1809), französischer General und Freund Napoleon Bonapartes.
- c |Editor| Hier und an den drei folgenden Zeilenenden leichter Textverlust durch Schnittstelle.
- d |Editor| Stempel: "Bremen 28/4"
- e |Editor| Zwei Stempel auf der Rückseite des
gefalteten Briefes:
"Forwarded by H. H. Meier & Co. Bremen"; "N 225"