August von Liebermann an Wilhelm von Humboldt, 24.10.1826
Ewr. Excellenzwerden ohne Zweifel nicht wenig ungehalten auf mich seyn, da ich bisher weder dem, mir vor meiner Abreise von Berlin, geneigtest ertheilten mündlichen Auftrage, noch demjenigen nachgekommen bin, welchen Sie mir durch das Hochgeehrte Schreiben vom 2ten July haben zugehen lassen. Ich bin indeß nicht so schuldig, wie ich Ew. Excellenz erscheinen mag und habe bloß deßhalb so lange mit meiner Berichts-Erstattung gezaudert, weil ich nicht gern mit ganz leeren Händen vor Ihnen erscheinen wollte und von einem Tage zum Andern hoffte, Ihren Wünschen wenigstens in etwaß entsprechen zu können.
Was zuvörderst die Mittheilung der von dem verstorbenen Pfarrer Astarloa hinterlassenen Manuscripte über die Biscayische Sprache betrifft, – so befindet sich Herr Erro, welcher dieselben besitzt, jetzt zwar allerdings in Madrid und er ist um so bekannter hierselbst, als er den angesehenen Posten eines activen Mitgliedes des Staats Rathes bekleidet und – mit Recht – für einen der Coripheen der darin vorherrschenden ultra-royalistischen /: oder – wie andere sagen – fanatischen :/ Parthey gehalten wird. Allein gerade dieser Verhältniße wegen, steht er mit dem diplomatischen Corps, und überhaupt mit den Fremden, in durchaus keiner Berührung – und es war um so schwieriger, ja in einiger Hinsicht, sogar um so bedenklicher für mich, seine persönliche Bekanntschaft zu suchen, als hier alle und jede Schritte der Repräsentanten der auswärtigen Mächte sorgfältig belauert und in der Regel gemißdeutet werden, ich mithin – besonders zu einer Zeit, wo von dem Wieder Eintritte des Herrn Erro in’s Ministerium die Rede war, befürchten mußte, daß man einer mit ihm anzuknüpfenden mündlichen oder schriftlichen Unterhandlung andere Beweggründe als rein literarische unterschieben, und – wie es hier an der Tagesordnung ist, mich einer politischen oder persönlichen Intrigen |sic| beschuldigen werde. Da sich inzwischen durchaus keine Gelegenheit absehen ließ, mit dem Herrn Erro rein zufällig, am dritten Orte zusammenzutreffen, so entschloß ich mich endlich, mich schließlich an ihn zu wenden, ihn an Euer Excellenz Wunsch im Allgemeinen zu erinnern und bey ihm anzufragen; ob und wann ich ihn antreffen und mich dieserhalb näher mit ihm besprechen könne? Herr Erro hat mir hierauf sehr höflich erwiedert, daß er es sich zur Pflicht machen würde, zu mir zu kommen /: wenn er sagte: tant a cause de l’estime qu’il porte a M. le B.n de Humboldt que de la consideration qu’il me professe :/; Allein da mehrere Wochen vergiengen, ohne daß er sein Versprechen erfüllt hätte, so habe ich ihn selbst in seiner Behausung aufgesucht und bey einem zweyten Besuche angetroffen. – Leider ist Herr Erro aber nicht zur Mittheilung der in Rede stehenden Manuscripte zu bewegen gewesen, ungeachtet ich es mir nach besten Kräften habe angelegen seyn lassen, die Beweggründe auseinander zu setzen und geltend zu machen, welche Euer Excellenz in dem mir im vorigen Jahre geneigtest eingehändigten Aufsatze ausgeführt haben. – Herr Erro behauptet, daß die Euer Excellenz bekannt gewordenen Manuscripte, namentlich die Grammatik, unter dem Titel Raiz de lengua, voller Unrichtigkeiten und Mangelhaftigkeiten, mithin zur Herausgabe nicht geeignet seyen; daß H. Astarloa sich hiervon selbst überzeugt, seinen frühern Plan geändert und diese Materialien in ein anderes größeres Werk mit aufgenommen, welches er unter dem Titel: discursos filosóficos /: sollte es nicht filológicos seyn? :/ habe herausgeben wollen; daß er /: H. Erro :/ dieses größere Manuscript zwar besitze, solches jedoch keinem Andern überlassen könne; theils weil es selbst noch einer sorgfältigen Revision und Berichtigung bedürfe, – zu welchem Ende er bereits eine Menge einzelner – nur für ihn brauchbarer – Bemerkungen und Notizen gesammelt habe, theils und hauptsächlich aber, weil der verstorbene Astarloa auf seinem TodtenBette gerade ihm dieses Werk anvertraut und behufs der Herausgabe hinterlassen habe. – Herr Erro versichert dennoch, daß er der letztwilligen Bestimmung seines Freundes Astarloa noch immer nachzukommen gedenke, ungeachtet er freylich, seiner amtlichen Geschäfte wegen, den Zeitpunkt der Herausgabe deß fraglichen Werkes vor der Hand nicht bestimmen könne. –
In Erfüllung des zweyten, mir durch Ew. Excellenz Hochgeehrtes Schreiben vom 2ten July c. ertheilten Auftrages bin ich anfangs nicht viel glücklicher gewesen. Ich habe bey allen hiesigen Buchhandlern, Antiquaren und bouquinisten angefragt und noch in der kürzlich – im Monat September – hier Statt gefundenen, sogenannten Messe, alle mögliche Nachforschungen anstellen lassen, ohne ein einziges der mir bezeichneten Bücher auffinden zu können. Auch in die Diarien von Madrid und von Cadiz habe ich Aufforderungen einrücken lassen, wie Ew. Excellenz aus den anliegenden beyden Blättern geneigtest näher ersehen wollen; Allein dieselben sind bisher eben so fruchtlos geblieben, als eine von mir in Sevilla, bey einem dortigen Bücherkenner gemachte Einschreitung. Es sollen im vergangenen Jahr noch ein Paar Grammatiken americanischer Sprachen bey einem hiesigen Antiquar vorhanden gewesen seyn; allein alle diese und ähnliche seltene Werke sind von dem NordAmericanischen Consul Rich[a] aufgekauft und in England und den vereinigten NordAmericanischen Staaten mit sehr bedeutendem Gewinn wieder abgesetzt worden. Herr Rich selbst ist jetzt nicht mehr hier anwesend. – Auf der hiesigen Königl. Bibliothek befinden sich, nach dem Catalog, folgende Grammatiken und Vocabularien Americanischer Sprachen:
1.) Arte y vocabulario /: nicht tesoro :/ de la lengua Guarani, por el Padre Fr. Ant: Ruiz de Montoya. Madrid 1640.
2.) Gramatica y Vocabulario en la lengua del Perù, llamada Quichua, por Gonzalez Holguin Diego. /: N.B. war in dem, durch den Catalog angegebenen Schranke nicht aufzufinden. :/
3.) Gramatica de los pueblos de America. Sta. Cruz. 8os. 1770.
4.) Gramatica Yunga de Dn. Fernando la Carrera; und
5.) Bocabulario de lengua Bisaia Hiliguoyna y Haraia de la Isla de Panai y Sugbu y p.a las demas islas; por el P. fr. Alonso de Mentrida.
Ueber die Sprache Lùle ist kein Werk vorhanden, so wie denn überhaupt diese Mundart jetzt hier, selbst dem Namen nach, unbekannt geworden zu scheint. – Ich habe mehrere, selbst halb offizielle Versuche gemacht, die aufgefundenen Bücher auf ein Paar Monate geliehen zu erhalten, um sie Ew. Excellenz übersenden zu können; Allein es ist mir erwiedert worden, daß nach den bestehenden bestimmten Vorschriften, unter keiner Bedingung, Bücher, an wen es auch sey, verborgt werden dürften. Zum Excerpiren und Copiren im Gebäude der Bibliothek selbst, ist dagegen alle mögliche Leichtigkeit vorhanden; nur scheint mir in dem vorliegenden Falle an das Abschreiben des einen oder des andern der fraglichen Werke um so weniger zu denken zu seyn, als eine solche Abschrift nicht allein höchst theuer zu stehen kommen, sondern auch auf deren Correctheit wenig zu bauen seyn würde. Zum Beweise wie schwierig das Abschreiben des Werks über die Sprache Guarani seyn würde, – erlaube ich mir Ew. Excellenz auf die Verschiedenartigkeit der, in andern Sprachen zum Theil ganz unbekannten Accente ergebenst aufmerksam zu machen, welche Sie aus dem hier beygefügten kleinen Auszuge geneigtest näher ersehen wollen. –
Es ist mir also nichts anders übrig geblieben, als Nachforschungen darüber anzustellen, ob eins oder das andere der mir von Ew. Excellenz bezeichneten Bücher in einer hiesigen Privat Bibliothek vorhanden seyn möchte – und es ist mir endlich nach mannigfaltigen vergeblichen Anfragen, gelungen zu erfahren, daß sich der hiesige Academiker und Botaniker Dn J. Pavon im Besitze eines Werkes über die Sprache Quichua befindet. – Es ist dieß eine in Lima herausgekommene, bedeutend verbesserte und vermehrte, auch mit einem Anhange über einen besondrn |sic| Sprach-Dialect versehene Ausgabe des von Ew. Excellenz angegebenen Werks von Diègo de Torres-Rubio. – Herr Pavon will dieß Werk um keinen Preiß verkaufen und hat anfangs auch viele Schwierigkeiten gemacht, solches nur aus den Händen zu geben. Allein in Folge der ihm gemachten Vorstellungen /: und da er selbst mit Ihrem Herrn Bruder in literarischer Correspondenz steht :/ so hat er sich endlich entschlossen, mir dasselbe auf einige Monate für Ew. Excellenz zu überlassen – und ich beehre mich demnach Ihnen solches in dem beygehenden Packete ganz ergebenst zu übersenden. Da ich inzwischen dem H. Pavon einen schriftlichen Empfangs- & Gewährleistungsschein ausgestellt habe, so unterstehe ich mich Ew. Excellenz füglich zu ersuchen, mir den richtigen Eingang dieses Werks geneigtest anzeigen |sic|, und mir dasselbe, nach davon gemachtem Gebrauche, auf sicherm Wege, durch Vermittelung der Königl. Gesandtschaft in Paris , wieder zugehen lassen zu wollen. – Genehmigen Ew. Excellenz bey dieser Veranlassung dem Ausdruck der innigen Verehrung und Respectsvollen Ergebenheit womit ich die Ehre habe zu seyn
Ew. Excellenzgehorsamer Diener
A. v. Liebermann
Madrid den 24sten October 1826.
P.S. Kennen Ew. Excellenz folgendes Werk:
Catálogo de las lenguas de las Naciones conocidas y
numeracion, division y Clases de estas segun la diversidad de sus
idiomas y dialectos. – Su autor el Abate D.n Lorenzo Hervas,
teólogo del Emm. S. Cardinal J. F.o Albani.
en 5. Vol. Madrid 1800? Der erste Theil handelt de lenguas y naciones Americanas. – Es sind darin eine Menge
Americanischer Mundarten aufgeführt, jedoch keine Details darüber enthalten.
Fußnoten
- a |Editor| Obadiah Rich (1783–1850) war u.a. US-Konsul in Valencia und Madrid, Buchhändler sowie Sammler früher lateinamerikanischer Publikationen und Manuskripte (s. "The Obadiah Rich Collection").