Ignaz von Olfers an Wilhelm von Humboldt, 23.10.1827

|144r|Rio de Janeiro den 23 October 1827.
Ew. Excellenz

Schreiben an den Herrn Guido Thomas Marlière /: jetzt Oberst :/ habe ich erst spät nach Minas Geraes befördern können, indem ich die Antwort auf meinen Brief, worin ich ihn um eine sichere Adresse nach der Cidade de Ouro Preto /: Villa Rica :/ bat, nicht früher erhielt. Ich habe jetzt das Vergnügen, seine Antwort hier beizulegen.[a] Er zeigt mir an, daß er eben in Begriff stand, zu den Indier-Niederlassungen am Rio Doce abzugehen. Sobald es ihm seine vielen Arbeiten und Reisen erlauben, wird er gewiß die im Briefe und in der Anlage enthaltenen Fragen zu beantworten suchen. So wie ich ihn kenne, wird er gar nichts gegen die Benutzung seines Wörterbuches[b] für Ew. Excellenz Zwecke einzuwenden haben, vielmehr sich darüber freuen, obwohl es eigentlich seine Absicht war, dasselbe in Verbindung mit zwei Aufsätzen über die Coroádos Corogós und Purís und über die Guaicurés unter dem Titel: Mémoires pour servir à l’histoire de sauvages de l’Amérique méridionale bekannt gemacht zu sehen. Warum der Marquis Rougé[c], der, wenn ich mich nicht irre, |144v| vor einiger Zeit gestorben ist, <es nicht gethan hat,> weiß ich nicht. Es wäre, dünkt mich, nicht schwer gewesen, auf diese Art einen Verleger zu finden, und gar manches im Wörterbuche hätte durch jene Nachrichten eine Erklärung erhalten.

Durch seine gegenwärtige Stellung als Director geral dos Indios da provincia de Minas Geraes hat Hr Marlière Gelegenheit, Bemerkungen über mehrere andre Völkerstämme: Malalís, Macunís, Machacalís, Motocúdos, Naknenuks /: welche zu den vorhergehenden zu gehören scheinen :/ einzusammeln. Eine Übersicht derselben, die er mir mitgetheilt hat, schicke ich an Prof. Ritter für die Hertha. Ich fahre fort, für die Geschichte der verschiedenen Stämme möglichst ins Einzelne gehende und chronologisch bestimmte Nachrichten zu sammeln. Leider sind mir auch hiefür manche Notizen beim Schiffbruch meiner Effecten, jedoch wenigere als in naturhistorischer Beziehung, verloren gegangen.

Könnte man nicht die gleichmäßige Schreibung der Amerikanischen Sprachen und Dialecte den Buchstaben, welche dem Laute am nächsten kommen, durch einfaches oder mehrfaches Durchstreichen /: ŧ. đ. m̶. o̵. :/ die genauere Bedeutung geben. Doch Ew. Excellenz haben gewiß längst ein besseres Mittel ausgefunden.

Die Notiz über einige der nothwendigen Bücher, welche Sie noch zu |145r| haben wünschen, habe ich hier lithographieren lassen, und sorge für ihre Verbreitung. Ich lege ein Exemplar bei. Viel Hofnung habe ich freilich nicht hiefür, wird aber auch nur ein oder anderes gefunden, so wäre dies schon lohnend. In Buenos-Ayres wäre vielleicht einige Aussicht, aber dort herrscht jetzt ein confusum chaos. Auf jeden Fall habe ich jedoch einige Exemplare hinbesorgt, so wie nach Chile, Perú und Columbia. – Die Grammatik und das Wörterbuch des P. Andr. Febres Lima 1765 besitzt Hr. Alex. Caldcleugh, der früher mit Edw. Thornton in Rio war, und jetzt wenn ich nicht irre in S. Yago de Chile oder in Lima für eine Englische Gewerkschaft sich befindet /: Caldcl.  voyage 1825. I. p. 387 /. Derselbe nennt, II. p. 71. Diccionario u. Grammatica der Quíchua-Sprache vom P. Diego Gonzalez. Lima 1608. 8°°, das Vocabular auch besonders gedruckt Lima 1614. 12mo. Seit der Aufhebung der Jesuiten, deren Regsamkeit auch die andern Orden anspornte, ist nichts mehr zum Vortheil aber sehr viel zum Nachtheil der armen Indier geschehen, und ihre Sprachen sind so in Verfall gerathen, daß die von der Regierung angestellten Prediger es nicht für nöthig halten, sie zu lernen. Sie haben ohne Zweifel schon die Noticias secretas der beiden Ullóa’s gesehen, welche D. David Barry im vorigen Jahre zu London bekannt gemacht hat: in geringerem Maße war das, was er von der Behandlung der Indier sagt, ehemals auch in den Portugiesischen Besitzungen wahr, und wo kein Marlière für sie |145v| sorgt, sind sie noch immer schlecht berathen.

Weit entfernt die in der Deutschen Anlage zu Ew. Excellenz Schreiben vom 26 Juli v. J. enthaltenen Anfragen als kleinlich anzusehen, werde ich mich vielmehr bemühen, möglichst genaue Auskunft darüber zu geben, und hier selbst gleich Einiges über die an Hrn Marlière geschickten hinzufügen, auf den Fall, daß es in der Zwischenzeit, bis seine eignen Äußerungen zu Ihnen gelangen können, bei Ihren Forschungen von einigem Nutzen seyn können könnten. Zuvor aber möchte ich Ew. Excellenz in Erinnerung bringen, ob es nicht besser hier Coroaden statt Coroaten zu schreiben: der Name steht mit d in den bessern öffentlichen Schriften, ist rein Portugiesisch, und kommt her von dem Kronscheeren ihrer Haare /: Coróa, coroados, corona, coronati :/ Eschwege hat als Hesse d mit t verwechselt, und andre sind ihm gefolgt. Übrigens ist der Name auch nicht einmal ursprünglich stammbezeichnend, indem das Kronscheeren mehreren gemeinschaftlich ist. Nach mündlichen Versicherungen des Hrn Sellow finden sich in Süden Coroados /: dort so genannt :/, die wenig oder nichts mit den Coroados des Xipotô gemein haben. Auch sollen die Minnanos der Spanier von den Minhães der Portugiesen verschieden seyn.

1. In dem Wort Mingáu-pahni, soll au zwar Diphthong seyn, aber das á |146r| soll vorlauten; wo beide Vokale ganz zusammenfallen, hat, wenn ich mich recht erinnere Marlière einen Circumflex |~| gesetzt. Das Wort Mingáu bezeichnet in der Volkssprache einen Brei, und ist, glaube ich, aus der lingoa geral genommen.

2. Das y hat immer einen dumpfen Laut nach dem Deutschen ü hin, so in tay-pi, wo die beiden Laute ÿ und i nach einander erscheinen; ebenso in ypara: hingegen in mahy könnte man ebenso gut, und wohl besser i schreiben. – Zwischen zwei Vokalen ist die Aussprache, wie in ayant, moyer, und vor einem Vokale zu Anfange eines Wortes steht es zwischen dem Portugiesischen nh und dem Deutschen j.

3. Das w bezeichnet eine breitere Aussprache, als wäre sie kaum färbend u vorgesetzt.

4. In üe sind die Buchstaben einzeln auszusprechen, und in cu-wüeke sind die Punkte überflüssig, und nur aus Vorsicht hinzugefügt.

5. Der Specht heißt Farowin; das F. ist aber eigentlich mehr v, und nähert sich dem Englischen th.

7. |sic| Der Apostroph bei d’ und t’ bezeichnet eine starke Aspiration.

8. t’ch, tsh, tsch bezeichnen das Spanische ch oder das Deutsche tsch; das Portugiesische ch ist dem Deutschen sch verwandt.

|146v| 9. Das Portugiesische j und g spricht sich sanft aus, wie das Französische, und erhält daher, um es zu schärfen, in condge ein d vorgesetzt.

10. Das  ̆ über dem u bezeichnet ein schnelles Hingleiten über diesen Vokal, besonders wo er mit einem andern in Verbindung steht. wie z. B. in pŭy /: besser pŭi :/. Es hat nichts Gutturales.

12. |sic ch und sh stehen, wo nichts anders im Marliereschen Wörterbuche angegeben ist statt sch.

13. Das u oder o in yumbi-u͠án ist ein Mittelton zwischen beiden. Man gewöhnt sich unter den Portugiesen sehr leicht, beide Vokale, wo ihr Laut nicht ganz rein ist, ohne Unterschied zu gebrauchen, und, lingua, seu, meu oder lingoa, seo, meo zu schreiben.

15. |sic| In der Trennung und Verbindung der zusammengesetzten Wörter hat Marliere viel Willkührliches: in kú-û-û-é pama scheinen die Striche fast nur die sehr gedehnte Aussprache zu bezeichnen.

Mir ist sehr leid, Ihnen keine bestimmtere Auskunft geben zu können; ich habe das Coroaden-Wörterbuch nicht zur Hand, und muß fürchten, daß es mit meinen übrigen Sachen verloren ist. Aus demselben Grunde fehlt mir Figueira’s Grammatik, nach welcher ich mich bei den hiesigen Bücherhändlern umsonst erkundigt habe.

|148r| Ein Französischer Arzt, Clemençon, hat einen Botocuden-Knaben mit nach Frankreich genommen, und läßt ihn im Lyceum von S. Denis erziehen; er soll gute Fortschritte machen, und ein Wörterbuch seiner Muttersprache zusammengetragen haben.

Im hiesigen Seminarium von S. Joaquim sollen fünf Indierknaben seyn, wie ich kürzlich erfuhr. Ich werde Gelegenheit suchen, sie zu sehen, doch wird von ihnen, nach der Art des hiesigen Unterrichts zu rechnen, nicht viel zu erfahren seyn.

Indem ich recht sehr bedauere, Ew. Excellenz nichts Bedeutenderes mittheilen zu können, habe ich die Ehre mit aufrichtigster Verehrung und den besten Wünschen für Ihr und aller der Ihrigen Wohlergehen zu seyn

Ew. Excellenz
ganz ergebenster Dr
v. Olfers.
|148v vacat|


|Anhang|

|147r: Rundschreiben von WvH, kopiert von fremder Hand|
Je m’occupe depuis plusieures années de recherches sur les langues americaines, que je compte publier aussitôt que je les aurai terminées. Je me trouve muni de nombreux & riches materiaux pour cette étude, mais je n’ai pu jusqu’ici me procurer les ouvrages suivants.

1°. Gramatica y diccionario de la lengua de Chili por el Ab: And. r Febrès Lima 1765.

2°. Il doit exister une grammaire et un dictionnaire de la langue des Chiquitos[d], la première imprimée in 4°, le dernier in folio mais j’ignore le nom del’auteur & le lieu del’impression. Je connois ces deux ouvrages seulement par une notice manuscrite du P: Camaño sur la langue des Chiquitos.

3°. Tesoro de la lengua Guarani, por Ant: Ruiz de Montoÿa. Madrid 1639. 4°.

4°. Arte y vocabulario de la lengua Guarani, por Ant: Ruiz de Montoÿa Madrid 1640. 12°.

5°. Arte de grammatica da lingua Brasilica, da nação Kiriri composta pelo P: Luiz Vincencio Mamiani. Lisboa 1699.

6°. Gramatica dela lengua Lulè por el P: Anto Machoni. Madrid 1732.

7°. Gramatica y vocabulario en la lengua del Perù llamada Quichua y en la lengua Español. por Diego de Torres Rubio. Sevilla 1603.

8°. Gramatica dela lengua Moxa (Mossa) por Pedro Marban 1701.

9°. Gramatica y vocabulario dela lengua Chacciquel (Guatimala) por Benedetto de Villacañas.

10°. Gramatica dela lengua Maya (Yucatana) por el P: Gab:e de S. Bonaventura Mexico. 1654.

11°. Gramatica dela lengua Tarasca por Maturino Gilbert.

12°. Vocabulario dela lengua Maÿa por Pedro Beltran.

13°. Gramatica y vocabulario dela lengua Tarasca por Angelo Sierra.

14°. Arte de aprender las lenguas Mexicana y Matlazinga y vocabulario por And.r de Castro.

15°. Gramatica y vocabulario de la lengua Moixe[e] (Clavigero cite cette grammaire dans son histoire du Mexique T: IV pag. 264.)

Ces ouvrages ne sont plus dans le commerce dela librairie; je n’ai pas même pu trouver jusqu’ici ceux qui ont été publies en Espagne & en Portugal. Mais il est probable, qu’il en existe encore des exemplaires en Amerique soit chez les bouquinistes soit dans les bibliothèques publiques ou dans celles de particuliers. Les personnes qui dans ce cas, |147v| voudroient avoir la complaisance de me les faire obtenir, rendroient, comme je crois pouvoir l’assurer, service al’ étude |sic| comparatives des langues et dela connoissance plus particulière des peuples des indigènes du nouveau continent & m’obligeroient infiniment personnellement. Je préférerois naturellement defaire l’acquisition de ceux de ces ouvrages qu’on voudroit bien me céder, et j’en paîrois le prix dont on seroit convenû. Mais j’obtiendrois aussi mon but, si les personnes, qui possèdent ces ouvrages, vouloient seulement consentir à me les prêter pour un tems déterminé. Je les renverrois exactement àl’époque |sic| fixée. Même, si l’on ne vouloit en aucune manière s’en priver, il me seroit déjà intéressant de savoir, où ils existent, et où il seroit possible deles consulter pour vérifier tel ou tel point. Je n’ajoute point ici la liste des ouvrages que je possède, ni celle de ceux dont je connois les titres, sans les avoir moi-même, mais dont je puis me passer, puisque j’en ai d’autres sur les mêmes langues plus récens & plus complêts. Mais tout renseignement sur un ouvrage imprimé ou manuscrit sur une langue Américaine quelconque sera toujours du plus grand prix pour moi. Mon adresse est la suivante:


à Mons.r le Baron Guillaume de Humboldt
Ministre d’Etât de S: M: le Roi des Prusse
à Berlin

(Sig.) Humboldt

Fußnoten

    1. a |Editor| Siehe Marlière an W. v. Humboldt, 09.07.1827.
    2. b |Editor| Das Vocabulaire Français et Coroato von Marlière aus dem Jahr 1819 befindet sich in Form einer Handschrift des Verfassers im Nachlass von Wilhelm von Humboldt (Coll. ling. fol. 35, Staatsbibliothek PK, Berlin). Aus einer Notiz Alexander von Humboldts auf der ersten Seite dieses Manuskriptes geht hervor, dass er dieses vom Marquis de Rougé erhalten habe und dass es als Ausschnitt in Malte-Bruns Nouvelles Annales des Voyages veröffentlicht werden sollte. Letzteres ist aber wohl nicht geschehen. [FZ]
    3. c |Editor| Eventuell handelt es sich um Bonabes Louis Victurnien Alexis Marquis de Rougé, der jedoch erst im Jahr 1839 starb.
    4. d |Editor| Vermutlich Jesuiten-Manuskripte; vgl. hierzu: Adam, Lucien / Henry, Victor: Arte y vocabulario de la lengua chiquita: con algunos textos traducidos y explicados, compuestos sobre manuscritos inéditos del XVIIIo siglo (Paris: Maisonneuve y cía. 1880) – enthält folgende Manuskripte von Joaquín Camaño: Grammática de la lengua chiquita; Arte de la lengua chiquita (1718); Pláticas para el uso de la lengua chiquita: Vocabulario de la lengua, parte segunda, chiquito-español, y parte tercera, de sus raíces.
    5. e |Editor| An der genannten Stelle bei Clavigero steht: "Della Mixe. / Agostino Quintana Gram. e Diz.".