Friedrich August Rosen an Wilhelm von Humboldt, 26.02.1833
Ew. Exzellenzmuß ich abermals sehr um Verzeihung bitten wegen des Verzugs dessen ich mich in dem Erfüllen meines Versprechens einer berichtigten Abschrift von dem Verzeichniß der Rafflesschen Malaiischen Manuscripte[a] schuldig gemacht habe. Auch heute bin ich leider noch nicht im Stande, Ihnen dasselbe zu übersenden: die Handschriften sind wegen einer kleinen Bau-Veränderung in dem Hause der Asiatischen Gesellschaft bereits seit mehreren Wochen bei Seite gesetzt worden. Sobald dieselben wieder zugänglich sind – und das wird sicherlich in sehr kurzer Zeit der Fall seyn – werde ich eilen, mich meines Versprechens zu entledigen.
Meinem dießmaligen Schreiben nehme ich mir die Freiheit einige Notizen über die Chippeway und die Kri Sprache[b] beizulegen, welche ich aus zwei Mittheilungen entlehne, die der philologischen Gesellschaft der hiesigen Universität kürzlich zugekommen sind.
Das längere Bruchstück ist aus dem Entwurf einer vollständigen Grammatik der Kri Sprache ausgezogen, mit deren Bearbeitung sich Herr Howse in Cirencester schon seit langer Zeit beschäftigt hat. Unsere kleine philologische Gesellschaft hat sich bemüht, ihm neue Materialien zur Vervollständigung seines Planes zu verschaffen, und hat namentlich eine Reihe von ihm selbst aufgesetzter Wörter und Redensarten denen eine Uebersetzung in die verschiedenen Dialekte der Sprache in Amerika beigeschrieben werden sollte, drucken lassen und versandt. Ganz kürzlich ist eins dieser Wortverzeichnisse[c] mit reichlichen handschriftlichen Ausfüllungen zurückgekehrt, und der philologischen Gesellschaft dabei zugleich eine sehr große und allem Anschein nach mit Fleiß bearbeitete Conjugations-Tabelle der Chippeway Sprache[d], von H. Edwin James, mitgetheilt worden. Aus dieser Tabelle habe ich die oberste Zeile der verschiedenen Columnen, d. h. die erste Person Præsentis (in einigen Fällen die zweite Person) in jeder der aufgeführten Conjugationen vollständig abgeschrieben; aus der ersten Columne der Tabelle aber, die ein vollständiges Paradigma der bejahenden Form des intransitiven Activs enthält, nur die erste Person des Singular und die zwei ersten Personen des Plural (die Form für das Ich und Du und für das Ich und Er) aus jedem Tempus oder Modus ausgezogen. Dieser Auszug bildet das kürzere diesem Schreiben beigefügte Fragment. – Herrn Howse kenne ich nicht persönlich, und habe daher nicht Gelegenheit gehabt mich bei ihm selbst nach den von ihm befolgten orthographischen Grundsätzen näher zu erkundigen. Herr Edwin James spricht sich in einer Anmerkung über die seinigen folgendermaaßen aus: „The principles of English orthography are followed, except that a is in general restricted to the vowel sound heard in make: thus man sounds like the English word main; á represents the sound of a in father, and â that of the same letter in hall. The mark over ō prolongs the sound where the succeeding consonant would otherwise shorten it: thus nōn is to be sounded as if written noan, or with the sound of o in bone.“
Einer von den Sekretären der British & Foreign Bible Society hat mir die beiliegenden Blätter aus dem letzten Jahresberichte jener Gesellschaft zugeschickt, und mir zugleich den Rath ertheilt, mich bei der London Missionary Society ebenfalls nach etwanigen neuern Fortschritten in der Sprachenkunde der Südsee-Inseln zu erkundigen. Ich hatte aber dort bereits vor meinem letzten Schreiben an Ew. Excellenz nachgefragt, und leider ohne den gewünschten Erfolg.
Mein Freund Stenzler ist während der letzten Wochen auf eine unangenehme Art durch die Blattern in dem Verfolg seiner Studien unterbrochen worden. Er ist jetzt wieder hergestellt; aber ein andrer Orientalischer Studiengenosse, H. Brockhaus aus Leipzig, der erst seit Kurzem hier ist, und oft mit mir gemeinschaftlich Stenzlern Gesellschaft geleistet hatte, liegt jetzt an derselben Krankheit darnieder. Ich selbst scheine von der Ansteckung verschont bleiben zu sollen.
Mit der innigsten Ehrerbietung empfehle ich mich der Fortdauer Ihres gütigen theilnehmenden Wohlwollens, und bleibeEw. Exzellenz
gehorsamster Diener
F. Rosen.
London, den 26sten Febr. 1833.
Fußnoten
- a |Editor| Rosen stellte für Humboldt ein erstes und dann ein „Zweites verbessertes Verzeichnis“ der von Sir Thomas Stamford Raffles (1781–1826) gesammelten und von dessen Witwe der Royal Asiatic Society vermachten malayischen und javanischen Manuskripte zusammen. Beide Verzeichnisse finden sich im Nachlass Humboldts als Einlagen zu dem Brief Rosens vom 22. Januar 1833. Vgl. Mueller-Vollmer 1993, S. 225.
- b |Editor| Gemeint sind Ojibwa und Cree, zwei Zentral-Algonkin-Sprachen.
- c |Editor| Howse veröffentlichte zwei Aufsätze über „Vocabularies of certain North American Languages“ in Proceedings of the Philological Society 4, 1848–50, S. 102–122, 191–206 (Angabe nach Wolfart 1985, S. 414). Pilling kennt die Arbeit von Howse „Words and Forms of Speech, prepared with a view to obtain their Equivalents in various Indian Dialects“ (Cirencester, o. J., 2 Foliobl.) aus dem Bibliothekskatalog der Royal Geographical Society. Vgl. Pilling 1891, S. 242.
- d |Editor| Siehe Outline of the paradigm of a Chippewa verb (von Assistant Surgeon Edwin James, of the United States Army), im Nachlass Humboldts, Coll. ling. fol. 22, Bl. 24–25. Abdruck bei Verlato 2013, S. 387–391.