Wilhelm von Humboldt an Alexander von Rennenkampff, 30.05.1812
Wien, den 30. Mai, 1812.Wenn ich Ihnen, theuerster Herr Baron, auch später antworte, als ich gewünscht hätte, so hat mir Ihr gütiger Brief doch darum nicht weniger Freude gemacht. Die neuen Beweise ihrer[a] freundschaftlichen Anhänglichkeit, die er enthält, haben einen um so größeren Werth für mich, als ich dieselben Gesinnungen gewiß in gleichem Maße erwiedre. Außerdem ist es mir äußerst angenehm, durch Sie manchmal einige literarische Nachrichten aus Ihren Gegenden zu erhalten, aus denen sie sonst selten zu uns herkommen. Herzlich lieb wird es mir daher seyn, wenn Sie, statt Sich über die Länge Ihrer Briefe zu entschuldigen, mir oft und ausführlich schreiben wollen. Ihr Anerbieten, Aufträge, die ich in Ihrer Stadt haben könnte, gütigst zu übernehmen, ist mir ungemein erwünscht, und wenn Sie es mir erlauben, so mache ich gleich jetzt Gebrauch davon. Sie wissen, daß ich mich viel und anhaltend mit Sprachstudien beschäftige, ich besitze auch eine ziemlich ansehnliche Sammlung gedruckter und handschriftlicher Hülfsmittel dazu, zu deren Vermehrung Sie mir sehr behülflich seyn könnten, da Sie gerade in dem Reiche leben, das die meisten Sprachen in sich vereinigt. Eben diese aber, die sich nur bei Ihnen finden, haben jetzt ein doppeltes Interesse für mich, da ich vorzüglich die Amerikanischen Sprachen mir zum Gegenstande meiner Untersuchungen gewählt habe, und diese unter allen übrigen am meisten mit den Nordöstlich[b]-Asiatischen Sprachen und Mundarten Verwandtschaft haben. Ich bin daher so frei, Sie zu bitten, hiervon einige Nachricht einzuziehen, und für mich zu kaufen, was sich von Grammatiken und Wörterbüchern Asiatischer Sprachen bei Ihnen nur irgend finden kann. Wenn ich von Asiatischen Sprachen rede, nehme ich aber Arabisch, Türkisch, Persisch und alle sogenannten Semitischen Sprachen, ferner Indisch und Chinesisch aus. Alles Uebrige aber, besonders Alles, was zu den Tartarischen Sprachen gehört, hat, ohne Ausnahme, das größeste Interesse für mich. Es wäre auch möglich, daß sich bei der Akademie, oder sonst handschriftliche Materialien dieser Art vorfänden, und in diesem Fall würde ich Sie um Abschriften bitten, die aber freilich, vorzüglich für die fremden Wörter, sehr genau seyn müßten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr Sie mich durch solche Mittheilungen verbinden würden. Die Kosten würde ich Ihnen auf Ihre Anzeige unmittelbar in Petersburg selbst ersetzen, und sollte auch jetzt der vielleicht ausbrechende Krieg die Communikationen schwieriger machen, so kann dies doch nur immer momentan seyn, und wenn Sie indeß Einiges gütigst sammelten, würde es mich nachher um so angenehmer und unerwarteter überraschen. Bemerken muß ich, daß ich das große Wörterbuch der Akademie, die Claprothischen Schriften u. s. w. natürlich habe. Ich habe auch Hrn.[c] von Ouvaroff in der Inlage gebeten, Sie hierbei zu unterstützen, und Sie werden mir eine ungemeine Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie diesen Gegenstand, da Dinge dieser Art bei Ihnen gelegentlich fast immerfort von Zeit zu Zeit vorkommen müssen, gütigst im Auge behalten wollen. Die beiden Schriften von Münter[d] habe ich mit vielem Vergnügen und mannigfaltiger Belehrung gelesen, ob ihnen gleich das eigentlich Geniale und Tiefgelehrte fehlt, das man in Zoëga’s und Visconti’s Abhandlungen über dergleichen Gegenstände antrift. Ganz eigen ist es zu sehen, daß ein Bischof, indem er seine Pfarrer zu einer Synode zusammenberuft, nur darum einen singulären Text aus der Apokalypse wählt, um dann[e] auf heidnische Schriftsteller und Alterthümer abschweifen zu können, von denen er kaum einen Augenblick am Ende mit wenigen Worten zurückkommt.[f] Ich danke Ihnen aber recht sehr für beide kleine piècen, und bedauere, Sie gerade der interessanteren beraubt zu haben. Auch die Art der Zuckerpräparation, wenn es Ihnen keine große Mühe macht, erfahre ich sehr gern. Die Anekdote, die Sie mir dabei erzählen, ist sehr drollig. Sie werden aus den Briefen meiner Frau gesehen haben, daß es uns wenigstens so gut geht, als es nun einmal uns außer Italien gefallen kann. Daß wir dahin, und um gänzlich zu bleiben, zurückkehren, ist gewiß, und wir bereiten im Stillen Alles dazu vor. Die Zeit ist freilich jetzt noch unbestimmbar, allein auch Sie, denke ich, gehen[g] über kurz oder lang in diesen Hafen ein, und sehr dann sollte es mich freuen, wenn wir wieder zusammen dort wären. Leben Sie indeß recht wohl und erhalten Sie mir Ihr gütiges Andenken!
Mit herzlicher Hochachtung und Freundschaft.Der[h] Ihrige,
Humboldt.
Fußnoten
- a |Editor| Leitzmann korrigiert in seinem Handexemplar (Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Ltz. 4122) von Distels Buch das fälschlich gedruckte „ihrer“ in „Ihrer“.
- b |Editor| Leitzmann ändert „Nordöstlich“ in „NordÖstlich“.
- c |Editor| Leitzmann ändert „Hrn.“ in „He.“
- d |Editor| Anm. bei Distel 1883, S. 21: „Briefe von ihm und seiner Schwester Friedericke Brun in Rennenkampffs Nachlaß. Die hier näher gekennzeichnete Schrift ist abgedruckt in Münters 'antiquarischen Abhandlungen' Kopenh. (1816) II.“
- e |Editor| Leitzmann ändert „dann“ in „davon“.
- f |Editor| Siehe Friedrich Münter (1816): De occulto Urbis Romae nomine, ad locum Apocalypseos XVII. 5. Programma, quo Synodum Dioeceseos Selandicae in Aede Cathedrali Roschildensi d. 3 Julii 1811 celebrandam indixi. In: Friedrich Münter: Antiquarische Abhandlungen, Kopenhagen: Schubothe, S. 27–52. [FZ]
- g |Editor| Leitzmann ändert „gehen“ in „gehn“.
- h |Editor| Leitzmann ändert „Freundschaft. |Absatz| Der“ zu „Freundschaft |Absatz| der“.