Wilhelm von Humboldt an Friedrich Heinrich Jacobi, 06.06.1796

Berlin, 6. Junius 1796.

So vieles und grosses Vergnügen ich auch gewohnt bin, theurer Freund, durch Ihre Briefe immer zu bekommen, so kann ich Ihnen doch nicht lebhaft genug schildern, mit wie köstlichen und süssen Gefühlen mich Ihr letzter vom 11. Apr. d. J. überrascht hat. Ich hatte solange vergebens auf ausführliche Nachricht von Ihnen gehoft, und nun erhalte ich ganz unerwartet einen so langen, schönen und herzlichen Brief, ganz in dem Tone der innigen Vertraulichkeit und Freundschaft, dem ich schon so viele herrliche Stunden meines Lebens verdanke, und obenein mit der fast gewissen Hofnung Sie selbst und die Ihrigen nach einem so langen Zwischenraum einmal wiederzusehen. Leider nur musste mir diese Freude durch die Umstände, die mich gerade bei dem Empfange Ihres Briefes umgaben, wieder gestört werden. Denn nie hätte er mich in einer ungewisseren, verwirrteren, u. zum Theil traurigeren Lage finden können, als gerade jetzt. Dieser Verwirrung schreiben Sie es zu, bester Freund, wenn ich Ihnen heute nur kurz und nur auf den nothwendigsten Theil Ihres schönen Briefes antworten kann.

Zuerst muss ich meine verspätete Antwort entschuldigen, die gewiss aus keinerlei Art der Nachlässigkeit entstanden ist. Stellen Sie Sich nur vor, dass mich Ihr Brief vom 11ten Apr. erst den 15 May getroffen hat. Ausserdem, dass er nothwendig auf der Post verzögert worden seyn muss, fand er mich nicht in Berlin, sondern ich empfieng ihn erst nach meiner Zurückkunft von einem Landbesuche, den ich in der Gegend von Frankfurth an der Oder bei einem Freunde auf einige Wochen gemacht hatte, mehr als 14 Tage später, als er hier eingeangen war. Wenige Tage darauf, als ich eben im Begriff war, ihn zu beantworten, erfuhr ich, dass Frau von Berg mir etwas von Ihnen zu sagen hätte, und mich deshalb zu sprechen wünschte. Um Ihnen nun auf einmal entscheidende Antwort geben zu können, wollte ich erst diese, wie ich glaubte neuere Nachricht von Ihnen hören, u. gieng augenblicklich zu Frau von Berg. Aber unglücklicherweise war auch diese auf ein Gut verreist, das sie eben gekauft hat, und so verstrichen bis zu ihrer Zurückkunft wiederum 8 Tage, so dass ich mich erst jetzt im Stande sehe, Ihnen über meinen Aufenthalt in diesem Sommer vollständige Rechenschaft zu geben.

Sie können denken, theurer Jacobi, wie innig u. herzlich ich mich sehne, Sie wieder einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, und mit Ihnen über so viele Dinge ausführlich zu reden, über die das Schreiben eine so weitläuftige u. schwierige Sache ist. Gewiss thue ich daher alles, was nur irgend in meinen Kräften steht, um Sie irgendwo anzutreffen, nur freilich bindet mich meine Lage diessmal mehr, als sonst gewöhnlich. Was Sie mir in Ihrem Briefe sagen, und die Nachricht, die ich durch Frau von Berg erhalte, stehn in einem sonderbaren Widerspruch mit einander, den ich noch nicht ganz zu lösen im Stande bin. Sie fodern mich auf, Ihnen zu sagen, wo wir einander im Laufe des August u. bis zur Hälfte Septembers treffen können. Frau von Berg hingegen benachrichtigt mich, dass Sie vor Ihrer Pyrmonter Reise Berlin besuchen wollen, also im Laufe des jetzigen Monats u. bis zur Mitte des künftigen. Glücklicherweise macht diess in Rücksicht auf mich keinen Unterschied, da meine Lage in beiden Theilen des Sommers ziemlich dieselbe seyn wird. Damit Sie Ihre Plane desto freier und bequemer ausführen können, will ich Ihnen die meinigen ausführlich vorlegen.

Zuerst die Hauptsache, dass wir nicht nach Carlsbad gehen. Die Kränklichkeit meiner Frau, die sich Ihnen auf das wärmste und herzlichste empfiehlt und sich überaus seht, den langen Wunsch Ihrer persönlichen Bekanntschaft endlich erfüllt zu sehen, hat, ohne sich leider ganz zu bessern, eine andere Wendung genommen, für die das Carlsbad nicht mehr zuträglich scheint. Unter diesen Umständen war es daher unser Vorsatz zu meinem Schwiegervater aufs Land nach Burg Oerner im Mansfeldischen zu gehen, um dort den grössten Theil des Sommers zuzubringen. Diesen Vorsatz hätten wir auch unfehlbar schon ausgeführt, wenn nicht unser kleiner Junge ein kaltes Fieber bekommen, und uns dadurch Stillstand geboten hätte. Diess ist indess nun vorübergegangen und wir haben unsere Abreise von hier auf den 1. Jul. festgesetzt. Allein diese Abreise wird durch einen andern Umstand wieder sehr ungewiss, der uns schon seit länger als einem Jahre bekümmert u. Schuld an der gestörten Lage gewesen ist, in der wir uns seit ebensolange etwa befinden. Meine arme Mutter ist seit einem Jahre an einem unheilbaren, u. höchst schmerzhaften Uebel krank, und gerade jetzt ist ein schleichendes Fieber dazu gekommen, das ihrem Leben ein baldiges Ende droht. Lässt diess nicht nach, so müssen wir nothwendig unsren Aufenthalt hier verlängern. Können wir hingegen den 1. Jul. hier wirklich abreisen, so bleiben wir auch höchst wahrscheinlich bis zum 1. 7br. in Burg Oerner, es müsste sich denn der unglückliche Fall ereignen, dass meine arme Mutter früher stürbe. Denn alsdann müssten wir nothwendig auf 6–8 Wochen hieher zurückkommen. Trägt sich also sonst nichts Unvermuthetes zu, so sind wir auf jeden Fall bis zu 1. 7br. entweder hier oder in Burg Oerner. Wäre das Erstere, so würden wir Sie mit offenen Armen u. der herzlichsten Sehnsucht hier empfangen. Wäre das letztere, so könnten wir ganz und gar nach Ihrem eignen Wunsche, entweder beide, oder wenn meine Frau gerade nicht wohl wäre, doch ich allein auf 8–12 Tage, nach Halle, Leipzig oder Jena kommen. Wüsste ich, dass Sie gerade um den 1. Jul. hier eintreffen wollten, so könnte ich meine Abreise auch bis zum 15. Jul. aber freilich nicht länger füglich verschieben, und ebenso meine Abresie von Burg Oerner bis zum 15. 7br. Wohin ich von Burg Oerner aus gehe? weiss ich in der That noch nicht. Die glückliche Unabhängigkeit, in der ich mich befinde, hat die Unbequemlichkeit, dass man bei so grosser Bestimmbarkeit sich schwer wirklich bestimmt. Da es mir nicht wahrscheinlich ist, dass Sie weder nach Pempelfort noch jetzt wegen der Franzosen nach Rom werden gehen können, so bitte ich Sie recht herzlich u. dringend mir sobald Sie irgend entschieden sind zu sagen: 1., wo Sie Ihren Winter zubringen werden? u. ob Sie wohl zu Dresden oder Wien Lust hätten? 2., ob Reventlows[a], die ich schon so lange kennen zu lernen wünschte, trotz den Franzosen in Rom bleiben, oder wohin sie gehn? Dass wir nach Italien gehen ist ausgemacht, indess geschieht es schwerlich vor dem Herbst künftigen Jahres.

Ich lebe hier sehr einsam, indem ich fast mit niemand umgehe, aber doch ziemlich ungestört durch die Krankheit meiner Mutter, die auf einem Landgut 1 Meile von hier[b] wohnt, u. die ich sehr häufig, oft täglich besuche.

An Ihrem neuen Woldemar habe ich mich ebensosehr, als an den Ergiessungen gefreut, und Sie hören nächstens mein ausführliches Urtheil. In meiner jetzigen zerrissnen und von einem so traurigen Gegenstand so erfüllten Stimmung bin ich in der That zu keiner andren Communication über literarische Dinge fähig, als die das Feuer einer Unterredung mir abzwingt. Darum, lieber theurer Freund, kommen Sie ja, ich bitte recht herzlich darum.

Ich habe Ihnen nicht sagen mögen, wie die Schilderung Ihrer Kränklichkeiten und Verdriesslichkeiten auf mich gewirkt hat. Warum soll ich Ihnen so traurige Erinnerungen wieder lebhafter ins Gedächtniss zurückrufen?

Leben Sie innigst wohl, und bestellen Sie tausend freundschaftliche Grüsse an die Ihrigen von uns beiden! Ewig mit ganzer Seele
Ihr
Humboldt.


Alexander hat auch seinen Woldemar bekommen, u. wir haben beide als er im Winter hier war, viel von Ihnen gesprochen. Er ist jetzt in Baireuth, wo er auch fürs erste bleibt. Wenn er Düsseldorf vorübergereist ist, kann es nur in einem Drange eiliger Geschäfte gewesen seyn.

Fußnoten

    1. a |Editor| Graf Friedrich Karl von Reventlow und seine Ehefrau Friederike Juliane.
    2. b |Editor| Eine preußische Meile entspricht 7428,013 Meter.