Wilhelm von Humboldt an Johann Gottfried Schweighäuser, 02.11.1803
|58r|Rom, den 2. November, 1803.Ich danke Ihnen herzlich, mein theurer Freund, für Ihren gütigen Brief vom 1. pr. Ihre fortdauernde freundschaftliche Güte, u. Ihre Theilnahme an unserm nur zu unersetzlichen Verlust.[a] Es geht jetzt alles recht leidlich bei uns; Theodor ist vollkommen hergestellt, u. wir übrigen sind wohl u. munter.
Für Ihr Anerbieten wegen H. Hase u. Sickler bin ich Ihnen herzlich verbunden. Wir müssen uns aber gegenseitig misverstanden haben. Ich habe beide, wie Sie mir schreiben, mit einander verwechselt, u. auf der andren Seite glaubte ich Ihnen bestimmt gesagt zu haben, daß ich jetzt leider keinen von beiden zu meinem ehemaligen Zweck brauchen könnte. Da Sie aber doch eine fernere Antwort von mir erwarten, so muß etwas Unentschiednes in meiner Antwort gelegen haben. Sie wissen, daß mir jetzt nur Theodor übrigbleibt; für ihn aber bedarf es eines andren Subjects als für Wilhelm u. beide der Fall war, seine letzte Krankheit hat überdies gemacht, daß er noch mehrere Monate mit aller Anstrengung verschont bleiben muß, u. über dies alles werde ich im künftigen Sommer eine sehr günstige Gelegenheit haben, den jungen Menschen, der sich endlich zu mir zu kommen entschließt, auf eine uns beiden angenehme Weise herreisen zu lassen. Ich darf also jetzt bestimmt kein Verhältniß eingehn, ich habe meine Freunde in Deutschland gebeten, sich nach jemand umzusehn u. habe nun Zeit u. freie Wahl. Sagen Sie indeß H. Hase u. Sickler wie gern ihnen auch mein Haus offen stehn würde, wenn Sie <sie> sich sonst eine Reise hieher zu machen entschließen sollten.
Ueber Ihre literärische Thätigkeit u. die Theilnahme an zwei Journalen freue ich mich sehr. Aber auch ich, mein Bester, bin erstaunlich (soviel man es nemlich in der Ferne seyn kann) St. Croix u. Ihres Vaters Meynung, daß Sie durchführen, was Sie angefangen haben. Einmal der äußren Vortheile wegen, dann aber, weil Sie dann das Bewußtseyn haben werden, etwas gethan zu haben, die Erziehung eines jungen Menschen vollendet zu haben. Glauben Sie mir, wenn es Ihnen auch viel Zeit nimmt, es bildet wiederum mehr, als jede andre Beschäftigung, u. wie Sie es thun, belohnt es sich durch sich selbst.
Herzlich danke ich Ihnen für Ihr Anerbieten wegen meiner Vasken. Sie verzeihen mir aber wohl, wenn ich mich nicht zu einer Mittheilung in einem Jour-|58v|nal entschließen kann. Ich würde der Sache u. mir gleichviel dadurch schaden. Ich habe noch nichts bekannt gemacht, aber meine Arbeit ist großentheils fertig. Was den Druck aufhalten wird, ist, daß jetzt in Spanien eine Spanische Schrift über diese Sprache erschienen ist, die ich in meine verwandeln muß, u. nun gehen mehrere Wochen hin, ich ehe ich sie nur bekomme. Mein Werk wird wohl zwei Bände ausmachen. Ich nenne es: die Vasken u. es enthält:[b] 1., einen Abriß des Landes, u. des Volks in Form einer Reise;[c] 2., die Grammatik; 3., d ein nach einem eignen System abgekürztes Wörterbuch;[d] 4., eine Untersuchung über die Abkunft der Nation. Aber dies fodert noch, sehn Sie, viel Studium, soviel ich auch schon gemacht habe. Die Reise ist so gut als fertig, von der Grammatik viel, zum Uebrigen sind alle Materialien beisammen. Hier habe ich meinen Aufenthalt schon sehr benutzt. Man glaubte das Vaskische mit dem Maltesischen verwandt. Allein dies letztere ist ganz orientalisch. Jetzt studire ich die Bruchstücke des Etrurischen u. Oscischen. Denn das ist für das Baskische sehr merkwürdig .
Ueberhaupt sitze ich durchaus im Sprachstudium, u. denke eine wenigstens eine Abhandlung über die wahre Methode u. den wahren Nutzen desselben gleich nach den Vasken drucken zu lassen.[e] Ich glaube darin neue Ansichten zu haben. Ich glaube zeigen zu können, daß es da ein bisher ganz vernachlässigtes Studium giebt, was eine reiche u. fruchtbare Quelle von Ideen u. ein wichtiges Bildungsmittel werden kann. Ich glaube zu zeigen, daß wenn man es nur irgend recht anfienge, jeder Mensch in seiner Sprache täglich finden <würde>, was er jetzt nie ahndet. Fänden diese Ideen Eingang, dann würde ich suchen eine Encyclopädie des Sprachstudiums zu Stande zu bringen, wie ich es mir denke, ein mühsames u. schwieriges Werk, das noch viele Jahre angestrengten Studiums fodert, aber auch ein nothwendiges, wenn nicht alles in diesem Fach Stückwerk bleiben, u. nicht jeder immer wieder von vorn anfangen soll. Rom bietet mir einige äußerst seltene Hülfsmittel für diese Arbeiten dar, aber vor allem die Stimmung, die ich nie vielleicht so gut u. so glücklich hatte. Wirklich arbeite ich mitten unter sehr zahlreichen Geschäften, bei einer sehr ausgedehnten Correspondenz, ohne alle fremde Hülfe, selbst nur des Abschreibens, ungleich mehr als wie Sie mich durchaus frei in Paris kannten, u. wie viele Stunden nimmt noch diese einzige Stadt, das Besuchen der Reste des Alterthums u. s. f. hinweg.
Adieu, mein theurer Freund. Leben Sie wohl, u. gedenken Sie immer mit Liebe u. Freundschaft IhresHumboldt.
Fußnoten
- a |Editor| Der plötzliche Tod des ältesten Sohnes, Wilhelm, am 15. August 1803.
- b |Editor| Das Basken-Werk wurde nicht fertiggestellt und
erschien letztendlich nur in Teilen; siehe dazu unten. Als Erstes erschien
1812 die Ankündigung einer Schrift über die Vaskische
Sprache und Nation, nebst Angabe des Gesichtspunctes und Inhalts
derselben.
Die in der zweiten Abteilung der Edition "Wilhelm von Humboldt: Schriften zur Sprachwissenschaft" erschienenen Bände (herausgegeben von Bernhard Hurch: Schriften zur Anthropologie der Basken, Baskische Wortstudien und Grammatik sowie der noch ausstehende dritte Band) rekonstruieren Humboldts Arbeiten zum Baskischen. [FZ] - c |Editor| Erstmals 1920 nach dem Manuskript von Albert Leitzmann in den Gesammelten Schriften publiziert; zuletzt siehe die historisch-kritische Ausgabe in Wilhelm von Humboldt (2010): Schriften zur Anthropologie der Basken, hg. von Bernhard Hurch, Paderborn: Schöningh (= Schriften zur Sprachwissenschaft, 2. Abt.: Die baskischen Schriften, 1. Bd.), S. 103–264. [FZ]
- d |Editor| Zu Grammatik und Wörterbuch siehe Wilhelm von Humboldt (2010): Baskische Wortstudien und Grammatik, hg. von Bernhard Hurch, Paderborn: Schöningh (= Schriften zur Sprachwissenschaft, 2. Abt.: Die baskischen Schriften, 2. Bd.). [FZ]
- e |Editor| Diese Abhandlung wurde erst viel später fertiggestellt und 1820 an der Akademie in Berlin vorgetragen; im Druck erschien sie im Jahr 1822. [FZ]