Wilhelm von Humboldt an Johann Wolfgang von Goethe, 18.08.1800

Paris, 18. August, 1800.

Wirklich mit Schmerzen, mein theurer Freund, warte ich auf eine Antwort von Ihnen oder Schiller, ohne daß ich auch nur die mindeste Zeile von einem von Ihnen erhalte. Ich muß vielmehr zu meinem Aerger erleben, daß alle von Weimar zurückgekommene Franzosen Briefe erhalten, u. ich allein kaum nur unbestimmt u. durch Umwege erfahre, wie es Ihnen geht. Möge das Unglück nur nicht gewollt haben, daß ein Brief von Ihnen verloren gegangen sey. Daß Sie den meinigen, der schon am 30. Mai von hier abging, empfangen haben, weiß ich durch Fr. v. Wollzogen. An Schiller schrieb ich etwas später am 16. Iunius.

Heute, mein Lieber, sage auch ich Ihnen nur wenige Worte. Leider spricht die Beilage nur zu viel. Ich hätte sie Ihnen längst schicken können, aber ich wartete immer auf Briefe von Ihnen u. zögerte von Posttag zu Posttag.

Seitdem ich mich hier mehr damit beschäftigt habe, die Spanischen Reisebeschreibungen durchzulesen, ist der Entschluß auch etwas einer Reise Aehnliches zu machen, ernsthafter in mir geworden. Ich habe überlegt, daß meine Vorgänger mir noch viel übrig gelassen haben, u. daß ich immer ein interessantes Bändchen liefern könnte. Indeß habe ich sie alle mit großer Sorgfalt gelesen, es fehlen mir nur wenige, die ich mir hier nicht verschaffen konnte, u. ich werde schlechterdings nur die Punkte berühren, über die ich etwas Eignes sagen kann.

Ein solcher war der Monserrat, von dem Sie hier eine Beschreibung empfangen. Er ist fast von allen Reisebeschreibern nur mit wenigen Worten abgefertigt worden; der neueste, Fischer[a], hat ihn gar nicht besucht. Ich fing also damit am liebsten an, um so mehr weil die zwei Tage, die ich dort zubrachte, wirklich fast die angenehmsten meiner Reise waren. Ueber meine Schilderung sage ich Ihnen nichts; Sie mögen selbst urtheilen. Ich habe – das wird Ihnen der erste Anblick sagen – wenigstens keine Mühe gespart, alles was ich anführte, soviel ich konnte, zu berichtigen.

Diese Gewissenhaftigkeit macht aber eine solche Arbeit in der That saurer als sie anfangs aussieht. Es ist unvermeidlich, historische Umstände zu berühren; die meisten Reisebeschreiber haben bloß sich abgeschrieben, u. verdienen also keinen Glauben. Wer wirklich genau seyn will, muß auf die Quellen zurückgehn, u. dann kostet eine lumpige Jahrzahl, ein einzelner Name, Stunden des Nachsuchens. Doch ist dies nicht zu ändern, u. ich möchte mir hierin keine Nachlässigkeit erlauben.

Meine Reise, wie ich sie im Kopf habe, soll erst einzelne, abgerissene, u. nur geographisch geordnete Stücke, wie das gegenwärtige haben. Ueber die Zahl bin ich selbst noch nicht einig. Aber ich nenne ihnen |sic| nur einige Titel, wie ich sie vorläufig bestimmt habe: Bourdeaux mit seinen Alterthümern, u. Languedoc – die Pyrenaeen, nur ein Nachtrag zu u. über Ramond u. ein Paar Gegenden, deren dieser nicht erwähnt – Biscaya, vorzüglich über die Sprache – Burgos u. bei dieser Gelegenheit etwas über den Cid, dessen Haus man dort zeigt, nach der einzig wahren Geschichte von ihm, die erst kürzlich aufgefunden ist, zugleich mit Nachrichten von einem höchst alten Epischen Gedicht über ihn, das sehr merkwürdig ist, u. der Romanzensammlung, die man über ihn hat – Alt-Castilien überhaupt – bei Madrid, der jetzige Zustand der Literatur, des Theaters cet. – das Maurische Spanien – das Theater zu Sagunt[b] u. s. w. Nach oder vor diesen Stücken möchte ich im Allgemeinen über den Charakter der Spanier gehen, u. dabei in ihre Geschichte, ihre Kunst, ihre Poesie u. s. w. eingehn. Zu diesem Behuf lese ich jetzt soviel Spanisches, als ich nur kann. Endlich würde die Spanische, Valencianische, Catalanische, Tolosanische u. Provenzalische Sprache einen ausführlichen Artikel verdienen. Für diese letzteren Mundarten habe ich interessante u. in Deutschland gewiß seltne Hülfsmittel mitgebracht. Mit allem diesem beschäftige ich mich jetzt unmittelbar.

Die inliegende Beschreibung des Monserrats wünschte ich gedruckt zu sehen. Ich hielte es nemlich für gut, dem Ganzen solch ein einzelnes Stück vorausgehen zu lassen.

Am liebsten wünschte ich freilich, daß es in den Propylaeen erscheine; allein bei aller Güte Ihrer Freundschaft sehe ich keine Möglichkeit dazu ab, weil es auch gar nicht die Kunst betrift.

Aus diesem Grunde, u. in dem nur zu wahrscheinlichen Fall, daß Sie es auch für die Propylaeen nicht schicklich halten, sähe ich es am liebsten im Mercur abgedruckt. Nur müßte es bald oder vielmehr gleich, u. ohne Abänderung, wo möglich auch ohne Abbrechung in Einem Stück erscheinen.

Wenn ich sage: ungeändert|,| so heißt das nur nicht von einem andern, als Ihnen verändert. Denn Sie bitte ich viel mehr selbst zu urtheilen, 1. ob das Ding des Drucks werth ist, dann ob es nicht hie u. da geändert werden muß; in diesem letzteren Fall nehmen Sie wohl diese Aenderungen gleich u. ohne Weiteres vor. So überlasse ich es ganz Ihnen, ob Sie nicht z. B. den ganzen Eingang bis an die Worte S. 3: „Für heute wünsche ich Sie cet. u. dann die Legende Guarins S. 12. streichen wollen.

Daß ich dem Stück die Einkleidung eines Briefes an Sie gegeben habe, verzeihen Sie mir hoffentlich, theurer Freund, u. erlauben mir auch wohl dieselbe Freiheit für das Ganze. Ihr gütiger Antheil hat mich nach Spanien hin begleitet, Sie haben mir dahin geschrieben, ich habe Ihnen einen Theil meiner Reise schon früher geschildert, Sie wünschten den Rest – lassen Sie diese Ansprüche hinreichend scheinen, um Ihren Namen einer Schrift vorzusetzen, der Sie wirklich großentheils das Daseyn gaben, weil ich, ohne Ihren Wunsch, mehr durch mich von Spanien zu wissen|,| vielleicht weniger sorgfältig im Schreiben meines Tagebuchs gewesen wäre.

Was macht Schiller? was machen Sie? Schreiben Sie mir ja noch hieher, unter der alten adresse (rue et boulevard de Bondy, nr. 42.). Meine Abreise verzögert sich leider. Meine Frau, die Sie herzlich grüßt, ist nicht ganz wohl. Die Blattern gehen hier herum, u. wir fürchten für unsre Kleine[c]. Wir möchten sie gern noch einimpfen lassen. So sehen Sie, mein Lieber, verzögert sich unsre Abreise noch immer leicht um 6–8 Wochen.

Grußen |sic| Sie Schiller herzlich u. wünschen Sie ihm Glück zu seiner Dramatischen Fruchtbarkeit. Aber sagen Sie ihm|,| daß er seine alten Freunde nicht vergessen soll. Auch der Wollzogen u. Schillern, u. vor allem Meyern viel Schönes.

Wir sehen hier sehr oft ein Fräul. Fouquet|,| deren Aeltern noch bei Ihnen sind. Sie gefällt mir sehr, u. wir reden schon sehr oft von Weimar.

Möchte ich nur bald unter Ihnen allen seyn. Von Herzen Adieu.

Ich lege eine Zeichnung des Bildes von Guerin, Marcus Sextus bei, das im vorigen Jahr ausgestellt war, u. so viel Lärm machte. Diese Zeichnung macht alle Beschreibung überflüssig, u. ich schicke sie Ihnen zu beliebigem Gebrauch. Sie ist von Tiek, von dem ich Ihnen schon schrieb.[d]

Eben dieser läßt Ihnen sagen, daß das Kabinet der Florentinischen Handzeichnungen, von dem Sie in den Propylaeen reden, nicht von den Franzosen genommen worden ist.

Dieser Brief wird sehr viel Postgeld kosten. Aber haben Sie die Güte|,| es anzumerken, damit ich es ersetzen kann. Ich bitte Sie sehr ernstlich darum. Auch unter Freunden kann man ja Geschäfte, wie Geschäfte abmachen, u. warum soll Ihnen meine Schriftstellerei Geld kosten. Noch einmal adieu!

Mit Beschämung habe ich gesehen, welch einen breiten Platz Ihre Güte mir im 5t Stück Propylaeen verstattet hat.

Fußnoten

    1. a |Editor| Gemeint ist Fischers Beschreibung einer Reise von Amsterdam über Madrid und Cadiz nach Genua in den Jahren 1797 und 1798, erschienen im Jahr 1799. [FZ]
    2. b |Editor| Siehe dazu Humboldts Text über das antike Theater von Sagunt. [FZ]
    3. c |Editor| Die zweite Tochter Adelheid war am 17. Mai 1800 in Paris geboren worden.
    4. d |Editor| Siehe hierzu Boris Roman Gibhardt (2011): Goethe und Paris. In: Andreas Beyer – Ernst Osterkamp (Hrsg.): Goethe-Handbuch Supplemente, Bd. 3: Kunst, Stuttgart: Metzler, S. 173f., mit Abb. 33 auf S. 174. Die Zeichnung befindet sich heute in der Klassik Stiftung Weimar, Inv.-Nr. GHz/Sch. I. 318, 976. [FZ]