Wilhelm von Humboldt an August Wilhelm von Schlegel, 01.11.1821
Berlin, den 1t Novbr. 1821.Ew. Hochwohlgeboren haben mir durch Ihren ausführlichen und lehrreichen Brief vom 23t Julius eine Freude gemacht, für die ich Ihnen nicht genug danken kann. Ich bin dadurch an die Zeit erinnert worden, in der wir uns so oft über wissenschaftliche Gegenstände zu unterhalten pflegten, und in die ich mich immer so gern zurückversetze. Damals geschah es freilich mündlich. Allein bis ich vielleicht wieder einmal das Vergnügen habe, in Ihrer Nähe zu seyn, erlauben Sie wohl, daß ich mir schriftlichen Ersatz verschaffe. Ich bitte Sie, an die Beantwortung meiner Briefe immer nur dann zu denken, wenn es Sie von gar nichts anderem wichtigeren zurückhält.
Ich danke Ihnen vor Allem für Ihre Beantwortung meiner Fragen über das Sanscrit. Ich habe den ganzen Sommer nichts Anderes getrieben, und daher wenigstens mehr Fortschritte gemacht, als im vergangenen Winter. Es schien mir nöthig, einmal eine große Zeit dem Studium zu widmen, um mich wenigstens in den Anfangsgründen fester zu setzen. Ihr Specimen sah ich im Frühjahr nur einige Augenblicke, und konnte es mithin mit keinem andern Druck vergleichen. Der Totaleindruck der Schrift schien mir aber sehr gefällig. Ich kann zwar nicht sagen, daß ich in den Typen, die Wilkins gebraucht, etwas vermisse. Wer sich aber so genau, wie Ew. Hochwohlgeboren, gerade mit diesem Gegenstand zu beschäftigen Veranlassung hat, dem mag doch vielleicht manches der Umänderung bedürftig scheinen. Der Calcutter Druck im Wilson ist freilich schwieriger, und man hat anfangs Mühe, einige Zusammenziehungen zu erkennen. Doch überwindet man diese Schwierigkeit bald, und die Schönheit und Deutlichkeit des Devanagari Alphabets ist wirklich ein rechter Trost bei den mancherlei Mühseligkeiten des Sanscritstudiums. Einige orthographische Punkte scheinen mir erheblicher. So zB. denke ich, werden Sie, so wie Wilkins thut, die Nasalbuchstaben, da wo sie durch anusvārah ausgedrückt werden können, mit einem solchen schreiben. In Wilson steht das ∸ nur vor der Classe der Consonanten, die keine eigene Nasalbuchstaben haben. Vor den übrigen aber braucht er den ihnen eigenthümlichen Nasalbuchstaben. Dies giebt aber höchst unangenehme Figuren und Consonantengruppen, und ist auch insofern nicht gut, daß, da doch nicht jeder Nasalbuchstabe in dieser Stellung in anusvārah verwandelt werden kann, man hierin ungewiß bleibt. Manchmal ist er sich selbst hierin ungleich. So schreibt er {saṅgraha} und {saṃgrahaṇo} obgleich das eine und andre Wort mit der gleichen Präposition zusammengesetzt ist.
In solchen Dingen, wo verschiedene Herausgeber verschiedene Methoden befolgen, ist eigne vernünftige Wahl nothwendig. Wo aber die angenommene Methode constant ist, da halte ich es auch für besser, ihr zu folgen, wie sonderbar, und für den Anfänger verwirrend sie auch seyn mag. So in der wunderbaren Stellung des Mittel-r, zB {nirghoṣaḥ} (oder wie man auch findet {nirghoṣaḥ} wo die natürliche Art zu schreiben {nirghoṣaḥ} wäre, in der ganz grundlosen Vorsetzung des kurzen i, in der Unterbrechung der oberen Linie in der Mitte des Worts, wenn ein visarga (durch Verwandlung eines End-r) in dasselbe tritt, zB. {duḥkha} (doch wohl zusammengesetzt aus {dur} und {khai})[a], und andrer offenbarer Composita aus {dur} und {nir}, endlich in denjenigen Wortzusammenziehungen, die, ohne alle Lautveränderung, nur orthographisch sind, wie wenn auf ein Wort, das in einem Consonanten endigt, der gar nicht verändert wird, ein mit einem Vocal anfangendes folgt. Ob man Wortabtheilungspunkte in gedruckten Büchern, ausgenommen in Elementarwerken, machen sollte? darüber bin ich auch sehr zweifelhaft. Bopp hat die Güte gehabt, mir einen Theil meines Exemplars des Nalus so zu bezeichnen, und es hat mir allerdings zu einer ungemeinen Erleichterung gedient. Allein in einigen Fällen wird das Anbringen der Punkte sehr schwer, und beim Lesen verwirren sie manchmal doch. Der Sprung im Uebergang zu den Manuscripten wäre auch davon zu groß. Wirklich gehört die Schwierigkeit, die richtige Abtheilung der Wörter zu treffen, auch nicht zu den größesten im Sanskrit. Ich lese jetzt, und ohne Hülfe einer Uebersetzung, den Hitopadesa, und verstehe natürlich für mich allein, bis ich Bopp fragen kann, vieles nicht. Aber in der Wortabtheilung irre ich sehr selten.
Ich stimme ganz mit Ihnen darin überein, daß sowohl der Nominativus sing. als die 1. p. s. pr. in mehreren Sprachen Beugungsbuchstaben haben, und vielleicht in allen haben sollten, und daß daher die Sanscritsprache mit ihren Wurzeln von dieser Seite so abweichend nicht ist. Eigenthümlich aber ist ihr immer, daß diese Erscheinung in ihr so constant ist, wie, meines Wissens, keine andre Sprache sie zeigt, und daß auch die reinen Wurzeln doch die vollständige Form von Wörtern haben. Wo die grammatische Ausbildung nicht nothwendig durch den Sinn gefordert wird, wie dies zB. beim Nominat. sing. der Fall ist, für den es hinlängliches Unterscheidungszeichen wäre, daß er keinen Flexionsbuchstaben hätte, und der, wenn man die Flexion meistentheils aus Agglutination erklärt, nicht |Humboldt| wie |Schreiber| die andren Casus, eine Präposition zur Beugungssilbe haben könnte, sondern nichts als den Nom. des pron. demonstr. oder den Artikel (wie denn das Sanscrit auf den Nominativus sehr oft noch {saḥ} folgen läßt) da muß man wohl annehmen, daß diese grammatische Ausbildung einer späteren Zeit angehört. So hat es mir daher schon längst geschienen, daß jede Sprache aus einem ungeformt gebliebenen, und einem durchaus geformten Theile zusammengesetzt ist. Im Griechischen zB. gehören die 1t u 2t decl. ganz dem geformten, die 3t nur zum Theil an. Im Sanscrit ist der ungeformte, wie es mir scheint, ganz neben dem geformten in den Wurzelwörtern aufbewahrt worden, der ungeformte ist aber in vielen Fällen in die Neutra übergegangen. Im Sanskrit steht der sogenannte crude state im genauesten Zusammenhange mit dem grammatischen System der Zusammensetzung, und dies mag auch ein Grund seyn, daß jener crude state sich so vollständig erhalten hat. Im Griechischen ist es allerdings auch der Fall, daß die composita nur die Wurzel des Worts aufnehmen, wie οἰκο-νόμος, im Deutschen ist darin eine wunderliche Inconsequenz. Aber im Griechischen ist, und ich glaube zu gutem Glück, nur ein kleiner Theil der Sanskrit Zusammensetzungen geblieben. Diese sind oft nur am crude state der |Humboldt| Wörter |Schreiber| kenntlich.
Ich erwähnte erst der Flexion und Agglutination. Ich gestehe daß ich niemals habe Ihres Bruders Meinung theilen können, der durch dieselben zwei Gattungen von Sprachen feststellen wollte. Mir ist bis jetzt wenigstens noch keine Sprache ohne Agglutination vorgekommen. Ich glaube jedoch, daß es in einigen Sprachen auch (wenn gleich in wenigen Fällen) wahre Flexion geben mag, unter der ich eine durch den Sprachinstinct getroffene Wahl eines Buchstaben verstehe, der durch seine materielle Natur dem durch das zu bezeichnende grammatische Verhältniß ausgedrücket |sic| Begriff entspricht. So hat der Dativ in mehreren Sprachen einen sich bestimmt auszeichnenden, die Aufmerksamkeit an sich reißenden Ton (i im Griechischen und Lateinischen, m im Deutschen, {e} in der allgemeinen Declinationsform des Sanskrit) ferner der Conjunctiv und Optativ, die etwas noch Ungewisses andeuten, im Griechischen und Deutschen meist dunkle, schwebende Diphthongen. An Flexion dagegen in dem Sinne, daß man grammatischen Verhältnissen willkührlich unterscheidende Zeichen gegeben habe, glaube ich nicht. In Lumsden’s Persischer Grammatik, der sonst über die allgemeine Grammatik Einiges bisher wenig Erkannte hat, kann ich den dahin einschlagenden Behauptungen nicht beistimmen. Etwas so Absichtliches könnte nur von Grammatikern herrühren, die ihre Commenta hernach allgemein zu machen gewußt hätten. Solche Fälle können aber nur selten gewesen seyn, da die Sprache, ihrer Natur nach, vom Volke ausgeht.
Die sichtbare Ableitung so vieler Wörter aus ganz einfachen Wurzeln, worin die meisten Substantiva als Anwendungen von Adjectiven auf bestimmte Fälle erscheinen, macht das Studium des Sanskrit unendlich interessant und wichtig. Was in andern Sprachen schon größtentheils verdunkelt ist, ist hier noch sichtbar. Wenn man aber annehmen muß, daß die Nation, solange das Sanskrit noch eine lebende Sprache war, diesen Zusammenhang fühlte, und die Substantiva sehr häufig nur als Epitheta perpetua behandelte, so ist die Frage, ob dies dem Gebrauch der Sprache zur Ideenentwicklung heilsam war. Es bereichert und belebt zwar von der einen Seite, aber kann auch verwirren. Denn das Denken ist bestimmter, wenn das Wort, ohne Nebenbegriff, nur als Zeichen der Sache erscheint.
Ueber die tempora bin ich sehr begierig auf Ew. Hochwohlgeboren Entwicklung und Bestimmung. Wilkins klagt p. 649. daß die 3. praet. und 2. fut.[b] ohne Unterschied gebraucht werden, und Bopp sagte mir dasselbe. Sie scheinen aber in |Humboldt| ihnen |Schreiber| ein fest bestimmtes Imperfectum perfectum und Aorist zu finden. Ich vermuthe, daß Ihnen das 1t praet. der Aorist ist. So wenigstens steht es im Anfang des Nalus im ersten Vers. Dann aber bin ich in Verlegenheit, ob das 2. das Imperfectum und das 3. das Perfectum, oder umgekehrt ist. Allein selbst ob das 1. Praet. gerade immer Aoristbedeutung hat, ist mir sehr zweifelhaft, wenn ich auf die Stellen Acht gebe, wo bald dies, bald das zweite gebraucht wird. So kommen beide hinter einander im Nalus p. 166. sl. 6. 7. und zwar von demselben Verbum vor, wo der Sinn nur Aoristen fordert, und wo es sehr gekünstelt seyn würde, etwa das 2. praet. dem Sinn nach, für ein Imperfectum, oder das erste für ein Perfectum auszugeben. Zwischen den ewig vorkommenden {uvāca} und {abravīt} kann ich keinen Unterschied des Sinns einsehen, der in fast allen Fällen, wo beide gebraucht werden, der des Aorists ist. Von {brū} giebt es freilich kein 2. praet. allein doch ein erstes von {vac}. Es hat mir schon geschienen, obgleich ich zu wenig gelesen habe, dies beurtheilen zu können, daß es Verba giebt, bei denen mehr das erste, und andre, bei denen mehr das 2.t Praet. im Gebrauch ist. Wenn ich ganze Stellen, wo die Praeterita wechseln, vergleiche, finde ich mich auch nicht heraus. ZB. mag die Rede der Damayantia im 21. B. des Nalus dienen. Hier scheinen wohl die Verba sl. 16. Imperfecta seyn zu können, weil die Handlungen des Wehklagens, des Besteigens des Wagens und des Sehens einander begleiten, und noch fortwährende, unvollendete scheinen. Liest man aber weiter, wird man wieder irre. Denn {pratijagrāha} sl. 20. steht nicht in solcher Verbindung, sondern ist, dem Sinne nach, ein Aorist. In sl. 23. hat jedoch das 2. Praet. den Sinn des Imperfectum, er wußte es noch fortwährend nicht, dagegen steht sl. 26. dasselbe tempus wieder als Aorist. Hierin gestehe ich, sehe ich noch wenig klar. Bei den fut. unterscheiden Sie, wie ich sehe, ein remotum und proximum, wie auch Wilkins thut. Diese gehören dann wohl dem Aorist und der währenden Handlung an, und die futura der vollendeten, und künftigen werden vermuthlich nur durch Zusammensetzungen angedeutet. Ich habe bemerkt, daß die sogenannten wilden Sprachen sehr genaue Unterschiede der tempora haben. In der Mexicanischen Sprache findet man sehr bestimmt bald einfache, bald zusammengesetzte Formen für alle 12 tempora des Indicativus.
Die mehreren Imperative des Griechischen scheinen Ihnen ein Luxus zu seyn. Dies möchte ich nicht zugeben. Zwar stimme ich Ew. Hochwohlgeboren ganz darin bei, daß es vom Imperativus nicht alle tempora geben kann, allein mehr, wie Einen, müßte eigentlich jede vollständig organisirte Sprache haben. In den Grammatiken, auch den so genannten allgemeinen, finde ich allerdings darüber nichts. Allein der Natur der Sache nach, ist ein Imperativus weder von der vergangenen Zeit (für die das Befehlen nicht mehr nutzen |sic| haben kann) noch von der künftigen (denn der ganze Imperativ ist schon auf die Zukunft berechnet) |Humboldt| nothwendig. |Schreiber| Er beschränkt sich also auf die gegenwärtige; kann aber auch in dieser soviel Tempora haben, als es tempora der gegenwärtigen Zeit giebt. Dies nun sind vier, und es giebt mithin Imperative der gegenwärtigen Zeit 1, der währenden Handlung, die man gewöhnlich Imp. praes. nennt, τύπτε, 2, der vollendeten Handlung, τέτυφε, habe das Schlagen vollendet, habe deine Lection heute Abend fertig gelernt, 3., der noch anzufangenden Handlung, µέλε τύπτειν, facturus es, obgleich im Lateinischen diese Zusammenstellung nicht üblich ist, 4., einer Handlung überhaupt, ohne daß darauf gesehen wird, ob man ihren Anfangs: Mittel: oder Endpunkt meint, (Aorist der Gegenwart) τύψον. N.° 2. und 3. unterscheiden sich so bestimmt durch ihre Bedeutung von N.° 1. daß über sie kein Zweifel seyn kann. Allein auch zwischen N.° 1. und 4. ist der Unterschied nicht chimärisch. Bei N.° 1. wird bestimmt auf den Zeitraum der Handlung, und die Zeit gesehen, in N.° 4. waltet der Begriff der Handlung (unabhängig von dem Punkt, in dem sie steht) und die Idee des Müssens vor. Sie sagen, die Lateiner hätten nur Einen Imperativ. Zwei Formen aber haben sie offenbar, ama und amato. Sie nehmen vermuthlich diese beiden für Imperat praes. Allein in den gewöhnlichen Grammatiken heißt amato Imperat. fut. Hiergegen spricht schon die Etymologie. Indeß können doch schwerlich ama und amato gleichgültig gebraucht werden. Lassen Sie uns die Stelle des Terenz Eun. III. 5, 48. nehmen: ubi nos laverimus, si voles, lavato. Im Deutschen könnten wir nur sagen: so bade dich. Allein ob an dieser Stelle lava gleich lateinisch wäre, zweifle ich, obgleich allerdings im Vers vorher facito auf derselben Linie mit cape steht. Einen Unterschied zwischen beiden Imperativen nehmen alle Grammatiker an, ob er gleich nicht an jeder Stelle beobachtet seyn mag, und beide auch mögen verwechselt werden. Die eigenthümliche Bedeutung des sogenannten Imper. fut. scheint mir die zu seyn, daß er mehr Gewicht auf das Müssen, oder Mögen, als auf die unmittelbar zu vollstreckende Handlung legt, und daher auch von allem gebraucht wird, was eine ganze Dauer hindurch beobachtet werden soll. Daher ist er die gewöhnliche Gesetzessprache im Lateinischen, (wo die Griechen aber den Imper. praes. brauchen) und drückt auch das Mögen aus, wie bei Cicero: sexcentas mihi scribito dicas, nihil do. Damit setze ich in Verbindung, daß nur er, nicht aber der eigentliche Imper. Praes. eine dritte Person hat. Denn im wahren Imperativ ist, wie auch Bernhardi in seiner allgemeinen Sprachlehre auseinandersetzt, die 3. Person nur durch einen Umweg zu erklären. Der Umstand, daß dieser Imperat. eine, sich in die Zukunft erstreckende, währende Handlung andeutet, und Stellen, wie die des Terenz, mögen die Veranlassung zu der Benennung des Imper. fut. gegeben haben. Er folgt dort auf ein Fut. und es geht ihm sogar ein Perfectum vorher. Ich würde ihn aber einen Imper. Praes. nennen, der aber meistentheils in Bedeutung eines Aorists, nemlich eines Aorists der Gegenwart, gebraucht wird. Daß die Nüance dem lateinischen Ausdruck eine Schönheit mehr giebt, die wir, ohne schleppend zu werden, nicht nachahmen können, ist gewiß. Im Griechischen sind bestimmt drei einfache Imperat., des Praesens, des Perfect, des Aorists. Ob es von einigen Verben noch einen des Fut. giebt, discutirt Buttmann in seiner ausführlichen Sprachlehre p. 418–420. Der Bedeutung nach, können nun, meiner Meinung nach, diese alle vorkommen. Allein die Schwierigkeit ist, daß der Aorist, welcher einen Imperativ hat, im Griechischen eine vergangene Zeit anzeigt, die beim Imperat. viel weniger denkbar ist, als die zukünftige. Ist ein künftiger Imperativ auch nicht nothwendig, so ist er doch möglich, und die wirklichen Sprachen können vieles haben, was allgemeinen Begriffen nach, nicht gerade erfordert wird. So könnte eine Sprache einen Imperat. Praes. haben für die gleich auszuführenden Befehle, und einen Fut. für die Fälle, wo, wie in jener Stelle des Terenz, die Phrase selbst angiebt, daß der Befehl nur |für| die Zukunft gilt, und von Bedingungen abhängig ist. Lavato, als Imper. fut. (wenn es einen solchen gäbe) würde doch in jener Stelle nicht durch lavaturus es zu ersetzen seyn. Auch fut. prox. und rem. kennt die allgemeine Grammatik nicht in der aus reinen und nothwendigen Begriffen fließenden Eintheilung der tempora. Dennoch giebt es beide in mehreren Sprachen. Aber für die Vergangenheit ist ein Imperat. mir nicht denkbar. Soviel ich aus den Beispielen sehen kann, wird der Imperat. Aoristi im Griechischen sehr oft wirklich mit dem Imperat. Praes. als ganz gleichbedeutend gebraucht. So die epischen Imperative ὄρσέο, οἶσε. Allein oft auch ist gewiß ein bestimmter Unterschied zwischen dem Imperat. Aoristi und dem des Praes. Jener hat nemlich wirklich die Bedeutung des Aorists, daß bei ihm auf keinen Punkt des Zeitraums gesehen wird, welchen die Handlung einnimmt, sondern nur darauf, daß sie geschehen muß, und vorzüglich dann, daß sie dauernd, fortwährend geschehen soll. Am offenbarsten ist dieser Sinn in der eigenen Art, den Imperativ auf abhängige Weise zu stellen, wie οἶσθ’ ὡς ποίησον. Da hier der Befehl nicht auf absolute Weise, wie im Indicativus, sondern auf relative, wie im Conjunctivus, steht, so könnte wohl hier der wahre Imper. Praes. nicht statt finden, der immer das wirkliche Thun zum Augenmerk hat, wogegen in dieser Redensart nur auf das Müssen überhaupt, nicht auf den Zeitpunkt der Vollstreckung gesehen wird. Den Imperat. Perf. will Buttmann nur in der 2. Person und nur in dem einzigen γέγονε bei Euripides gefunden haben, wo |Humboldt| er |Schreiber| den Sinn eines Praesens hat, und offenbar auch Praes. einer eignen Form |Humboldt| γεγώνω |Schreiber| ist. Auch von der 3. Person kennt er keine Beispiele im wahrhaft prägnanten Sinn des Perfect. Doch kann dies bloß daher kommen, daß sich in den uns gebliebenen Schriftstellern nicht der an sich seltnere Fall findet, der diesen Sinn mit sich bringt.
Ich habe dies mehr ausgeführt, um die Sprachen zu rechtfertigen, die mehrere Imperative haben, als um das Sanscrit wegen seines einfachen zu tadeln. Denn wenn es gleich hier einige tempora zu wenig hat, so sind dieselben auch in der That entbehrlich. Auf der andren Seite aber hat es gerade im Imperativ einen Luxus, wie Sie es nennen, der mir minder verzeihlich scheint, nemlich eine 1. Pers. des Singularis. Diese gehört wirklich zu den Unmöglichkeiten, und ist auch wohl nur ein Werk der Grammatiker. Auch die Imperativform der 1. Person des Pluralis läßt sich nur darum eher vertheidigen, weil man sie, wenn auch nicht der Form, doch dem Sinn nach, wenigstens für die mit dem Ich verbundenen Personen, als eine zweite, ansehen kann. Unser: gehen wir, liebe ich auch nicht; doch kann man dies auch für einen Conjunctiv, wie eamus, nehmen.
Die Nachricht über die Sanskrit Manuscripte der Propaganda hoffe ich Ihnen gewiß durch Niebuhr zu erhalten. Wir schreiben uns zwar selten, er ist aber in regelmäßigerem Briefwechsel mit meiner Frau, und ich werde die Gelegenheit des ersten Briefes an ihn benutzen.
Ich danke Ew. Hochwohlgeboren ausnehmend für Ihre Bemerkungen über das Vaskische, die sehr vielen Werth für mich gehabt haben. Es war in dieser Schrift nicht meine Absicht, den Ursprung der Sprache selbst zu entwickeln, oder nur etwas eigentlich Haltbares darüber zu sagen. Ich habe bloß angedeutet, inwiefern dies mit meinem Gegenstand zusammenhängt, habe es aber künftiger Untersuchung vorbehalten. Nur zwei Punkte erlauben Sie mir hier zu berühren.
1., Das Vaskische ist wirklich eine eigne Sprache, und zwar eine ältere als die Griechische und Lateinische in der uns bekannten Form. Sollte dies bloß aus den Wörtern bewiesen werden, so würde ich |es| nicht so entschieden behaupten. So eigenthümlich auch die Masse der Wörter im Ganzen klingt, und ist, so muß man immer in solchen Aeußerungen behutsam seyn. Da man nicht alle Sprachen kennt, nur wenige gleich genau, und da ja viele Wörter der bekannten, und ganze Sprachen untergegangen seyn können, so ist es unendlich schwierig, alle andre Möglichkeiten abzuschneiden, und zu sagen: so ist es. Allein der grammatische Bau kann nicht trügen. Er ist über allen Zweifel hinaus original, und so alterthümlich, so sehr den Sprachen, die noch wenig Veränderungen erlitten haben, ähnlich, daß dies allein entscheidet. Da nun die Wortformation diesem Bau entspricht, so beweist dies schon indirect auch für die Wörter, und man hat nunmehr doppelten Grund die wahrhaft eigenthümlichen dieser für ursprünglich Vaskisch zu nehmen.
2. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß es im Vaskischen Griechische, Lateinische, Deutsche und vermuthlich noch Wörter andrer Sprachen giebt. Ist man aber einmal überzeugt, daß die Sprache keine bloße Mengsprache, wie etwa das Romanische und Wallachische ist, sondern eine eigenthümliche, so kann die Frage nur die seyn, ob alle Wörter solcher Art nur in die Sprache als fremde aufgenommen worden sind, oder ob einige, und mehrere wirklich ursprünglich beiden Sprachen angehört haben, und daher eine Verwandtschaft beider beweisen.
Der erste Fall findet offenbar bei mehreren dieser Wörter Statt. Zamaria, Pferd, ist nichts, als das Saumarius des Mittelalters. Dahin möchte ich auch tala in einigen Ortnamen Talori, Talamina, Talabriga (m. Schrift 53.) von talare, schneiden verwüsten, rechnen, und es thut mir leid, dies nicht, als ich die Schrift drucken ließ, bedacht zu haben. Allein alle mehreren Sprachen gemeinschaftliche Wörter sind nicht von dieser Art. Das Urtheil über ein einzelnes kann sehr zweifelhaft seyn. Ein sichres Kennzeichen scheint es mir aber, wenn das Wort im Vaskischen eine ausgebreitete Familie ausmacht. Denn dies ist der Fall niemals bei bloß aus einer andren Sprache adoptirten Wörtern. Dies nun ist der Fall bei der Wurzel men- mon- die ich mit mons verglichen habe. Daß das Vaskische |Humboldt| mendia und mons eine |Schreiber| innere (d. h. dem Nebeneinanderwohnen von Vasken und Römischen Provincialen längst vorhergegangene) Verwandtschaft beweist, halte ich für gewiß. Mons von movere abzuleiten, gestehe ich, würde mir nie einleuchten. Ein Berg ist, wie das Sanskritische {naga} bezeugt, sehr wenig beweglich, und wenn Sie an Emporstreben erinnern, so legen Sie das Charakterisirende erst in movere hinein, welches es an sich nicht hat. Ueberhaupt würde ich solchen Etymologieen nie Raum geben. Es mögen allerdings einige und viele Wörter wirklich so entstanden seyn, wenn man aber ihnen auf diesem Wege nachgehen will, so erhält die Phantasie ungeheuren Spielraum, und den ihr abzuschneiden, muß gerade der Zweck des etymologischen Studiums seyn. Wollte man |Humboldt| dennoch |Schreiber| eine solche Ableitung annehmen, so würde mir mons eher a manendo herzukommen scheinen. Das o ist darin kein bedeutendes Hinderniß, da von µένω µέµoνa gebildet wird. Ob nun aber die Vaskische Sprache diese Berg-bedeutende Wurzel der Lateinischen oder umgekehrt dankt, ist noch immer eine zweite Frage. Nur weil die grammatische Structur des Vaskischen alterthümlicher als die des Lateinischen ist, und weil die Iberer, meiner Meinung nach, einmal Urbewohner Italiens waren, glaube ich freilich das Letztere. Ueber campoan und campus möchte ich nicht so entschieden sprechen. Nur fiel mir auf, daß gerade die Bedeutung Feld im Vaskischen wenig, oder nicht vorkommt, aber viel mehr die weitere von draußen, und daß fremde Wörter weniger einheimische Suffixa erhalten. Die von Ihnen angeführten Beispiele sind aus Töchtersprachen hergenommen, in diesen sind sie natürlich häufig. Allein da verändert sich auch der Begriff des Fremden gänzlich, und eine Lateinische Tochtersprache kann man doch die Vaskische auf keinen Fall nennen. Bei murus hat man die Wahl zwischen dem Grundbegriff von μείρειν (schneiden, trennen, den aber das Verbum nur noch in der Ableitung theilen hat) und dem vom Vaskischen murua, Haufe, pile. Mir scheint der letztere natürlicher auf Mauer zu leiten, allein bestehen möchte ich nicht darauf. Ist ein Wort nicht bloß in einer sondern in mehreren Sprachen vorhanden, so kann auch dies ein Moment zur Beurtheilung an die Hand geben. So würde ich nicht bestreiten, daß landa, (verm. die Französischen Landes), vom deutschen Land, im Vaskischen wohl Gothischen Ursprungs seyn könne. Aber von erria, Erde, würde ich dies, nicht leicht zugeben, da die Wurzel sich auch im Griechischen findet. Die Aehnlichkeit von Silber und cillarra ist auch mir oft aufgefallen. Aber was für den Vaskischen Ursprung zeugt, ist die Vaskische Etymologie selbst. Ciloa, auch zuloa (wovon viel abgeleitete Wörter kommen) heißt Loch, Grube, arra ist die gewöhnliche Adjectivendung, also das, was aus der Grube kommt, der allgemeine Begriff der Metalle auf ein einzelnes angewandt. Ciloa und zuloa erinnern wieder an Siehl, Canal, andre Ableitungen und Umänderungen von Sahl und das lateinische Sulcus, wenn dies nicht von ἕλκω kommt. Kurz man stößt so oft auf gemeinschaftliche Urwörter, daß man auf eine sehr tief im Alterthum verborgen liegende Verwandtschaft dieser Sprachen geführt wird. Ob urrea ein einheimisches Wort, oder das lateinische aus dem Griechischen (wie es scheint) herkommende aurum ist, läßt mich zweifelhafter. Oritu, heißt blaß werden, oria, gelb, gorra, roth. Eisen, um dies hier mit zu erwähnen, hat einen ganz Vaskischen Namen burnia, burdina, eben so Blei, beruna, Kupfer nur einen abgeleiteten, urraida, goldähnlich. Metall heißt menasta von den engen Gängen der Gruben.
Nach Anführung dieser einzelnen Beispiele gestehe ich Ew. Hochwohlgeboren daß ich über diese ganze Materie der Verwandtschaft der WestEuropäischen Sprachen noch keine bestimmte Meinung definitiv gefaßt habe. Meine Ueberzeugung ist vielmehr, daß man noch gar nicht einmal die Data darüber urtheilen zu können, besitzt. Wer aber etwas wahrhaft Erschöpfendes darüber unternehmen will, muß nachdem er sich sichre Grundsätze gebildet hat, außer dem Deutschen, Griechischen und Lateinischen Sprachstamm die Celtischen Sprachen und das Vaskische, und beide letztere bis auf einen gewissen Grad gründlich kennen, und dann nach einander jede dieser Sprachen durcharbeiten. Bis jetzt giebt es noch keine einzige wahrhaft genügende etymologische Bearbeitung nur Einer Sprache. Alles geht auf einzelne Beispiele hinaus, und ist auch da höchst unbestimmt, weil selten einer nur alle diejenigen Sprachen hinlänglich kennt, die wirklich zusammengehören. Wenn ich etymologischer Bearbeitungen erwähne, so meine ich solche, wie Sie in Ihrem Briefe vom Spanischen anführen, daß man prüfte, wieviel Vas-kische, Lateinische, Arabische, Gothische endlich zweifelhafte Wörter die Sprache besitzt. Auf diese Weise hat man das Griechische und Lateinische noch nicht bearbeitet, und dies ist doch das erste und wichtigste Erforderniß. Die große Menge von Sanskrit Wurzeln und Wörtern im Griechischen, Lateinischen (vorzüglich, wie Sie sehr richtig sagen, auch von unmittelbar empfangenen) und Deutschen leidet keinen Zweifel. Jetzt wäre vor Allem zu untersuchen, ob die Celtischen Sprachen und das Vaskische auch gleich viele Sanskritwurzeln enthalten, oder nicht, und ob also vielleicht zB. das Lateinische zwei verschiedene Stämme, den Sanskritischen und den WestEuropäischen in sich vereinigt. Ich kenne bis jetzt kaum zwei bis drei Sankritwörter im Vaskischen. Aber ich tauge zu solcher Arbeit nicht sonderlich, auch wenn ich mehr Sanskrit wissen werde. Selbst nicht abzuläugnende Aehnlichkeiten entgehen mir zu leicht.
Die origines Italiennes sollten Ew. Hochwohlgeboren nicht aus den Augen lassen. Es ist das wichtigste, und auch am schwierigsten zu behandelnde Land. Aber ich stimme Ihnen ganz bei, daß die Theilung des Griechischen vom Lateinischen eine alte, vermuthlich in Asien geschehene ist. Nichts ist so unrichtig, als die gewöhnliche Vorstellung mehrerer Philologen, die ich lange getheilt habe, daß das Lateinische gleichsam ein Dialect des Griechischen sey. Es hat ursprünglich und unmittelbar aus dem Sankrit geschöpft, und im Abendlande auch neue Zusätze erhalten. Ob es nun, ehe es aus dem Sanskrit schöpfte, oder vielmehr in dem Zustande seiner Einerleiheit oder Verwandtschaft mit ihm, auch schon noch frühere ältere Wurzeln besaß, die sich sonst nirgend finden, und nur ihm angehören, ist eine zu erörternde Frage. Vom Griechischen ist dies offenbar, so wie das Sanskrit wieder eine ganze Masse von Wörtern besitzt, die nicht in das Griechische, Lateinische oder Deutsche übergegangen sind.
Ihre Einladung Ihnen etwas für Ihre Zeitschrift zu schicken, ist mir sehr schmeichelhaft gewesen, und ich werde mich gewiß bemühen, Ihren Wunsch, der vielmehr noch der meinige ist, zu erfüllen. Ich bin nur nicht sehr fruchtbar in eignen Arbeiten, und habe noch weniger das Talent, von allgemeinen Untersuchungen einen Punkt gehörig abzusondern und einzeln zu behandeln. Doch werde ich gewiß diese Schwierigkeiten zu überwinden suchen. Bis dahin bin ich so frei, Ihnen eine schon gedruckte Abhandlung zu übersenden[c], da Ihnen die dicken Bände der Academie vielleicht nicht so bald zu Gesicht kommen. Ich erbitte mir für die Arbeit Ihre nachsichtsvolle Beurtheilung.
Daß Ew. Hochwohlgeboren der Rhein fesselt, begreife ich sehr wohl. Darum schmerzt es mich indeß nicht weniger, daß wir Sie hier entbehren. Ein, doch kleiner Trost dabei für mich ist nur der, daß ich selbst sehr wenig hier bin. Denn sogar im Winter gehe ich oft auf ganze Wochen aufs Land.
|Humboldt| Ew. Hochwohlgeb. werden eine Scheu vor meinen Briefen bekommen, u. es gefährlich finden jemandem zu schreiben, der eine so freie Muße hat, als ich. Ich verspreche Ihnen aber, nie wieder so weitläuftig zu werden. Ihr Brief war aber so reichhaltig, u. berührte so viele meinen jetzigen Beschäftigungen so nahe liegende Materien, daß mich dies gegen meine Absicht verführt hat.
Leben Sie herzlich wohl, u. erhalten Sie mir Ihr gütiges Andenken. Mit der hochachtungsvollsten Ergebenheitder Ihrige,
Humboldt
Fußnoten
- a |Editor| Schließende Klammer ergänzt.
- b |Editor| Leitzmann schreibt: … die 3 Praeterita und 2 Futura …
- c |Editor| Siehe dazu GS IV, S. 437 die Bemerkungen von Leitzmann zur Entstehungsgeschichte des Aufsatzes "Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung".