Wilhelm von Humboldt an August Wilhelm von Schlegel, 19.05.1822
[a] Niebuhr hat mir auf die Anfrage, die ich bei ihm, auf Ew. Hochwohlgebohrnen Veranlassung, that, geantwortet, daß es auf der Vaticana zwar tamulische, allein keine Sanskrit Manuscripte giebt, daß er auf der Propaganda aber noch nachsuchen will.
Eben als ich dies Ew. Hochwohlgebohrnen mittheilen wollte, erhalte ich das dritte Heft Ihrer Ind. Bibliothek, das mir so vorzüglich lehrreich gewesen ist, daß ich mir die Freude nicht versagen kann, Ihnen selbst dafür sogleich zu danken, u. Sie zugleich um Erlaubniß zu bitten, Ihnen einige Fragen dabei vorzulegen.
Die, meinem Urtheile nach, sehr schön geschriebene lateinische Abhandlung hat mich ungemein angezogen, u. ich habe sie mehr als einmal gelesen, da sie mehrere Punkte enthält, die sich auch auf dem Wege meiner Untersuchungen befinden.
Ew. Hochwohlgebohrnen verwerfen p. 283. die Meynung, daß das Bas Breton Celtischen Ursprungs seyn sollte. Allein dürfte das nicht, ungeachtet der von Ihnen an dieser Stelle angeführten Gründe, wirklich der Fall seyn? Möge auch dieser Dialect in seiner heutigen Gestalt erst im 5. saec. von Britannien herübergekommen seyn, so ist die Vorfrage die, ob nicht eben die einheimische Sprache Britanniens Celtisch war? Dies nun ist mir, obgleich ich die Sprachen selbst zu wenig kenne, höchst wahrscheinlich. Denn ich nenne Celtisch nur die Sprache der alten Gallier, u. die Gallischen Ortnamen u. mehrere Gallische Worte der Alten finden in diesen alteinheimischen Sprachen Englands ihre Erklärung u. Ableitung. Ich möchte daher immer dabei bleiben, daß dieser Punkt erst durch fernere Untersuchung dieser Sprachen so weit gebracht werden könne, daß sich ein entscheidendes Urtheil darüber fällen ließe.
Sehr anziehend ist mir S. 285–287. gewesen, was über die
Wichtigkeit des Grammatischen Baues bei Beurtheilung der Sprachabstammung gesagt
ist. Es ist mir, wie aus der Seele geschrieben, u. ich habe in einigen in der
Akademie vorgelesenen Abhandlungen gerade auch
geäußert, daß die grammatischen Eigenthümlichkeiten, als inniger mit der
Denkweise verwandt, nicht, gleich den Wörtern, wandern können. Sehr gewünscht
aber hätte ich, Ew. Hochwohlgeb. hätten diesen Punkt weiter verfolgt u. mehr
ausgeführt. Denn im Einzelnen erheischt er freilich viele, u. zum Theil
schwierige u. feine Bestimmungen, zu denen ich vorzüglich oft jetzt geleitet
werde, da ich mich mit der Untersuchung von Sprachen beschäftige, welche bei
anscheinend sehr ähnlichem grammatischem Bau große lexikalische Verschiedenheit
haben. Zuvörderst muß man wohl verstehen, was man ähnliche, oder
verschiedene Grammatik nennt. Auch bei völliger Gleichheit im Ganzen kann es
große Verschiedenheiten im Einzelnen geben, wie man am Mangel der
Geschlechtsbezeichnung im Englischen (der aber wohl nur aus der flachen,
verwischenden Aussprache herkommt) u.
an
dem Dänischen Passivum sieht. Ferner gehen wohl auch einzelne
grammatische Eigenthümlichkeiten von einem Volke auf das andre über. So dürfte
die Englische Gerundiv Construction, die man gewöhnlich
participium indeclinabile nennt,
it having been cet. nur aus dem Lateinischen, oder Französischen
angenommen worden seyn. Nach vielem Nachdenken hierüber scheint es mir, daß man
weit sicherer aus der grammatischen Beschaffenheit auf die Verschiedenheit, als
auf die Verwandtschaft der Sprachen schließen kann. So ist die Grammatik immer
das sichere Fundament, wor-auf ich mein Urtheil stütze, daß das
Baskische eine eigenthümliche u. Muttersprache ist, u. wenn auch 3/4 ihrer
Wörter mit Recht könnten der Verderbung aus bekannten Sprachen zugeschrieben
werden, würde jenes Urtheil dadurch nicht bei mir wankend werden. Ebensogewiß
ist es, daß, wenn auch das Lateinische
wirklich
Baskische
Wörter u. sogar in großer Anzahl haben sollte, es darum doch immer in keine
nähere Verwandtschaft mit dieser Sprache träte, als die dadurch begründet wird.
Denn es giebt natürlich mehrere Grade u. Arten der Verwandtschaft. Allein für
weit schwieriger halte ich den Schluß auf die Verwandtschaft aus dem
grammatischen Bau, u. wenigstens muß man dabei, dünkt mich, nothwendig genau die
verschiedenen Theile unterscheiden, aus welchem der grammatische Bau besteht.
Man kann darin, meiner Erfahrung nach, unterscheiden: 1. dasjenige, was bloß auf
Ideen u. Ansichten beruht, u. wovon man eine Schilderung machen kann, ohne nur
Einen Laut der Sprache zu erwähnen; z. B. ob die Sprache eigne Verba hat, oder jedes Wort als ein Verbum behandeln kann, ob das Pronomen bloß
den Begriff der Person enthält, oder auch den des Seyns u. dadurch zum Verbum substantivum
wird, ob es ein passivum giebt, oder man das passivum nur wie ein impersonales
Activum behandelt u. s. f. 2. die Technischen Mittel, die grammatischen
Verschiedenheiten zu bezeichnen, ob durch Affixa,
Umlaut, Silbenwiederholung u. s. f. 3. die wirklichen Laute, die grammatischen
Bildungssilben, wie das α privativum, die Substantivendungen u. s. f. Wo die Aehnlichkeit durch
alle drei Punkte durchläuft, ist kein Zweifel über die Verwandtschaft vorhanden.
Allein schwierig wird die Frage da, wo sie sich nur in dem einen, oder anderen
findet? Der letzte hat eine sehr genaue Aehnlichkeit mit der Mittheilung
wirklicher Wörter. Er gehört zum Theil zum lexikalischen Theil der Sprache, um
so mehr, da in allen Sprachen viele Affixa ehemalige
Wörter sind. An sich nicht verwandte Sprachen können daher auch darin
gegenseitig von einander aufnehmen. Das Englische, dessen Grammatik
durchaus Deutschen Ursprungs ist, so viele Lateinische Wörter es auch hat,
besitzt solcher Silben aus beiden Sprachen, wie das privative un und dis, u. viele andre Beispiele beweisen. Es zeigt aber, daß nur un ihm eigenthümlich ist, da es dies auch mit
lateinischen Wörtern verbindet. Dieser Theil der Grammatik scheint mir am
meisten für die Verwandtschaft, oder dagegen zu beweisen, weil er der
speciellste ist, u. die Aehnlichkeit, oder Verschiedenheit daher am wenigsten
allgemeine Gründe haben kann, sondern auf zufälligeren historischen beruhen muß.
Denn darauf kommt doch am Ende Alles zurück, wieviel in dem Sprachbau in
Ansichten gegründet ist, die einen Grad der Allgemeinheit bei dem
Menschengeschlecht überhaupt, oder bei gewissen unter gleichen Verhältnissen
lebenden Nationen haben. Ew. Hochwohlgeb. scheinen dies zwar gewissermaßen zu
verwerfen, indem Sie sagen
a lege
quadam naturae ejusmodi inventa pendere non facile
dixeris
, u. ich bin in der auf diese Stelle folgenden
Behauptung ganz Ihrer Meynung, daß nicht alle Sprachen denselben grammatischen
Gang genommen zu haben brauchen. So überzeugt ich bin, daß es keine Sprache
giebt, in welcher nicht wahre Agglutination eine sehr
große Rolle spiele, so wenig theile ich die Meynung einiger, die alle flexion verwerfen, u. billige noch weniger alle
neuerlich gemachten Versuche der Analyse von Agglutinationen. Es ist daher gar nicht mein System, daß
alle Grammatik ursprünglich ein an einander Reihen wirklicher Wörter gewesen
sey, u. daß dies gedauert habe, bis der Gebrauch die Spuren verwischt habe.
Einiges ist auch ursprünglich nicht ein solches Agglutiniren gewesen, u. nicht bloß in den gebildeten, sondern in ganz
rohen Sprachen, wo z. B. eine Amerikanische Sprache den
Optativ immer durch Verdoppelung des Vocals bildet,
waadehan statt
wadehan,
um die Sehnsucht an-zuzeigen, eine andre bei Bildung des particips den Vocal in einen Diphthongen verwandelt u. s. f. Es ist hernach nicht
bloß die Zeit gewesen die verändert hat, u. nicht jede Nation ist alle Stufen
durchlaufen, sondern einige haben viele übersprungen u. sind sogar auf einem
ganz andren Wege, als der mechanische ist, zum Ziele gelangt. Denn, meiner Art
nach, die Geschichte der Sprachen zu erklären, nehme ich immer die beiden fundamente an: diejenige Sprachentwicklung, die sich aus
allgemeinen Begriffen nachweisen läßt, u. die daher, wie Alles, was wir logisch
verfolgen können, mechanisch ist, nur in der Art mechanisch, als eine
Verrichtung der Intellectualität es seyn kann; u. hernach diejenige Abweichung
von diesem Gange, u. diejenige Abkürzung desselben, welche die Individualität
der Nation bewirkt, die, wenn sie zur Vortreflichkeit führt, genialisch ist, u.
nicht mehr logisch vorausgesehen, oder schrittweise nachgewiesen werden kann.
Indem ich daher wirklich von etwas Allgemeinem in der Grammatik aller Sprachen
ausgehe, was wirklich a lege naturae pendet, bin ich
gegen mehrere grammatische Aehnlichkeiten, die vorzüglich zu |sic|
[b] den oben nr. 1. u. 2. benannten Punkten abhängen in Absicht des
Urtheils über die Abstammung mistrauisch. Indem ich aber im höchsten Grade
anerkenne, daß jene Naturgesetze in den individuellen Geistesanlagen der
Nationen die mannigfaltigsten Bestimmungen finden können, so bin ich weit
entfernt zu behaupten, daß aus den Amerikanischen Sprachen im Verlaufe der Zeit Sanskrit werden müsse, oder daß dieses ehedem müsse
einen solchen Ursprung gehabt haben. Sollte ich daher die Frage, ob bei
Bestimmung der Verwandtschaft der Sprachen mehr auf die Grammatik, oder den
Wortvorrath zu geben sey? beantworten, so würde ich sagen, daß auf der einen
Seite das Urtheil aus der Grammatik sicherer sey, weil sie inniger mit der
Individualität der Nation verbun-den ist, u. nicht leicht von einer
Nation zur andren über wandert, auf der andren aber unsichrer, weil der
grammatische Bau mehr von allgemeinen Bedingungen des menschlichen Denkens
abhängig, u. das Feld möglicher Verschiedenheit minder groß ist. Jedes Urtheil,
das nicht auf diese doppelte Beschaffenheit der Grammatik sorgfältige Rücksicht
nimmt, scheint mir allemal bedenklich. Daß alle Sprachen in Absicht der
Grammatik sich sehr ähnlich sehen, wenn man sie nicht oberflächlich, sondern
tief in ihrem Innern untersucht, ist unläugbar. So ist im Mexikanischen das augm. des perf. o (also ähnlich dem {a} u. dem
ε) so ist in mehreren Amerikanischen
Sprachen die Silbenwiederholung, so giebt es viele Fälle, wo in ihnen das praesens vermöge einer Partikel zur vergangenen Zeit
wird wie im Sanskrit durch
{sma}, oder der Indic. zum Conjunct, wie im
Griechischen durch ἂν und κε, u. s. f. Die Zeit
halte ich übrigens nicht für gleichgültig, u. mehrere grammatische
Verschiedenheiten halte ich wirklich mehr für Folgen der Zeit, als der
Nationalität. Ich beziehe dies vorzüglich auf die Sprachentwicklung, vermöge
welcher aus wirklichen Phrasen wahre Formen werden. Es scheint mir auch ganz
natürlich, daß der menschliche Geist, solange bis durch irgend einen Funken ein
individueller intellektueller Trieb in ihm entsteht, einen instinctmäßigen Gang
verfolgt, der natürlich bei allen Nationen sich sehr ähnlich seyn muß. Richtet
sich der individuell intellektuelle Trieb auf die Sprache mit Macht u. zur Zeit,
wo sie noch biegsam ist, so entsteht nun eine eigenthümliche grammatische Form,
u. die Sprache erleidet nicht mehr große Veränderungen. Erwacht er zu spät, wenn
die instinctmäßige Form schon zu unbiegsam geworden ist, so dringt er nicht mehr
durch sie durch. Dieser ganze Punkt ist in der Sprachuntersuchung so wichtig,
daß Sie mir darum verzeihen müssen, wenn ich in dem Wunsche,[c] einmal
gelegentlich Ihre Meynung darüber zu vernehmen, weitläuftiger darüber war.
Sehr gefreut hat es mich übrigens, daß Sie S. 276. die flüchtige Anhäufung von Nachrichten über viele Sprachen auf ihren wahren Unwerth zurückgeführt haben. Wenn man die Arbeit über eine Sprache wie ein experimentum in anima vili ansieht, so lernt man geradezu nichts daraus. Verfolgt man aber mit philologischer Genauigkeit jede, so habe ich noch immer auch die scheinbar barbarischste lehrreich gefunden.
Die Abhandlung über Wilson, den ich seit einem Jahr täglich in Händen habe, hat mich aufs höchste interessirt.
Möchten Sie nicht (S. 321.) zu den Wörtern, die
Wilson irrig mit
einem {b} schreibt,
auch
{vahu} rechnen? Die
Wurzel
{vah} ist doch
unser wachsen, und das Lat.
vastus spricht auch dafür. Ueberhaupt gestehe ich, daß
das Lob, welches Sie
Wilson hierin beilegen, mir
Wilkins mehr zu verdienen scheint. So hat
es mir wenigstens bei Vergleichung seiner
radicals u. seines
Hitopadesa mit
Wilsons
Lex. geschienen.
Ew. Hochwohlgebohrnen sprechen S. 332. dem Sanskrit die selbständigen Praepositionen ab, u. sagen, daß es derselben nicht bedarf, weil die
Declination zureiche. Sicher ist es, daß die Sprache
sich meistentheils der casus bedient u. wenig der Indeclinabilien, die man Praepositionen nennen könnte. Ob dies aber zu ihren Vorzügen gehört,
möchte ich bezweifeln. Denn die Casus, namentlich Locat. u. Instrumentalis, werden
bisweilen in wunderbarer Art gebraucht, u. die doch mir der Deutlichkeit Schaden
zu thun scheint. Was aber den ersten Punkt betrift, so habe ich schon öfter
darüber nachgedacht, u. wünschte wohl genauer darüber von Ihnen belehrt zu
werden. Mir hat es immer geschienen, daß zwar dieser Theil der Sanskrit Grammatik nicht dieselbe Ausbildung erhalten
hat, als andre, aber daß doch in der Sprache Wörter vorhanden sind,
aus denen in andren Sprachen wahre Praepositionen
geworden sind, und daß in einigen Fällen dieser wahre Uebergang in Praepositionen auch im Sanskrit
sichtbar ist. Es kommt freilich hier ganz auf den Begriff u. die Ansicht an, die
man von diesem Redetheil im Allgemeinen hat. Bei der hier vorliegenden Frage
kommt es, dünkt mich, nur darauf an, ob die Sprache gewisse Wörter hat, die man
nicht füglich anders, denn wie Praepositionen erklären
kann, d. h. wie Wörter, die (wenn sie auch an sich declinabel wären) dennoch als indeclinabilia
gebraucht werden, die bloß bestimmt sind, ein Verhältniß zu bezeichnen, und
dadurch ein von ihnen regiertes Wort in
eine bestimmte
Abhängigkeit von sich
stellen. Nach dem Wenigen, was ich bisher im Sanskrit
gelesen, finde ich einen dreifachen Fall, wo man an Praepositionen denken kann. 1. wo ein Indeclinabile zwar als Praeposition übersetzt
werden kann, aber ebenso gut auch ein zum Verbum
gehörendes Adverbium seyn kann. Dies ist der Fall mit
dem häufigen {saha}, auch mit
{sārddhaṃ}
Ram. l. 1. S. 1.
sl. 36. wo man dies Wort als zum Verbum gehörig durch zugleich übersetzen, u. den Begriff
von mit in dem Instrum. suchen
kann. So ist wohl auch
{prabhṛti}
Hitopad. ed. Lond. p. 34. l. 24. wo der unmittelbar vorhergehende Ablat. den Begriff von dem
Augenblick an ausdrücken, u. das Indeclin. (was
wenigstens hier im absol. Zustande so steht) als Adverbium fernerhin
übersetzen kann. 2. wo ein declinirtes Substantivum,
oder absolut genommenes Adject.
oder Part. das ausdrückt, wozu andre Sprachen Praepositionen gebrauchen. Auch da aber sind die Fälle
verschieden, u. nähern sich mehr, oder weniger den Praepositionen. Ganz substantivisch ist z. B.
Ram. l. 1. S. 1. sl. 101.
{bharatasyāntikaṃ} in die Nähe des Bh. zu
ihm. Denn das Subst. das man auch als Praeposition ansehen könnte, regiert den Gen. u. seine Bedeutung braucht gar nicht verändert zu
werden. Allein viel anders ist
Nalus
IV. 3.
{tvatkṛte} man kann
freilich auch hier Alles ohne Praeposition erklären, u.
sagen: in dem von Dir Geschehenen, aber man muß, um zu
einem deutlichen Sinn zu gelangen, das doch wieder übersetzen.
Dabei fällt mir eine andre Frage ein. Wird das
{kṛte} immer mit dem Ablat. oder auch mit dem
Gen. construirt u. muß
man
Hitopad. p. 34. l. 19.
{tasyāḥ }
{kṛte} für einen Ablat. oder Gen. nehmen, da die
Endung beides seyn kann? Noch praepositionsartiger, wenn
ich so sagen darf, ist
Nalus IV.
26.
{ṛte}
{tāṃ} Hier ist
allerdings auch ein locat. eines Participium, es ließe sich auch allenfalls der accusat. erklären, wenn man sagte, daß dies Participium, so wie die sogenannten partic. indeclinabilia u. der
Infin. denselben casus als
das Verbum regierten. Allein Alles das ist sehr
gezwungen, da hingegen die Bedeutung von außer viel
natürlicher ist. 3. endlich aber giebt es Fälle, die ich nun schlechterdings
nicht anders zu erklären weiß, u. wo sonst sich in Zusammensetzung befindende
praepositionen allein stehen. Bei meiner armseligen
Lecture ist mir aber freilich davon nur
{prati} vorgekommen.
Zwei Stellen im
Ramayana
scheinen mir keine andre Erklärung zuzulassen.
l. 1. S. 1. sl. 72. Da
{badhaḥ} ein mascul. ist so muß das Wort hier im
Accusat. stehen; dieser Accusativ kann das Verbum (hier nur das Part. mit ausgelaßnem Verbum Seyn ) nicht regieren. Er kann also nur von
{prati} regiert seyn u. man muß übersetzen: es
wurde versprochen, gelobt, sich entschlossen von R. zur Erweckung des
V. Wäre indeß auch diese Constructionsschwierigkeit nicht, so wüßte ich hier
der
Partikel keine
schickliche Adverbialbedeutung zu geben. Die zweite
Stelle macht mich noch mehr irre.
S. 3.
sl. 39. Soll hier
{prati} auf den Accus. gehen?
Ich kann es nicht anders nehmen, u. der Grund liegt wohl darin, daß wenn auch
das Verbum gehen den Accusat.
regiert, doch das Subst. dies nicht gleich natürlich
thun kann. Die Englische Uebersetzung hat in diesem Satz eine Negation. In dem Text scheint mir aber nur zu liegen, der Selbstvorsatz, die Entschließung R. über das Gehen (Locat.) nach K. Endlich die Stelle im
Nalus I. 17. Hier würde ich
allerdings die Partikel lieber durch gegenseitig (als Adverb.)
übersetzen. Das erste Wort des Verses ist von der Art, daß es in sich
vollständig ist: einer den andren i. e. wechselseitig.
In
Bopps Uebersetzung muß man alterius auf
desiderium be-ziehen. Im Text ist aber,
nach Ihrer gewiß sehr richtigen Bemerkung (S. 353.) der
erste Theil des Worts ein Nominativ. Das
{o} kann nur von
dem
Visarga vor dem
elidirten Vocal des folgenden Worts herkommen. Der
letzte accus. wird also vom ersten nominat. regiert, u. das Ganze bildet meines Erachtens eine Art Adverbium. Ein sehr deutliches Beispiel des allein
stehenden
{prati} ist
Nal. X. 11. Man könnte
hier freilich sagen, die Praep. sey vom Verb. getrennt, wie bisweilen im Griechischen. Aber
dann wird es mehr ein Wortstreit. In den beiden Beispielen aus dem
Ram. ist noch merkwürdig,
daß die frei stehende Partikel dieselbe ist, als die mit dem Verbum zusammengesetzte, was sich auch im Griechischen häufig findet.
– Nehme ich nun Alles zusammen, das frei stehende
{prati}, was in einer Stelle (wenn ich sie recht fasse) einen Casus regiert, den das Verbum
nicht regieren kann, ferner daß bei
{kṛte},
{ṛte} der Sinn viel
natürlicher u. leichter wird, wenn man sie wie Praepos.
auffaßt, endlich daß wohl die meisten Praepositionen,
wenn nicht alle, aus declinirten Subst. die dann indeclinable Partikeln geworden sind, entstanden sind,
so möchte ich doch nicht die frei stehenden Praepositionen im Sanskrit ganz wegwerfen,
sondern sagen, daß es deren wirklich giebt, aber nicht so ausgebildet, wie im
Griechischen u. Lateinischen, daß aber die Sprache auf dem Wege war, u. die
Elemente enthielt, aus denen auch diese Gattung der Redetheile vollkommen
hervorwachsen konnte.
S. 340. sprechen Sie ja ein ordentliches Abschreckungsanathem über unberufene Sanskritschüler aus.[d] Indeß ist es, glaube ich, wirklich so, daß gewisse Schwierigkeiten, auch bei aller Ausbildung der Hülfsmittel, immer dieser Sprache eigenthümlich bleiben werden. Wenigstens fühle ich an mir, daß man, auch bei eifrigem Studium, lange ein sehr armseliger Schüler bleibt.
Der Irrthum mit {nir} u.
{ni} ist um so
auffallender in
Wilson, als
Wilkins geradezu u.
deutlich, gerade wie Ew. Hochwohlgeb. beide Partikeln, als Gegensätze
angiebt.
Sie tadeln gewiß mit Recht die Schreibung Sunscrit S. 367. Sollte man aber nicht immer, wie auch Wilkins thut, Sanskrita Sprache sagen? Die Abkürzung ist nicht einmal dem Ohre ge-fällig. Ich gestehe, daß ich, ohne Ihre u. Bopps Autoritaet, es unfehlbar thun würde.
Ein neues allgemeines Wörterbuch wird freilich nicht so bald zu Stande kommen, u. ist, nach Wilson, auch, wie es mir scheint, kein so dringendes Bedürfniß. Allein ein nicht so weitschichtiges, u. äußerst nützliches Unternehmen wäre ein Wörterbuch, oder wenn man will Vocabularium, das nur die gelesensten Hauptwerke umfaßte, aber da in die verschiednen Bedeutungen, vorzüglich der Verba eingienge u. die Hauptstellen citirte. Umfaßte ein solches Wörterbuch den Hitopadesa, Ramayana, Mahabharat u. Manu’s Gesetze, so wäre im Grunde das Bedürfniß erfüllt. Denn wo dies Wörterbuch für andre Schriften nicht ausreichte, gienge man auf Wilson zurück, u. hülfe sich selbst.
Mit großer Freude habe ich aus S. 367. gesehen, daß Sie eine eigne Grammatik hoffen lassen. Bleiben Sie ja bei diesem Gedanken. Wenige Dinge werden dem Studium so förderlich seyn.
Und nun bitte ich Ew. Hochwohlgeb. herzlich wegen der Länge dieses Schreibens um Verzeihung u. empfehle mich Ihrem gütigen Andenken.
Mit der hochachtungsvollsten Ergebenheitder Ihrige,
Humboldt.
Fußnoten
- a |Editor| Oben am Rand die Bemerkung von Schlegel: „Ohne Datum, vom 19ten Mai 1822 wie aus meinem folgenden Briefe erhellet“.
- b |Editor| Leitzmann S. 54: von.
- c |Editor| Ergänzt aus der Kustode.
- d |Editor| Schlegel schreibt an der zitierten Stelle: "Doch weiß ich nicht, ob man auf die Anfänger sonderlich Rücksicht zu nehmen hat; denn es ist niemanden zu rathen, sich auf das Studium des Sanskrit einzulassen, der nicht ein entschiedenes Sprachtalent besitzt, und seine Kräfte schon an andern gelehrten Sprachen geübt hat."