Wilhelm von Humboldt an Gustav Seyffarth, 19.02.1826

Ich eile, Ew. Wohlgebornen sogleich auf Ihren so überaus gütigen Brief vom 13. d. zu antworten[a], damit mein Dank Sie auch vor Ihrer Italienischen Reise in Freiberg antrift. Mit wahrer Ungeduld hatte ich schon Ew. Wohlgeboren Schrift entgegengesehen, und das Geschenk, das Sie mir nun so ungemein gütig mit Ihrem auch typographisch so herrlich ausgestatteten wichtigen Werke gemacht haben, hat mich unendlich erfreut. Ich habe es in zwei Tagen, in denen ich es kaum auf ein Paar Stunden verlassen habe, erst ganz im Zusammenhange durchgelesen, und mir nicht bloß einen Begriff Ihrer Ansicht im Ganzen gemacht, sondern auch in den so sehr inhaltlichen Noten vielen Stoff zum Nachdenken gefunden. Die Neuheit des Systems, welches unsre Hieroglyphen Kunde auf einen ganz andren Punkt stellt, hat mich mehr, als ich es sagen kann, überrascht. Da ich immer offen u. aufrichtig bin, und ich weiß, daß Ew. Wohlgeboren das selbst wünschen, so kann ich nicht hinzusetzen, daß es mich schon überzeugt habe. Allein außerdem daß ich mir gewiß in dieser Sache gar kein gültiges Urtheil anmaße, ist dies von einer ersten Lesung in solcher Sache nicht zu erwarten. Die Aufsuchung der Beweise ist auch in Ew. Wohlgeboren System viel schwieriger, als in dem Champollionschen,[b] wo es leicht war, von den sichren Namen auf die unbekannten, u. endlich von den Namen zu den Wörtern überzugehen. Die Schwierigkeit wächst schon dadurch, daß Ew. Wohlgeboren System eine vollständige Kenntniß der demotischen u. hieratischen Schrift voraussetzt. Indeß werde ich gewiß fortfahren es zu studiren, und bin Ew. Wohlgeboren im Voraus für das Interesse verpflichtet, das mir dieses Studium gewähren wird. Ich begreife nun sehr wohl wie Ew. Wohlgeboren, wenn Sie auch wirklich eine einzelne Champollionsche Erklärung nicht misbilligten, doch in der ganzen Auffassung der Hieroglyphen von ihm abweichen, u. ein durchaus neues System aufstellen. Allein auch in den einzelnen Erklärungen ist die Abweichung ungemein groß. In Ihren spec. IX–XVI. p. 63. haben Sie dies sehr gut gezeigt. Noch auffallender ist es mir gewesen, daß in dem Stück der Cadetschen Papyren Rollen, welches Ew. Wohlgeboren Tafel 5. geben, und Spec. I. übersetzen, nach Champollion, der Name des Verstorbenen und seiner Mutter vorkommt, da in Ihrer Erklärung dies Stück ein Hymnus ist, der, ohne andre Namen, nur die Benennungen Osiris, Horus, Aegypten enthält. Da es aber doch wahrscheinlich ist, daß diese Papyren, die doch, wenn auch Gebete u. Hymnen in ihnen vorkommen, nichts als Bücherrollen sind, die Namen der Verstorbenen enthalten, so wünschte ich wohl zu wissen, ob Ew. Wohlgeboren schon die der Cadetschen u. einiger Berlinischen Rollen gefunden haben? Nach der Champollionschen Art lassen sie sich in diesen Rollen auffinden u. lesen, u. kommen ungemein oft darin vor. Allein Ew. Wohlgeboren Spec. I. läßt mich schließen, daß Sie alle diese Erklärungen verwerfen würden.

Um Ew. Wohlgeboren Wunsche, einige Empfehlungsschreiben nach Italien zu haben, zu genügen, bin ich so frei, hier Briefe an unsre Gesandtschaften in Turin, Rom und Neapel beizufügen. Die drei Männer, an welche sie gerichtet sind, werden gewiß nicht nur sich sehr freuen Ew. Wohlgeboren Bekanntschaft zu machen, sondern Ihnen gewiß auch gern in Allem, was Ihrem Wunsche entsprechen könnte, behülflich seyn.

Indem ich Ew. Wohlgeboren von Herzen eine glückliche Reise und zu unser aller Nutzen eine reichliche Ausbeute wünsche, verbleibe ich mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster,
Humboldt
Berlin, den 19. Februar, 1826.

NS. Ich habe die Briefe offen gelassen, weil versiegelte Briefe Reisenden oft Ungelegenheiten verursachen.


Fußnoten

    1. a |Editor| Der Brief scheint nicht erhalten zu sein.
    2. b |Editor| Gemeint ist Champollions Précis du système hieroglyphique des anciens Égyptiens, das von 1824 bis 1827 erschien. [FZ]