Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 27.01.1817
|1*| Burgörner bei Eisleben, den 27. Januar, 1817.Ihr lieber Brief, theurer Freund, hat mir sehr viel Freude gemacht, u. ich danke Ihnen herzlich dafür. Ich habe mit Vergnügen gesehen, daß meine kleine Basquische Schrift Sie nicht ohne Interesse gelassen hat. Ich lebe u. webe jetzt in dem Griechischen, u. meine heutige Ansicht, die ich nun auch wohl beibehalten werde, ist, von dieser, als dem Ideal aller Sprachen, wie aus einem Mittelpunkt, das Gebiet aller, an deren äußersten Gränzen die uncultivirten stehen, zu übersehen, u. dadurch zu einer lebendigen Anschauung des Sprachvermögens des Menschen, als einer seiner durch die Natur gegebenen Kunstfertigkeiten, zu gelangen. – Für die Nachrichten über die Recension meines Agamemnon meinen herzlichen Dank. Es thut mir leid, daß sie nicht in Ihre Hände gekommen ist. Der jüngere Voß hat meiner, jedoch wie um Mehreres zu umgehen, in der Recension der Conzischen Eumeniden erwähnt. – Das Kunstblatt nr. 19. habe ich leider in Weimar vergebens gesucht. Ich werde es nun wohl erst im März in Berlin sehen. – An Ihrer neuen Zeitschrift nehme Ich den lebhaftesten Antheil. Sollte ich Ihnen etwas dazu mittheilen können, werde ich es mit großer Freude thun. Allein Sie kennen meine Unfruchtbarkeit. Göthe konnte die Grazienzeichnung nicht gleich auffinden. Er versprach mir aber, sie Ihnen zu schicken. Ob er Wort halten wird? – Wir fanden ihn gesund, aber gar nicht gut gestimmt. Doch heiterte er sich auf. Er las uns den Orientalischen nachgebildete Gedichte vor, die seinen besten früheren gleichkommen, wunderschön zum Theil. – Riemer interessirte mich wieder durch seine wirklich glückliche Behandlung der Analogie der Griechischen Sprache, die auch seinem Wörterbuch für mich soviel Werth giebt, daß ich es nicht leicht fern von mir lasse.[a] – Wir leben hier in göttlicher Einsamkeit. Blieben wir, wie nicht seyn wird, bis Ostern, schlüge ich Ihnen vor, liebster Freund, herzukommen. Nur so auf dem Lande genießt man sich u. andere. Meine Frau u. Töchter grüßen Sie herzlich.
Mit inniger Freundschaftder Ihrige,
Humboldt.
An H. Prof. Welker |sic|,
Wohlgeb. in Göttingen.
Fußnoten
- a |Editor| Die zweite Auflage befand sich laut "Verzeichniss der zum Sprachstudium gehörenden Bücher" in der Bibliothek Humboldts: Mueller-Vollmer 1993, S. 425 Nr. 163. [FZ]