Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, Februar 1826, Datierung unklar

Ich danke Ihnen herzlich, liebster Freund, für Ihren gütigen Brief vom 10. v. M. Die reichliche Liste von Unterzeichnern für den Kunstverein ist uns ungemein erfreulich gewesen. [Es folgen zwei Seiten Bericht über den Kunstverein und über den "Tadel des Kunstpilgerns nach Rom" durch Niebuhr sowie die neueste Aufgabe des Künstlerausschusses für Rom.]

[…] Meine Abhandlung über die Buchstabenschrift, die Schultz im Asiat. Journal erwähnt hat, werden Sie, wenn nicht mit diesem Briefe, doch in wenigen Tagen nachher erhalten. Ich werde sie sous bande abgehen lassen, u. so frei seyn, ein Exemplar für Niebuhr  u. Schwenck beizulegen. Ich halte die Sache für wichtig u. wahr, u. bin auch Ihrer Meinung, daß Alphabete, ohne Hieroglyphen u. Chines. Figuren, erfunden worden sind. Ueber das Aegyptische habe ich in dieser Abhandlung fast ganz geschwiegen. Man muß erst abwarten, daß sich die streitenden Parteien mehr aussprechen. – Dagegen habe ich mich diesen Winter ernstlich mit dem Chinesischen beschäftigt, was für das grammatische Studium ganz unentbehrlich ist. Es ist eine wahrhaft wunderbare Sprache, die man nicht überschätzen muß, aber nicht verachten kann, vielmehr von Einer Seite sehr hoch achten muß. Die äußren Schwierigkeiten scheinen groß, sind aber bis zu dem Zweck um schon sehr wichtige Bücher lesen zu können, in weniger als 14 Tagen überwunden. Ich habe darüber geschrieben, will es aber erst Remusat mittheilen, weil meine Kenntniß doch etwas jung ist. – Ueber das Japanesische werden Sie eine Kleinigkeit von mir in Kurzem im Journ. asiat.  finden.[a]Die Abhandlung über die Bhagavad-Gita werde ich erst im Sommer drucken lassen. Ueber den Manus habe ich nur erst die Materialien gesammelt. Ich erwarte die neue nun erschienene Ausgabe. – Bei allen diesen Sprachstudien komme ich immer darauf zurück, u. hoffe Gelegenheit zu finden, es einmal recht ordentlich zu sagen, daß die Griechische Sprache u. das Griechische Alterthum das Vorzüglichste bleiben, was je der menschliche Geist hervorgebracht hat. Was man vom Sanskrit rühmen mag, das Griechische erreicht es nicht, auch ganz einfach, als Sprache, nicht. Das wird immer mein Glaubensbekenntniß seyn, u. Schlegel weiß zu viel Griechisch, um das nicht auch zu finden, er müßte denn sagen, daß ich zu wenig Sanskrit wüßte. Dagegen würde ich wenig streiten, allein gerade das Grammatische habe ich genau im Sanskrit studirt, u. darin möchte ich es ziemlich mit jedem aufnehmen. Ich verfolge jetzt in allen Sprachen, was keiner allein angehört, u. darum muß ich mich verbreiten, aber ich denke mich doch wieder auch einmal bloß[b] im Griechischen zu vertiefen, u. einer alten Idee nachzugehen, daß alle wahrhafte Geistesbildung aus den Eigenthümlichkeiten des Attischen Dialects hervorgeht. Lassen Sie es Sich also nicht leid seyn, vorzugsweise im Griechischen zu leben u. weben. Ihren Theognis habe ich noch nicht lesen können, doch schon gesehen, daß mir die Prolegg. allein schon eine große Freude versprechen. – Schlegel hat mir zwar nicht geschrieben, sondern mir sous bande seine Lat. Sachen geschickt, aber sagen Sie ihm ja nichts. Ich bin ihm keinen Augenblick böse darum. Sein Gedicht[c] ist in jeder Art gelungen. Aber der Brief an Blumenbach[d] hat das Schlimme, daß er sich durch die Sprache hat zu einer gewissen Ideenleere hinreißen lassen. Ist es denn nicht anziehender u. war[e] es hier nicht sehr möglich, die Sprache mit Ideen ringen zu sehen, die ihr nicht immer geboten werden? – Die Hamakersche Rec. werde ich aufsuchen. Klaproths Sprachideen gehören nicht zu den erleuchtetsten. Doch liegt in der Asia polygl. viel Brauchbares, u. wichtiger scheinen mir noch seine tableaux de l’hist. de l’Asie. – Meine Frau u. Caroline grüßen Sie herzlich. Die erstere ist gar nicht wohl diesen Winter. Sie leidet recht viel an gichtischen Uebeln. Ich selbst bin an Katar[f] seit einigen Wochen unpäßlich. Doch geht das über.

Leben Sie herzlich wohl, liebster Freund. Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft der Ihrige
H.



 Schultz, den Sie also kennen, hat vom Französischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auftrag erhalten, auf dessen Kosten 4 Jahre lang im Orient zu reisen, um Manuscripte des Zend u. Pehlwi für die Pariser Bibliothek zu sammeln. Es läßt sich viel davon erwarten, u. Schultz scheint mir ganz gemacht dazu.[g] Nur, glaube ich, sollte er sich mit Rask besprechen, der in dieser Gattung viel gesammelt hat.

Fußnoten

    1. a |Editor| Die angekündigte "Kleinigkeit" erschien nicht im Journal Asiatique, sondern unter dem Titel "Notice d’une grammaire Japonoise imprimée à Mexico" im Supplément à la grammaire japonaise du P. Rodriguez.
    2. b |Editor| Haym 1859, S. 134 schreibt „… doch einmal wieder bloß …“ statt „… doch wieder auch einmal bloß …“.
    3. c |Editor| Hierzu erläutert Leitzmann 1908, S. 285f.: Zur Feier der Dampferfahrt Friedrich Wilhelms III. auf dem Rhein bei Bonn am 14. September 1825 hatte Schlegel ein deutsches und ein lateinisches Gedicht in Distichen verfaßt und bald darauf drucken lassen: "Die Huldigung des Rheins" und "Fausta navigatio regis Friderici Guilelmi III., cum universo populo acclamante navi vaporibus acta Bonnam praeterveheretur".
    4. d |Editor| Hierzu erläutert Leitzmann 1908, S. 286: Im Namen der Univeristät Bonn hatte Schlegel zum silbernen Professorjubiläum des berühmten Naturforschers Blumenbach am 19. September 1825 eine epistula gratulatoria verfaßt. – "Viro clarissimo, Ioanni Friderico Blumenbach, Medicinae Doctori, In Academia Georgia Augusta Gottingensi Professore Medicinae Primario ... S. P. D. Rector et Senatus Academiae Borussicae Rhenanae", Bonn: Universität 1825.
    5. e |Editor| Das Wort fehlt bei Haym 1859, S. 135.
    6. f |Editor| Haym 1859, S. 135 schreibt „in Berlin“. Dies ist aber eindeutig falsch.
    7. g |Editor| Schulz wurde Ende 1829 auf seiner Reise durch Kurdistan ermordet.