Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 08.07.1827

Ich wollte Ihnen, theuerster Freund, einen ausführlichen Brief durch Schlegel schreiben. Allein seine verspätete Abreise hat mich so nahe an meine eigne gebracht, daß ich herzlich bedaure, Ihnen jetzt nur einige flüchtige Worte sagen zu können. Ich begleite nemlich meine Frau u. Carolinen, die sich Ihnen herzlich empfehlen, in das Bad von Gastein, und wir reisen in zwei, drei Tagen ab, und können vor Mitte Septembers nicht hierher zurückgekehrt seyn. An meiner Frau hat das Gasteiner Bad im vorigen Jahre in der That Wunder bewiesen. Sie war in einem Krankheitszustand, an den ich nicht ohne wahres Entsetzen zurückdenken kann, und der, wenn nichts ihn aufgehalten hätte, gewiß sie in wenigen Monaten dem Tode zugeführt hätte. Sie hat Gastein gebraucht, und ist seit ihrer Rückkehr bis jetzt von gichtischen Anfällen befreit gewesen, u. hat sich den strengen Winter u. das Frühjahr hindurch wirklich sehr wohl befunden. Bloß seit 4 Wochen haben einige, jedoch nur Stunden lang anhaltende Anfälle des alten Uebels sie an die Nothwendigkeit erinnert, Gastein abermals zu besuchen. Caroline ist von ihrer sonstigen Kränklichkeit ganz hergestellt. Ich habe mich ohne allen Anstoß wohl befunden, selbst mit meinen Augen geht es besser. Indeß werde ich Gastein brauchen, da ich einmal dort seyn werde. Das Bad ist allgemein stärkend, u. vorzüglich bejahrten Personen wohlthätig. Ich mache indeß die Reise nicht deshalb, sondern bloß um meine Frau  und Carolinen nicht allein reisen zu lassen. Ich entferne mich immer ungern von hier und meinen gewöhnlichen Arbeiten. Sie leiden unausbleiblich durch die langen Unterbrechungen, u. leider sind meine Untersuchungen, sey es an sich, oder bei meiner Methode, höchst zeitraubend. Denn es ist ein durch Erfahrung in mir bestätigter Grundsatz, daß man in Sprachen nichts machen kann, wenn man nicht in sehr kleinlich scheinendes détail hinabsteigt. Ich verfolge jetzt die Untersuchungen, die Sie aus meinem Brief an Abel-Rémusat kennen, u. sie haben mich zunächst in die Sprachen der Südsee Inseln geführt. Es existirt ein eignes Sprachgebiet ganz, in Rücksicht auf die Grammatik, außer dem der klassischen Sprachen u. des Sanskrits, u. in diesem habe ich mich schon seit einigen Jahren festgesetzt, u. siedle mich immer mehr darin an. Eine deutliche Einsicht in die Natur desselben aber habe ich erst seit Kurzem gewonnen. Es ist möglich, daß ich im nächsten Jahre eine Reise nach Paris u. London mache. Sie werden aus den Zeitungen gesehen haben, theurer Freund, daß mein Schwiegersohn Bülow Gesandter in London geworden ist. Gabriele ist mit ihren drei Kindern noch hier, und wenn er sie noch den Winter hier läßt, u. dann im Frühjahr nicht selbst abholt, so werde ich sie nach London begleiten. Vermuthlich gehen meine Frau und Caroline auch mit. Gabrielens drei Töchter sind allerliebste kleine Geschöpfe. Ich schreibe Ihnen von dem allen, da Sie immer so liebevollen Antheil uns erhalten haben. Ich lege diesen Zeilen eine Abhandlung über Hieroglyphen bei, die aber gar nichts Eigenes enthält u. auf die ich sehr wenig Werth setze. Wollen Sie die Güte haben eins der beiden Exemplare an Niebuhr mit meinen freundschaftlichsten Grüßen zu besorgen. Schlegel habe ich leider sehr wenig hier gesehen, da er selten die Stadt verläßt. Er hat mir das bisher von seinem Ramayana Gedruckte mitgetheilt. Es scheint mir eine einzig schöne Arbeit.

Leben Sie herzlich wohl, theurer Freund und halten Sie mir Ihr gütiges Andenken. Mit der herzlichsten Hochachtung und Freundschaft der Ihrige
Humboldt.
Tegel, den 8. Julius, 1827.