Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 09.02.1820

|1*| Berlin, den 9. Februar 1820.

Ew. Wohlgebohren haben mir durch die Uebersendung des Nalus und Ihr gütiges Schreiben eine sehr große Freude gemacht, für die ich Ihnen meinen wärmsten Dank abstatte. Wörtlich treue lateinische Uebersetzungen sind unstreitig das beste Mittel, das Studium des Sanskrit zu befördern, und sie werden doppelt nothwendig, so lange es an leicht zu habenden u. benutzenden Wörterbüchern mangelt. Es wäre unendlich zu wünschen, daß es Ew. Wohlgeb. vergönnt seyn möchte, noch längere Zeit in London bleiben, und für die Erforschung der vielfachen Schätze thätig seyn zu können, deren Benutzung Ihnen jetzt zu Gebote steht. Ich würde mit Vergnügen dazu beitragen, weil ich, ohne Ihnen das mindeste Schmeichelhafte sagen zu wollen, überzeugt bin, daß es niemanden gegenwärtig giebt, von dem man sich soviel, als von Ihnen, für die Kenntniß der Indischen Sprache u. Literatur versprechen kann. Ich befinde mich aber in Verlegenheit, was ich dafür zu thun im Stande wäre. Ich wüßte kaum ein anderes Mittel, als mich deshalb an den Kronprinzen von Baiern zu wenden. Ich gestehe Ew. Wohlgeb. aber, daß, da es mir an aller Veranlassung fehlt, Sr. Königlichen Hoheit zu schreiben, und ich in so sehr langer Zeit nicht das Glück gehabt habe, Ihnen nahe zu seyn, ich nicht wage, einen Schritt deshalb zu thun. Auch ist der Kronprinz immer zur Unterstützung wissenschaftlicher Untersuchungen so bereit, und gewiß von Ew. Wohlgeb. Verdienstlichkeit so überzeugt, daß ich meine Verwendung deshalb für unnütz halten muß. Sollte sich mir aber auf eine unvorhergesehene Weise eine Gelegenheit zur Beförderung Ihrer Ziele eröfnen, so seyn Sie gewiß versichert, daß ich sie mit dem lebhaftesten Vergnügen ergreifen werde. Da ich jetzt eine sehr erwünschte Muße genieße, so habe ich Ew. Wohlgeb. frühere Schrift über das Conjugationssystem aufs neue, u. mit ebensoviel Belehrung, als Vergnügen gelesen. Die genauere u. tief eingehende Analyse grammatischer Formen ist für die |2*| Erkennung u. Beurkundung der Verwandtschaft der Sprachen ein ebenso sicheres, als noch wenig benutztes Mittel, u. trägt ebensoviel zur Aufklärung des Sprachbaues überhaupt bei. Die AltIndische Sprache bleibt nach demjenigen, was Ew. Wohlgeb. sehr befriedigend entwickelt haben, ein Muster in der Hervorbringung grammatischer Formen durch bloße Umbiegung u. innere Veränderung der Laute, entgegengesetzt den durch sichtbare Agglutination erstehenden Sprachen. Sehr wünschte ich indeß, daß Ew. Wohlgeb. sich hierüber bei einer andern Gelegenheit noch mehr u. näher erklärten, um der Frage näher zu kommen, ob es wohl einen ursprünglichen Unterschied zwischen flectirenden u. agglutinirenden Sprachen geben mag, oder ob der, den wir jetzt unleugbar bemerken, nur ein daher entstandener ist, daß die Bedeutung der agglutinirten Silben verloren gegangen ist, sie selbst sich in der Aussprache abgeschliffen haben, u. daher jetzt nur als Flexionen erscheinen. Daß das Sanskrit wirklich das Hülfsverbum einverleibt, daß die Personenendungen von Pronomina herkommen, erkennen auch Ew. Wohlgeb. an. Es fragt sich nun, wie es mit den übrigen Umbiegungen sich verhalten mag. Ich meinerseits bin sehr geneigt, die Flexion zum aller größten Theil, als von ehemaliger Agglutination herkommend anzusehen, u. den ganzen Unterschied daher für einen geschichtlichen zu halten, der jedoch nicht bloß, und nicht einmal eigentlich Beweis des Alters, sondern vielmehr u. zugleich wenigstens der erlittenen Veränderungen einer Sprache ist. Denn unter gewissen Umständen kann eine Sprache sich viele Jahrhunderte hindurch in einem Zustande der Reinheit befinden. Demungeachtet giebt es Biegungen, die ich durchaus für Flexion auch ursprünglich halten möchte u. würde. So ist es mir nicht wahrscheinlich, ob man gleich allerdings die Möglichkeit nicht bestreiten kann, daß der Umlaut je aus einer Agglutination entstanden sey, u. gewisse Flexionen sind zugleich so bedeutend, u. in Sprachen so allgemein, daß ich sie auch ursprünglich zu nennen geneigt wäre, wie z. B. das i des Dativs, das m desselben Casus bei uns, die beide mit dem schärferen Laut die Aufmerksamkeit auf die abweichende Natur dieses casus ausdrücken zu wollen scheinen, der in der That nicht, wie die anderen, ein einfaches, sondern ein doppeltes Verhältniß anzeigt. Es läßt sich auch |3*| sehr wohl denken, daß, ohne, gewiß zu erweisende, conventionelle Bezeichnung, der Mensch auf ähnliche Weise, als er, durch Aehnlichkeiten des Lauts mit den Gegenständen geleitet, Wörter schuf, auch ebenso Verhältnisse bezeichnen konnte, wenn gleich in den meisten Fällen er hierzu das Mittel ergriff, wirkliche Wörter zusammenzustellen u. nur in der Aussprache zu verbinden. Denn im Ganzen kann man sich den Ursprung aller Grammatik wohl nur so denken, daß der Mensch die Sprachelemente nah neben einander stellte, u. nun durch das Bedürfniß, sie, als Rede, verbunden darzustellen, zu Veränderungen der Laute u. Bildung von Gewohnheiten, die in Regeln übergiengen, genöthigt wurde. Ganz werden sich diese Probleme nie auflösen lassen, u. selbst, ob z. B. im Griechischen verbo überall, u. bloß das Hülfsverbum zur Personenbildung mit der Stammsilbe verbunden ist, oder auch die Pronomina selbst? dürfte unmöglich jetzt zu ergründen seyn, so sehr wichtig der Unterschied auch in der That ist. Allein es ist sehr gut, wenn man nur gewisse allgemeine Sätze hinstellen kann; wie Ew. Wohlgeb. gethan haben, z. B. daß es dem Geiste des Alt Indischen widerspricht ein Verhältniß durch Anhängung mehrerer Buchstaben auszudrücken, die sich als ein eigenes Wort ansehen ließen, wo man aber doch die Einschaltung des Hülfsverbi, das sich allerdings so betrachten läßt, ausnehmen muß, daß die Personen-Endungen pronomina sind u. s. f. Ueber den Infinitiv kann ich Ew. Wohlgeb. Meynung nicht ganz theilen. Ich halte ihn wirklich für einen modus, der, gleich dem Participium, wo es wahrhaft ein solches ist, Verbum- u. Nomennatur in sich vereinigt. Er ist der Begriff des Verbum ohne alle Bestimmung von Person, u. selbst manchmal von Zeit, allein er behält, wenn er sich auch dadurch abstracten Substantiven nähert, doch die eigentlichste Natur des Verbi, als Bewegung gedacht zu werden. Ich wünsche zu besitzen ist ganz Leben u. Bewegung; ich wünsche mir das Besitzen, oder gar den Besitz ist dagegen todt u. starr. Es ist ein Vorrecht der Sprache, in dem jenigen was logisch ganz dasselbe ist, durch ihre eigenthümliche Natur Unterschiede zu bilden, u. den gleichen Gegenstand selbst zum gleichen Zweck auf verschiedene Weise mit sich in Verbindung zu bringen. Ich kann auch nicht in die Idee der Ableitung des griechischen Infinitivi aus dem Participium einstimmen. |4*| Aber ich würde nicht aufhören, wenn ich in alle interessante Untersuchungen eingehen wollte, die Ew. Wohlgeb. in Ihrer wirklich äußerst gehaltreichen Schrift theils erschöpft, theils angeregt haben. Herrn Wilkin |sic| bitte ich Sie sehr, mich zu empfehlen, u. ihn zu erinnern, daß er mir ein Exemplar seiner Indischen Wurzeln zu verschaffen versprach. Ew. Wohlgeb. würden mich sehr verbinden, wenn Sie H. v. Bülow eines für mich übergeben könnten. Auch würden Sie mich sehr verpflichten, wenn Sie mir sagten, was wohl zur Erlernung der Elemente des Sanscrit noch für Schritte nützlich seyn könnten. Ich besitze, außer der Ihrigen, bloß Wilkin’s |sicgroße Grammatik.

Empfangen Ew. Wohlgeb. die erneuerte Versicherung meiner herzlichen u. ausgezeichneten Hochachtung.
Humboldt.