Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 27.04.1820
|1*| Ew. Wohlgeb. freundschaftliches Schreiben hat mir um so mehr Freude gemacht, als ich fast ausschließend jetzt mit grammatischen Gegenständen beschäftigt bin. Ich beabsichte nemlich ein ausführliches Werk über die Americanischen Sprachen, u. eile soviel ich kann, damit schnell vorzurücken. Es ist aber ein sehr weites Feld, u. wenn man, wie ich es für unerläßlich halte, jede Sprache, auch die ungebildetste, mit gewissenhafter Genauigkeit behandeln, u. in ihre kleinsten Analogien hinein verfolgen muß, so ist die Bearbeitung von 25–30. unter Einen Gesichtspunkt in grammatischer u. lexicalischer Hinsicht zugleich allerdings ein Zeit raubendes Unternehmen.
Ich freue mich, daß auch Sie finden, daß das Meiste in den Sprachen Zusammensetzung ist. Sehr richtig geben Sie, außer diesem, als technisch grammatische Mittel noch die Vocalveränderung, vorzüglich die, welche man im Deutschen Umlaut zu nennen pflegt, u. die nur eine Veränderung desselben Vocals, nicht Vertauschung mit einem andern ist, u. die Reduplication an. Es mag keine Sprache geben, in welcher die letzte gar nicht vorkäme. Allein die Sprache, die sich ihrer am meisten, so viel mir bekannt ist, bedient, ist die Mexicanische. In |2*| dieser ist sie allerdings Pluralzeichen, jedoch nicht einziges, nicht einmal hauptsächliches. Alle belebten Gegenstände bilden ihren plural durch affixa, nur die unbelebten, wenn man an ihnen, was nicht nothwendig ist, einen plural ausdrücken will, redupliciren eine Silbe. Davon geht dann aber R die Reduplication zum Theil auch auf die belebten über, u. wird den affixen hinzugefügt. Der Unterschied der ursprünglichen u. nicht ursprünglichen Sprachen in Absicht der Reduplication ist, soweit ich es gefunden habe, daß sie in den ersten wirklich auf die Fälle beschränkt ist, in welchen eine Wiederholung in der Sache liegt, in den andern dagegen in anderm vorkommt, worauf man diesen Begriff gar nicht, oder höchstens metaphorisch anwenden kann. So bei den perfectis im Griechischen u. Deutschen. Die metaphorische Bedeutung findet sich zwar auch in ursprünglichen Sprachen. So heißt Mexic. hue-ca (ca ist bloßes affixum) weit, huehue, ein Geist, dessen Leben weit weit weg ist. Indeß ist es merkwürdig, daß andre Americanische Sprachen, ganz in der Nähe der Mexicanischen, fast gar keine Spur von Reduplication haben. – Ich habe indeß hier nur von der Reduplication in grammatischer Rücksicht gesprochen. Sie findet sich aber auch in lexicalischer, u. wie ich sehe, auch da auch in Fällen ein, wo der Begriff der Wiederholung nicht ist, u. jeder erkennbare Grund sonst in der Bedeutung wegfällt. Alsdann rechne ich sie bloß zu dem Lautsystem einer |3*| Nation,[a] ebenso, als die eine härtere, die andre weichere Töne, die eine diese, die andre jene vorherrschenden Buchstaben hat. In dieser Beziehung vorzüglich kommen nun auch Erscheinungen vor, die ich Abarten der Reduplication nennen möchte, obgleich diese Abarten auch zum Theil, als Bildungsmittel grammatisch gebraucht werden. So ist, was Ew. Wohlgeb. von dem Sanskrit anführen, wenn von vid vidid u. vivid, von tup tupup gebildet wird. Wie man die Reduplication mit einem Reime vergleichen kann, so ist dies gleichsam eine Assonanz. Es findet sich aber auch in anderen Sprachen. Namentlich hat die Totonaca Sprache (in Neu Spanien) das Nemliche. Um eine gewisse Art von Verben zu bilden, setzt man eine Silbe an sie an, welche einen Vocal zwischen zwei n einschließt (nan, nen u. s. f.) oder nimmt zum Vocal den vorletzten des Stammes des Verbum, dessen Endvocal wegfällt. So wird aus xtega, xteg-nen, zquin, zquinin. In andern Fällen, bei Pluralen, Participien begnügt man sich mit der bloßen Vocal Wiederholung, u. bildet * <einen Consonanten> mit einem Vocale vor, oder nach sich an, indem man genau b zu diesem immer den letzten des Verbum selbst nimmt; aus lacalogza wird lacalogzot, talincxa, talincxit, xanat, xanatna, chochot chochotno. Viel allgemeiner, u. durch die ganze Sprache gehend ist ein ähnliches Gesetz im Ungrischen. Alle Vocale sind in starke, a, o, u, u. weiche e, i, ö, eingetheilt u. je nachdem ein Wort Vocale der ersten, oder zweiten Classe hat, kann es in der gram-|4*|matischen Anbildung nur Vocale gleicher Art bekommen, aus fog wird fog-ak, aus hall hall-ok od. hall-unk, aus mez mez-et, aus ker, kerünk. Dies kann nicht mehr Bildungsmittel genannt werden, sondern ist bloß phonetisch, Eigenheit des Lautsystems der Sprache. Etwas ganz Aehnliches findet sich im Finnischen. So hat man also eine Folge von Stufen der Reduplication: 1., Classengleichheit des Vocals, hallok, 2., Wiederholung des Vocals, xanat-na, 3., Wiederholung des Vocals mit Gleichheit der ihn einschließenden Consonanten, vidid, 4., Wiederholung der ganzen Silbe, aber mit einem fremden Zusatz, vivid, 5., reine Wiederholung der Silbe. Diese kommt im Mexicanischen nur bei Silben vor, die aus einem Consonanten u. einem Vocal bestehen; schließt ein zweiter Consonant die Silbe, so reduplicirt man bloß den ersten u. den Vocal, aus cihuatontli wird cihuatotontli; giebt es im Sanscrit wohl Wiederholung einer Silbe mit Anfangs- u. Schlußconsonanten? 6., Wiederholung des ganzen, auch mehrsilbigen Worts. <Stammworts.> So in der Mixteca Sprache. yo-sacu-n-di (die unterstrichenen Silben sind affixa) wird im Frequentativo zu yo-sacu-sacu-n-di, od. wenn man noch mehr frequentative Natur hinein legen will yo-sacu-yo-sacu-n-di. Noch habe ich bei diesen Stufen der Reduplication die Wiederholung des bloßen Consonanten mit einem andern Vocal, τετυψα, ausgelassen, u. hätte noch hinzusetzen können, daß die Mexicanische Sprache auch, doch ohne daraus eine Formationsregel zu machen, Silben dreimal wiederholt. Um von dieser zu langen Digression über die Redu-|5*|plication zurückzukommen, gestehe ich Ew. Wohlgeb. doch, daß ich noch nicht ganz mit mir einig bin, ob es nicht, wenn auch nur in einigen Fällen, eine Flexion geben sollte, die zu keiner Zeit Agglutination gewesen wäre, wo der in der Flexion hinzukommende Buchstabe nicht Ueberbleibsel eines ehemals mit Bedeutung versehenen Wortes gewesen, sondern für sich selbst zur Bezeichnung des Flexionsfalles gewählt wäre. Da man schlechterdings keine bloße Uebereinkunft in Sprachen annehmen kann, so müßte der Grund der Wahl solches Flexionsbuchstabens in seiner Natur selbst liegen. Um ein Beispiel anzuführen, so scheint mir die Bezeichnung des Dativs mit i in vielen Sprachen, u. mit m im Deutschen dieser Art. Beides sind scharfe Töne, u. m vorzüglich muß mit besonderer Sorgfalt ausgesprochen werden, um es von n zu unterscheiden. Der Dativ ist eben auch ein Casus, auf den es nothwendig ist, vorzugsweise aufmerksam zu machen. Denn er ist unter denen, welche die allgemeine Grammatik als nothwendig darstellt, der einzige, ein zwiefaches Verhältnis bezeichnende.
Ich schließe aber endlich dies lange allgemeine Geschwätz, mit dem ich Ew. Wohlgeb. zu ermüden fürchten muß. Ich danke Ihnen ausnehmend für die mir überschickten Bücher, u. bitte Sie, auch Hr. Wilkins meinen lebhaftesten Dank abzustatten. Die Analyse des Hitopadesa wird mir überaus nützlich sein, wenn ich, wie ich hoffe, ernstlich an das Studium des Sanscrit komme. Für die Sicherheit des richtigen Lesens hätte ich sehr gewünscht, daß die Sanscrit Werke öfter |6*| in unsern Buchstaben zugleich gedruckt wären. In Wilkin’s Grammatik ist zwar eine solche Anweisung, aber überaus kurz, so daß sie wohl schwerlich alle vorkommenden Fälle enthält. Sollte es eine andre ähnliche für das Hertford College geben, so würde ich Sie sehr darum bitten.
Ich freue mich sehr, daß Ew. Wohlgeb. Aufenthalt in London nunmehr bestimmt verlängert ist. Er wird den Wissenschaften sehr nützlich seyn. Erhalten Sie mir Ihr gütiges Andenken, u. geben Sie mir manchmal Nachricht von Sich. Es wird mir nichts angenehmer seyn, als mich mit Ihnen von Zeit zu Zeit über Gegenstände gemeinschaftlicher Studien zu unterhalten.
Mit der aufrichtigsten u. ausgezeichnetsten HochachtungEw. Wohlgeb.
ergebenster
Humboldt.
Berlin, den 27. April, 1820.
|7*–8* vacat|