Wilhelm von Humboldt an Franz Lieber, 14.06.1832
Ew. Wohlgeboren drei gütige Schreiben vom 16ten und 21.t November vorigen und vom 15.t Maerz d. J. sind mir richtig zugekommen und ebenso auch die Schriften, welche Sie mir darin ankündigen. Ich statte Ihnen meinen verbindlichsten Dank dafür ab. Einige der Schriften sind von dem größesten Werthe für mich gewesen, andere hatte ich zwar schon durch Herrn Pickering erhalten; in so seltenen Sachen sind aber doppelte Exemplare immer angenehm und der Verbreitung der Wissenschaft nützlich. Ich würde mich weitläuftiger hierüber auslassen, wenn es mir nicht zweifelhaft schiene, ob und wann diese Zeilen in Ihre Hände kommen werden.
Sie sind nemlich bestimmt, Ew. Wohlgeboren durch einen Deutschen, Herrn Dr. Becker aus Hildesheim zuzukommen und da eine solche Reise immer Zufällen unterworfen ist, so will ich mich heute darauf beschränken, diesen Mann Ihrer Güte auf das dringlichste zu empfehlen. Ich werde um diese Empfehlung von einem Freunde, dem Herrn Professor Bopp, gebeten und kann Ew. Wohlgeboren im Vertrauen auf diesen versichern, daß Herr Dr. Becker ein Mann von sehr achtungswürdigem Charakter und ein geschickter praktischer Arzt ist. Es ist noch nicht gewiß, ob er sich gerade in Boston niederlassen wird und es ist daher möglich, daß Ew. Wohlgeboren den Brief nicht persönlich durch ihn erhalten. In diesem Fall baete ich Sie, ihm da, wo er seinen Aufenthalt wählen wird, Empfehlungsbriefe zu verschaffen. Vielleicht sendet er Ew. Wohlgeboren auch dies Blat |sic| noch von Deutschland aus, um Sie um Ihren Rath und Ihre Meinung über sein ganzes Vorhaben, sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen, zu bitten. Dies würde ich wenigstens für rathsam halten, da mir das ganze Unternehmen, eine Medizinische Praxis zum Lebens-Unterhalte in Amerika zu gewinnen, bedenklich erscheint, um so mehr da Herr Becker verheiratet ist. Gerade ein Arzt findet in einem fremden Lande schweren Eingang, da man ihm, wäre es auch ein Vorurtheil, Mangel an Kenntniß des Klimas und der Konstitution der Bewohner vorwirft.
Ich bitte Ew. Wohlgeboren, die Mühe zu verzeihen, welche Ihnen diese Empfehlung verursachen kann, ersuche Sie Herrn Pickering meine freundschaftlichsten Grüße zu bestellen und wiederhole Ihnen die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
|Humboldt| Humboldt
|Schreiber| Tegel den 14.t Junius 1832.
An
Herrn Dr. Lieber Wohlgeboren in Boston