Wilhelm von Humboldt an Carl Friedrich Philipp von Martius, 20.08.1827

|1*| Ew. Hochwohlgebornen sage ich meinen ergebensten Dank für Ihr gütiges Schreiben vom 6. d. und die so schnelle und gütige Uebersendung der besprochenen Vocabularien[a]. Wenn sich auch der Wörtervorrath dadurch um ein Weniges vermehren läßt, so ist es immer interessant, dieselben Wörter, von Personen verschiedener Nationen aufgesammelt, mit einander zu vergleichen. Man kann mit Sicherheit voraussetzen, daß keiner in der ih von ihm gewählten Schreibung den einheimischen Laut vollkommen adäquat ausdrückt. Durch die Vergleichung der verschiedenen annähernden Schreibungen erlangt man aber doch einen vollständigeren Begriff desselben, oder wird wenigstens gewarnt, solche Vorstellungen anzunehmen, oder die angenommene Aussprache für gewiß und unverbesserlich zu halten. Der Spanier, dessen Vocab. ich durch Ew. Hochwohlgebornen Güte erhalten, weißt der SüdseeSprache wohl zu viel Hauchlaute und zu starke bei, allein die Englischen Missionarien scheinen die wirklich vorhandenen auch im Schreiben zu sehr zu übergehen. Dies beweist mir ein Mscpt. des seligen Forster[b], welches die Berl. Bibliothek besitzt.

Ich zweifle, daß die Münchner  Bibl. etwas andres von Amerik. Sprachhülfsmitteln besitzt, als die Chaymas Grammatik, die ich in Berlin bei mir gehabt habe. Sollte es seyn, so erbitte ich mir die Titel von Ew. Hochwohlgebornen. Ein Verzeichniß meiner Sammlung werde ich mir die Ehre geben, Ew. Hochwohlbornen mitzutheilen. Ich |2*| muß es aber, da ich Mehreres erst neuerlich bekommen, aufs neue durchgehen, und dann abschreiben lassen. Wollte man die gesammte Literatur dieses Zweigs übersehen, so müßte man die schon sehr vollständige Grundlage dazu im Mithridates mit den neuesten Werken (bei welchen auch Balbis  Atlas nicht zu vernachlässigen ist) vervollständigen. Das Hauptsächlichste aber hat der selige Vater schon mit unsäglichem Fleiß zusammengetragen.

Ganz besonders verpflichtet bin ich Ew. Hochwohlgebornen für die Prospecte Ihrer so ungemein wichtigen Reisebeschreibung. Ich werde gewiß Vielen bei uns auch eine große Freude damit machen. Sollten Ew. Hochwohlgebornen glauben, daß ich Ihnen in Absicht des Abschnitts, welcher die von Ihnen beobachteten Sprachen enthalten wird, nützlich seyn könnte, so stehe ich Ihnen mit großer Freude zu Diensten.

Ich habe mit meiner Familie unsre Badcur sehr gut vollendet, und wir kehren in wenigen Tagen nach Berlin zurück.

Indem ich Ew. Hochwohlgebornen meinen ergebensten Dank für die mir in München geschenkte gütige Aufnahme wiederhole, habe ich die Ehre, mit der ausgezeichnetsten Hochachtung zu verharren

Ew. Hochwohlgebornen
ergebenster,
Humboldt
Gastein, den 20. August, 1827.

Fußnoten

    1. a |Editor| Damit sind die folgenden Sprachmaterialien gemeint:
      1) Wörter der Sandwich-Inseln (ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 34, Bl. 15r–17r),
      2) Einige Wörter Spanisch – Bisaya – Wawau (ebenda, Bl. 17v),
      3) Spanisch – Wawau Wörterverzeichnis (ebenda, Bl. 18r–21v).
    2. b |Editor| Wahrscheinlich ist hier Georg Forster (1754–1794) oder dessen Vater Johann Reinhold Forster (1729–1798) gemeint. Von J. R. Forster ist als Manuskript erhalten: Vocabularies of the Language spoken in the Isles of the South-Sea & of the various Dialects which have an Affinity to it, with some Observations for the better Understanding of them, collected by John Reinhold Forster F.R.S. 1774 (Staatsbibliothek Berlin, Ms. orient. oct. 61-62).