Wilhelm von Humboldt an Friedrich Wilken, 14.05.1828

Ew. Wohlgeboren nehme ich mir die Freiheit, über zwei Angelegenheiten der Königlichen Bibliothek zu schreiben, und benutze mit großem Vergnügen diese Gelegenheit, mich in Ihr freundschaftliches Andenken zurückzurufen.[a]

Herr Landresse hier, der durch die Herausgabe der Japanischen Grammatik von Rodriguez sehr vortheilhaft bekannt ist, beschäftigt sich mit einem ausführlichen Werk über die Tagalische, Bisayische u. Pampangische Sprache. Er ist mit guten Hülfsmitteln dazu versehen, wünscht indeß noch einige benutzen zu können, die hier fehlen und sich auf unsrer Bibliothek befinden. Das Nähere hierüber werden Ew. Wohlgeboren aus der Beilage A., ersehen. Seine Bitte geht dahin, daß Ew. Wohlgeboren die Gewogenheit haben möchten, ihm die dort bezeichneten Bücher auf einige Monate zu leihen. Es könnte dies so geschehen, daß sie an Herrn Abel-Remusat geschickt würden, der in seiner Qualität als Conservateur beim Cabinet des Manuscrits der Bibliothek darüber einen Schein ausstellen würde. Dies habe ich schon vorläufig verhandelt|?|. Soviel mir bekannt ist, hat unsre Bibliothek schon öfter solche Versendungen zugestanden, und ich wünschte sehr, daß Herrn Landresse’s Bitte erfüllt würde, weil ich überzeugt bin, daß er eine gute und nützliche Arbeit leisten wird, u. weil die Königliche Bibliothek hier mir seltne Briefe u. Handschriften, die ich gerade benutze zum Mitnehmen nach Berlin anvertrauen will. Die Versendung würde zwar durch das auswärtige Departement u. eine unsrer Couriergelegenheiten geschehen können. Allein diese Gelegenheiten sind so selten, daß die Dinge Monate liegen können. Ich bitte also Ew. Wohlgeboren mit meinem Bruder zu sprechen u. zu sehen, ob er nicht eine schnellere Gelegenheit weiß.

Die zweite Angelegenheit scheint mir, ihrer Natur nach, keinen Erfolg haben zu können. Ich entledige mich ihrer nur als eines Auftrags, den ich nicht habe ablehnen können. Ew. Wohlgeboren werden aus dem Schreiben sub B., ersehen, daß ein gewisser Herr Sommaripa die auf der Liste sub C., verzeichneten Manuscripte zum Kauf anbietet. Von den sehr hohen Forderungen, welche der Mann, seinem Briefe nach, macht, würde er wohl sehr leicht abgehen. Ich zweifle aber, daß unsre Bibliothek jetzt solche Ankäufe zu machen gesonnen|?| ist. Die äußere Erhaltung der Handschriften, namentlich des Coptisch-Arabischen Lex. ist, wie ich mich selbst überzeugt habe sehr gut. Wollte indeß die Bibliothek darauf eingehen, so müßte man immer einem der hiesigen Orientalisten Auftrag geben, das Ganze genau zu untersuchen.

Der Prof. Mohl[b] aus Tübingen, ein treflicher u. äußerst tüchtiger Mann, unternimmt auf seine eignen Kosten eine Reise nach Bombay, Calcutta u. Benares. Sein Zweck geht zwar vorzüglich auf Persisch, Zend, u. Pehlevi, allein er beschäftigt sich auch mit Sanskrit u. hat gegen mich das Anerbieten gemacht, für die Berliner Bibliothek Indische Handschriften zu kaufen. Ich habe ihm sagen zu müssen geglaubt, daß die Bibliothek für jetzt keine solche Absicht habe. Ich habe indeß Ew. Wohlgeboren doch davon benachrichtigen wollen.

Ich bin mit großem Vergnügen u. nicht ohne Nutzen, nur viel viel |sic| zu kurz hier gewesen. Indeß habe ich immer|?|, was mir sehr wichtig war, eine anschauliche Kenntniß der hiesigen Gelehrten, ihrer Richtungen u. Arbeiten erlangt. Vorzüglich interessiert hat es mich Zend u. Pehlevi hier genau kennen zu lernen, u. meine Ansichten über diese beiden Sprachen zu berichtigen. St. Martin treibt beides, aber nicht sowohl linguistisch, als in historischer Hinsicht. Der junge Burnouf studirt eifrig Zend u. ganz in grammatischer Hinsicht u. mit beständiger Vergleichung des Sanskrits. Er ist in einer treflichen Arbeit darüber weit vorangerückt, u. hat mich überzeugt, daß das Zend dem Sanskrit noch näher steht, als das Griechische, in den meisten Stücken aber jünger scheint. Mohl treibt Pehlevi was fast nur eine Mischsprache Syrischer u. Persischer Wörter, fast ohne alle Grammatik scheint.

 Olshausen, jetzt in Kiel, will die Zend-Handschriften herausgeben.[c] Man kann also über ihn nichts Systematisches über die Sprache erwarten. Auch weiß er wenig oder gar kein Sanskrit. Rask scheint kaum noch zu arbeiten. Ich höre wenigstens, daß er die Zend-Handschriften an Olshausen gegeben hat.

Wir sind alle wohl u. gehen morgen nach London. Dort bleibe ich bis zum 10. Jul. etwa.

Leben Sie herzlich wohl, u. empfehlen Sie mich unsren gemeinschaftlichen Freunden. Ich habe hier regelmäßig die Sitzungen der Academie des inscriptions besucht, u. auch selbst eine Abhandlung gelesen.[d] Man ist hier voll wahrer Achtung für die Gelehrten und gelehrten Anstalten bei uns.
Mit der herzlichsten u. lebhaftesten Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt
Paris, 14. Mai, 1828.

Darf ich um die Besorgung der Inlage an Rauch bitten?

|Wilken| Am 28 Maÿ geantwortet nach London:

1., Die Mittheilg. an Herrn Landresse solle baldigst geschehen.

2., Die angetragenen Handschriften des Herrn Sommaripa seÿen zu theuer, und nur einige davon wirklich brauchbar und wichtig. Sollte der Besitzer diese besonders ablassen, so lasse sich über diese Angelegenheit weiter reden.

3., Herr v. H. ist gebeten worden, die von den Herrn Howell und Stewart[e] zu London angebotenen Manuscripte der Mahabharata und Ramayana zu untersuchen und darüber seine Meinung mitzutheilen.


Wi.


|Anhang|

|Schreiber| An Herrn Ab. Remusat zur Mittheilung an Herrn Landresse übersandt:

Herm. Fray Domingo de los Santos Vocabulario de la lengua Tagala. 1794 fol.

Diego Bergaño arte de la lengua Papanga. 1729. 4“

Gaspar de San Augustin compendio de la arte de la lengua Tagala. 8“

6. Jun 1828.

Am 16 Apr. 1832 an den K. Pr. Gesandten Herrn v. Werther zu Paris geschrieben und denselben ersucht, den H. Landresse zur Zurückgabe der umstehend verzeichneten, dems. aus der hies. K. B. geliehenen Werke anzuhalten, da H. Landresse auf die früher dieserhalb an ihn erlassenen, Aufforderungen nicht geantwortet hat.

Fußnoten

    1. a |Editor| Darüber die Notiz von Wilken: "pr. 22 Mai 1828."
    2. b |Editor| Julius Mohl (1800–1876), Orientalist.
    3. c |Editor| Siehe hier Justus Ohlshausen (1829): Vendidad Zend-Avestae pars XX: adhuc superstes, Hamburg: Perthes, kritische Ausgabe des Zendavesta in zwei Bänden.
    4. d |Editor| Humboldt bezieht sich hier sehr wahrscheinlich auf die Abhandlung "Über die Verwandtschaft des griechischen Plusquamperfektum, der reduplizierenden Aoriste und der attischen Perfekta mit einer sanskritischen Tempusbildung", die er während seines Aufenthalts in Paris im April und Mai 1828 in französischer Übersetzung an der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres vorgetragen hat (vgl. hierzu die Angaben von Leitzmann in GS VI, S. 332).
    5. e |Editor| Verlag Howell & Stewart, später Howell & Co.